Internationale Rammler-Reifung Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 5. Jahrgang. Wien, 15. Oktober 1913. Nr. 20. Jonas Drentwett. Ein verschollener Wiener Barockkünstler. Von Alexander Hajdecki (Wien). Wien und mit ihm das ganze »heilige römische Reich deutscher Nation« hat, solange es dessen Kapitale war, nur eine einzige Blüte seiner Kunst erlebt, eine einzige Epoche gehabt, in welcher seine Kunst nicht nur eine führende und tonangebende Rolle spielte, sondern den üeist der Zeit verkörperte, das ist seine Barock periode, seine Barockkunst. Und es ist keine leere Phrase, wenn ich behaupte, daß diese herrliche Kunst ein ganzes Jahrhundert lang das gesamte Staatsleben beherrschte, während wir groß sprecherische Epigonen schon ganz froh und entzückt sind, wenn heutzutage »die Kunst im öffentlichen Leben auch nur fünf Minuten lang dominieren sollte«, es ist keine Phrase, sondern eine dokumentarisch nachweisbare Tat sache, ein Faktum, dessen Erörterung indes nicht hicher- gehört. Wenn ich noch beifüge, daß diese Kunstperiode zum erstenmal eine spezifisch wienerische Note angeschlagen hat, so daß Wien in der kunstgeschichtlichen Entwicklung erst jetzt einen Machtfaktor zu repräsentieren begann, und durch Schaffung eines speziellen »W i e n e r Barock« einen nicht zu umgehenden Merkstein auf richtete, so sollte man meinen, daß dieser Kunstabschnitt zum Schoßkind der lokalen Kunstforschung geworden und bereits nach allen Richtungen durchleuchtet, erforscht und ergründet sein müsse. Indes ist das Gegenteil davon richtig, von der Ge schichte dieses goldenen Zeitalters der Wiener Kunst haben wir bisher nur notdürftige, gelegentliche und abge rissene Kenntnis, von den vielen hunderten im Kampfe um die Kunst und für die Kunst Gefallenen ragen bloß •einige wenige Namen wie vereinzelte und verstümmelte Grabmonumente auf einem alten, verwahrlosten Friedhofe empor. Ich habe sic nunmehr alle gezählt und beisammen, und wenn ich jetzt dieses große Leichenfeld überblicke, finde ich dort Helden und Gestalten, deren Namen uns teils gänzlich unbekannt, teils verschollen sind, andere, die total vergessen wurden, wieder andere, deren Per sonsidentität verwechselt wurde; es gibt weiters unter ihnen, wenn ich mich so ausdrücken darf, unifizierte und multiplizierte, je nachdem aus zwei ver schiedenen Personen eine zusammengeschmiedet (Car- lone Canneval), oder eine Person in zwei Subjekte zer spalten wurde; dann gibt es noch welche, deren Namen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt oder verballhornt auf uns gekommen sind, so daß sie mitunter unter einem ganz anderen Namen in der Literatur segeln, als sie zu Lebzeiten führten, (Astorffer = ä Storffer) und wieder hervorragende Künstler in ihrem Fache, deren Nach kommen wohl in der zehnten Generation unter uns wandeln, von denen aber weder die Familientradition noch die Kunstliteratur zu sagen weiß, daß sie bis auf den heutigen Tag erhaltene und täglich von jedermann zu schauende Monumentalwerke geschaffen hatten (Manna- getta). Kurz, die merkwürdigsten Entdeckungen, die inter essantesten Bekanntschaften und wichtigsten kunstge schichtlichen Feststellungen lassen sich mit dem neuen Quellenmateriale machen, und wenn ich aus der langen Galerie dieser »Vergessenen« hier den Freskanten Jonas Drentwett heräusgreife, so geschieht es deshalb, weil ich gerade in der Lage bin, die Reproduktion eines unbe kannten Tafelbildes dieses seltenen Künstlers vorzu führen. Die »Drentwett« entstammen einer berühmten Künstlerfamilie Augsburgs, wo sie im ganzen 17. Jahr hundert in mehreren Gliedern als Goldschmiede und Juweliere hervorragend vertreten waren. Ein Balduin Drentwett, noch ein Renaissancemensch, wird als Stammvater dieser Familie genannt, welche durch volle vier Jahrhunderte der Familientradition treu geblieben ist. Als Hauptrepräsentant derselben galt der Goldschmied und Wachsbossierer Abraham Drentwett. Er starb im Jahre 1721 als Achtzigjähriger in Augsburg. Die ebenfalls in Augsburg als Gold- und Silberarbeiter tätig gewesenen Philipp Jakob und E in a n u e 1 Drentwett dürften seine Söhne gewesen sein, während sein Bruder Jonas noch im siebzehnten Jahrhundert nach Wien über siedelte und hier ansässig wurde. Von F ü ß 1 i wird er ausdrücklich als Bruder des Abraham bezeichnet, und