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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 11
Antiquitäten des Botschafters gegen Gemälde des
Meisters, in welchem Briefe er die von ihm dazu be
stimmten Bilder taxativ aufzählt, beschreibt und be
wertet.
In diesem kunsthistorischen Dokument ersten Ranges
bekennt nun Rubens selbst, daß unter den 24 Stück »die
Blüte meiner Sachen«, welche er aus »eigenem Wohl
gefallen« im Hause zurückbehalten haben will, daß also
unter dieser Auslese von 24 Werken nur 12, sage z w ö 1 f
Stücke, vorhanden waren, welche er ausdrücklich a 1 s
Originale von seiner Hand bezeichnet, wäh
rend die andere Hälfte von ihm ebenso ausdrücklich, als
»von einem meiner Schüler«, oder »von meinen Schülern«,
oder in einem Falle »von einem meiner besten Schüler«
gemalt, oder erst begonnen, bezeichnet wird.
Das ist somit ein Bekenntnis des Meisters aus seiner
ersten Schaffensperiode, wonach genau die Hälfte seiner
Werke schon damals von Schülern ausgeführt wurde,
allerdings mit dem Vermerk, daß er dieselben »mit eigener
Hand übergangen« oder erst »übergehen« werde, so daß
sie »für Originale meiner Hand gelten«
können. Im Laufe der folgenden zwanzig Jahre hat sich
seine Tätigkeit noch mehr ausgebreitet, so daß mit voller
Berechtigung angenommen werden muß, daß die
größere Hälfte seiner Werke von der Hand seiner
Schüler ausgeführt wurde.
Den Kern dieses so wichtigen Briefes bildet aber ein
anderes bedeutsames Geständnis des Rubens, das einen
wichtigen Stützpunkt für unsere Untersuchung abgeben
wird. Unter jenen zwölf Bildern von Rubens eigener
Hand ist nur ein einziges, von dem er besonders hervor
zuheben sich veranlaßt sieht, daß es »nach dem Leben«
gemalt wurde!
Wonach hat er dann die anderen gemalt? Wie hat
sich der Meister geholfen, und wie erst seine Schüler bei
der Bewältigung einer solchen Unzahl von Werken? Da
mit sind wir der uns beschäftigenden Frage nahegerückt.
Der Künstler arbeitet entweder nach dem Modell, das ja
allemal wechselt und schon gar nicht jahrzehntelang her-
halten kann, oder er modelliert und zeichnet, was man
als Ausnahme bezeichnen kann, seine Figuren aus dem
Gedächtnis, oder kopiert sie nach einer Vorlage. Auf
andere Weise kann ein Kunstwerk nicht entstehen. Nun
haben wir aber schon gesehen, daß bei Rubens und ins
besondere bei seinen Schülern die ersten zwei Modali
täten fast gar nicht in Betracht kommen, es bleibt also
für ihn und Sein Atelier — nur das M o d e 11 b i 1 d übrig.
Was waren das aber für Bilder und wie kamen sie
zustande? Das Genie Rubens' und sein prophetischer
Seherblick ließen ihn sich bei Zeiten nach Feststellung
eines mustergiltigen Kanons für die in seinem Geiste
vorschwebenden Titancngesta-lten umsehen und rein
typische Ausdrucksformen von Macht, Kraft und Größe
schaffen.
Aber nicht in der Prosa des Alltags, nicht in dem
lebenden Menschenmaterial suchte und fand er die Ver
körperung seiner hochgespannten Ideale, zu kongenialen
Geistern ging er auf die Suche. Seine Reise nach Italien
1600 brachte ihm die erwünschte Gelegenheit, und —
Titian hat's ihm angetan. Nicht das, was er nach Titian
kopiert hat, bildet die Schwelle zu seinem Ruhm, aber
das, was er ihm an Ideen abgeguckt, in seinem Geiste
verarbeitet, in seine Kunstsprache übersetzt, das hat
Rubens groß gemacht. Dem tiefen Ideengehalt Titians
hat er monumentalen Ausdruck gegeben, die Ideen Titians
in monumentale Formen gekleidet, mit einem Worte,
Titian in die Barocksprache der Kunst übersetzt, wie ich
denn überhaupt das Gefühl habe, daß Rubens den Barock
stil in der Malerei geschaffen habe. So hat also Rubens,
wo ihm etwa ein titianischer Kopf besonders bedeutungs
voll erschienen ist, oder er in demselben Lineamente und
Keime zur Schaffung eines neuen Kanons für gewisse
Schönheitsideale gewahr wurde, denselben nicht etwa
kopiert, sondern im Geiste verarbeitet und auch schon
alla prima in wuchtigen markanten Pinselstrichen auf die
nackte (ungrundierte) Holztafel fixiert — für sich als Vor
bild, für sein Atelier als Modell.
