Seite 334 Internationale Sammler-Zeitung. Nr. 22 Die Kunstmusterung Kaiser Nikolaus ). von Rußland, der Erbauer der neuen Eremitage und Begründer ihrer Sammlungen, hat unter den Kunstschätzen, die er von seinen Vorfahren geerbt hatte, eine Musterung gehalten, die in der neueren Geschichte wohl ganz Eig. 10. de Poorter, Gelehrter. einzig dasteht. Ueber diese merkwürdige Tätigkeit des so aus geprägt selbstherrlichen Monarchen berichtet Baron N. W. W r a n g e 11 auf Grund bisher noch nirgends veröffentlichter Dokumente in den »Staryje God-y«. Zar Nikolaus war immer bemüht, Erinnerungen an un angenehme Augenblicke seines eigenen Lebens oder des Lebens seiner Vorfahren zu vernichten. Man weiß, daß er Ur kunden von unschätzbarem Werte dem Feuer überliefert hat. Ganz besonders haßte der Kaiser alles, was an die Günstlinge seiner Großmutter erinnerte; er ließ die Bildnisse dieser Männer aus den kaiserlichen Gemächern entfernen und den Fa milien der Günstlinge zustellcn. Ein sonderbares Schicksal hatte es gewollt, daß diese hervorragenden Kunstwerke später den Weg in das russische Nationalmuseum fanden. Ebenso schlimm wie den Bildern der Günstlinge erging es den Bildnissen der Dekabristen (das heißt, Dezembermänner — so nannte man die Teilnehmer an dem Aufstande, der am 26. Dezember 1825 kurz nach dem Tode Alexanders I. in Petersburg ausbrach); der Kaiser ließ sie aus der Galerie der Kriegshelden entfernen, und die Bildnisse lagerten dann bis 1903 in den Kellern des Winter palais. Nachdem die Bilder vernichtet waren, machte der Kaiser sich an die Vernichtung des in künstlerischer Beziehung ganz unschätzbaren Silberschatzes seiner kaiserlichen Großmutter. Im Jahre 1847 ließ er eine ganze Reihe von Servicen ein- schmelzen. Im ganzen vernichtete er neunzig Pud prächtigen Tafelgerätes, darunter das berühmte vierzehn Pud schwere Orlow-Service, von dem sich nur kümmerliche Reste erhalten haben. Was der seltsamen Geschmacksrichtung des Kaisers nicht gefiel, wurde vernichtet. So fiel einmal sein Blick auf die berühmte Voltaire-Statue von Houdon, die sich in der Eremitage des Zaren Nikolaus 1. befand. »Vernichtet diesen Affen!« rief der Kaiser. Der Befehl wäre natürlich unbedingt ausgeführt worden, wenn Graf Andrej Petrowitsch Schuwalow nicht die Statue insgeheim in einen Keller des Taurischen Palais hätte bringen lassen; von dort gelangte sie erst nach vielen Jahren, zur Regierungszeit Alex anders II., in die Eremitage zurück. Der Kaiser vernichtete auch alle Erinnerungen an den Polnischen Krieg. Im November 1832 trafen aus Grodno die mit Beschlag belegten Sammlungen des Fürsten Sapieha ein. Ein großer Teil der kostbaren Gemälde wurde vernichtet, ein anderer versteigert. Bilder von Lampi, der Vigee-Lebrun und andere wurden mit 1 bis 5 Rubel ausgeboten. Der Kaiser tat alles, um den aufrührerischen polnischen Adel zu ruinieren, und die »Zwangsvollstreckungen« nahmen kein Ende. Im Jahre 1834 traf aus Warschau ein ungeheurer Transport von sequestrierten Gegenständen ein; der größte Teil hievon wurde verbrannt. Ein Bildnis Alexanders I., das sich unter den mit Beschlag be legten Gegenständen befand, wurde mit Bimsstein von der Leinwand entfernt, worauf die Leinwand verbrannt wurde. Den Beschluß dieser »reinigenden« Tätigkeit des Zaren Nikolaus bildete die große Versteigerung von Gemälden der Eremitage. Der Kaiser traf irn Jahre 1853 eine Auswahl aus der Sammlung der Eremitage und ließ 1212 Bilder als »wertlos« und »un tauglich« ausschciden. Unter diesem »Ausschuß« befanden sich zahlreiche Bilder erster Meister; einige von ihnen fanden später wieder Gnade: sie wurden »korrigiert« und der Sammlung aufs Eig. 11. Waldmüller, Architekt v. Moreau, neue einverleibt. Ein Herr Schwarz mußte in Landschaften von Dietrich und Kügelgen Figuren, die »ihm passend er schienen«, hineinmalen. Im Jahre 1854 fanden die Versteige rungen im Taurischen Palast statt. Die Reineinnahme betrug