Internationale £amm(er£dfunj Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 6. Jahrgang. Wien, 1. Juni 1914. Nr. 11. Rubens „Modellbilder“. Von Alexander Hajdecki (Wien). Es dürfte der Ausdruck »Modellbild« bisher in der Kunstwissenschaft kaum Eingang gefunden, viel weniger sich dort eingebürgert haben, und doch glaube ich, daß er als eine Bereicherung für ein ganz apartes Surrogat im Kunstschaffen und Kunstleben dort Aufnahme und Be achtung finden sollte. Ich verstehe nämlich darunter, und möchte diesen tcr- minus technicus für jene Malvorlage oder jenes Malwerk angewendet wissen, welches ein Künstler sich zu dem Zwecke schafft, damit cs für ihn unter Umständen das lebende Modell vertreten oder abgeben kann. Heute ist derartiges ein längst überwundener Stand punkt und völlig unbekannt, aber auch in der Geschichte der älteren Kunst nicht allgemein in Uebung gewesen; doch ist es Tatsache, daß der glänzendste Maler aller Zeiten, daß Rubens sich während seiner ganzen vierzig jährigen Künstlerlaufbahn solcher selbst erzeugter Modell bilder für sich und insbesondere für seine Schüler und sein Atelierpersonal intensiv bediente. Dieses Thema erheischt ein eingehendes Spczial- studium, von welchem man sich die interessantesten Auf schlüsse zum Rubens-Problem versprechen darf; ich möchte mich jedoch an dieser Stelle bloß darauf be schränken, diese im ersten Moment so befremdend klingende Behauptung in allgemeinen Umrissen zu er härten und an der Hand positiver Belege und konkreter Vorlagen nachzuweisen. Daß gerade Rubens es ist, welchem derlei nach gewiesen werden kann, das ist leicht zu erklären und eine natürliche Folge jener ganz exzeptionellen Umstände, unter denen er gearbeitet hat. Es gibt nämlich fürs Erste in der Geschichte aller Zeiten und Völker keinen zweiten Künstler, der Rubens in bezug auf die stupende Pro duktivität gleichkommen oder sich ihm nur nähern könnte. T i t i a n, der in seinem hundertsten Lebensjahre mit dem Pinsel in der Hand starb, erreicht bei weitem nicht die Hälfte vom Oeuvre Rubens, der ja doch um volle 34 Jahre weniger gelebt hat. Das hat schon etwas zu sagen. Wie soll, wie kann also die verblüffende Tatsache erklärt werden? Wohl nicht anders, als nur dadurch, daß Rubens eben nicht alle unter seinem Namen gehendcnBilder eigen händig gemalt haben kann, sondern sich in ausgiebigem Maße der Hände seiner Schüler bediente, deren er ja während seiner langen künstlerischen Laufbahn ganze Legionen hatte, obwohl uns nur die wenigsten darunter mit Namen bekannt sind. In der Tat sind wir in der Lage, gleich den strikten Beweis zu erbringen, daß zumindest die Hälfte der Rubens-Bilder von der Hand seiner Schüler herrührt, und daß der Besteller vielleicht oft von Glück reden konnte, wenn der Meister dazu kam, ein solches Bild »ganz von seiner Hand zu r e t o u c h i e r e n« oder »zu übergehe n«. Wenn dem aber so ist — dann stehen wir wieder vor einem zweiten Rätsel im Rubens-Problem. Es gibt nämlich gewiß auch wieder keinen zweiten Maler in der Kunstgeschichte, dessen Werke unter Hunderten nicht so fort, auch von jedem Dilettanten erkannt und als solche diagnostiziert werden. Wer ein Kompositionsbild des Rubens in sich aufgenommen oder nur gesehen hat, der wird ihn in jedem anderen leicht wieder erkennen. Wie wäre nun dies möglich in Anbetracht der Tatsache, daß ja die Hälfte seiner Bilder von fremder Hand ist? Sollten alle jene ungezählten oder gezählten Schüler — auch von diesen kommt wohl ein Dutzend zu sammen — sollten sie alle während der kurzen Lehrzeit so tief in den Geist und in die Manier des Meisters ein gedrungen sein, dessen Technik sich in solchem Maße an geeignet haben, daß ein einfaches »Uebergehen« oder >'Retouchieren« von der Hand des Meisters es ihm er laubt haben würde, solche Arbeiten unter seinem Namen in die Welt gehen zu lassen?! Dann wäre ja die so hoch gepriesene Kunst des Meisters keine Kunst mehr, denn bekanntlich ist das jenige, was jedermann leicht treffen kann — keine Kunst! Wir müssen daher eine andere Erklärung dieses sonderbaren Rätsels suchen, und da kommen wir auf dem kürzesten und geraden Wege auf die — Modellbilder zurück. Zuvor möchte ich aber doch den Beweis über die viel leicht gewagt und übereilt scheinende Behauptung von dem überwiegenden Anteil der Schülerhände (ich sagte; die Hälfte) an dem Werk Rubens nicht schuldig bleiben. Der Meister selbst soll mir dafür Zeuge sein. Rubens richtete am 28. April 1618 — also noch zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn —• einen Brief an den englischen Botschafter am niederländischen Hofe im Haag, D u d 1 e y Carle ton, in Angelegenheit eines Tauschhandels von