Denn der Meister konnte und durfte diese seine Vor
bilder aus dem Gedächtnis in alle beliebigen Stellungen
transponieren und ihren Ausdruck nach Bedarf ändern,
während die Schüler sich streng an das Modellbild halten
mußten und keine sonstigen Veränderungen an demselben
vornehmen durften, wie wir davon bald ein klassisches
Beispiel kennen lernen werden.
Diese Tatsache konstatiert zu haben, ist insbesondere
für die Kunstforschung von Wichtigkeit, weil in derselben
unter Umständen ein neues Kriterium zur Unterscheidung
von Atelierbildern von den selbsteigenen des Meisters ge
boten wird.
So entstanden wahrscheinlich noch in Venedig
jene grundlegenden Typen, welche wie ein roter Faden
die ganze künstlerische Produktion des Meisters durch
laufen. Ich rechne darunter den Jupiter tonans, von
dem noch die Rede sein soll, den Typus eines Kraft
menschen und Kriegers, der in Hunderten von Bildern
immer wieder vorkommt, und den jugendlichen, mild und
liebevoll in die Welt blickenden Apostelkopf, welch beide
uns heute speziell beschäftigen sollen. So mußte nach
und nach eine kleine Kollektion von solchen Modell
bildern zusammengekommen sein, und es dürften sich
noch heute in den öffentlichen Sammlungen eine erkleck
liche Anzahl derselben nachweisen lassen, wo sie aller
dings in den Katalogen als selbständige Bilder
unter eigenen Benennungen oder als »Bildnisse«
evident gehalten werden.
So wird in München das »Bildnis einer alten
Frau« auch für Rubens Mutter gehalten und die Ent
stehung in die Zeit von 1615 bis 1618 verlegt, wäh
rend es in Wirklichkeit ein »Modcllbild« des Meisters ist.
nach welchen er bereits im Jahre 1606 die heilige Elisabeth
modellierte und seither wiederholt als Modell verwendete.
Auffallend und charakteristisch, wenn auch leicht er
klärlich ist es, daß diese »Alte« das einzige weibliche
Modellbild des Meisters ist.
Ein Zufall will es, daß wir gerade an einem Bilde
unsere Untersuchung vornehmen können, das dem
Meister und-seinen Schülern ungezählte Male während der
ganzen langen Arbeitsperiode Modelldienste geleistet hat,
so daß dieses Modellbild als ein Schulbeispiel der kunst
geschichtlichen Forschung dienen kann.
Das in Fig. 1 abgebildete Exemplar — 55 Zentimeter
hoch, 40 Zentimeter breit — ist von durchschnittlicher
Größe aller Modellbilder des Rubens, auf Pergament
von der reichen, samtartig anzufühlenden Gattung des
18. Jahrhunderts, wie es heute auch in der besten und
teuersten Sorte nicht mehr produziert wird. Die Aus
führung des Bildes, das zwei Charakterköpfe im Profil
hintereinander zeigt, wie es Rubens öfters in seinen
Bildern zu arrangieren pflegte, ist in Pastell und von einer
solchen Meisterschaft, daß nur die Verwendung jenes
Malgrundes (Pergament) und dieses zarten und vola-
tilen Farbstoffes, welcher seinen pfirsichroten Hauch
oder Flaum noch an manchen Stellen deutlich sehen läßt -
also rein äußere und zufällige Umstände — uns zur An
nahme zwingen, daß wir es hier mit einer Nachbildung
oder Kopie nach einem verschwundenen oder ver
borgenen Original zu tun haben mögen.
Was haben nun diese zwei, in ihrer Ruhe so aus
drucksvollen Charakterköpfe — Studien nennen wir es
heute — zu bedeuten, und warum sollen sie Modellbilder