Seite 178 Internationale Sammler-Zeitung. Nr. 12 das Kostüm wurde sorgsamer behandelt als die Seele. Die Menschen jener Bilder erscheinen als schauspieleri sche Figuren, repräsentativ und seelenlos. Verwandter, als sie ihrem Wesen nach es sein sollte, wurde die Malerei der Plastik. So ausschließlich gab sie sich den greifbaren Dingen, der sichtbaren Welt hin. Meier- Graefe hat in seinen polemischen Monographien nachgewiesen, wie dürftig der malerische Sinn bei drei so großen, repräsentativen Malern wie Menzel, B ö c k 1 i n und Thom a ausgebildet ist. Der Impressio nismus verfiel ins andere Extrem; es war eine Kunst des raffiniert Handwerklichen, der Sachlichkeit, hart pour l'art. In der jüngsten deutschen, oder besser gesagt, der Berliner Kunst ist in dem viel umstrittenen Max Beckmann ein Künstler erstanden, dessen Bilder wie eine Synthese von Idee und malerischem Ausdruck erscheinen. Er ist ein Darsteller dci starken geistigen und seelischen Erlebnisse, ein Expressionist voll visio närer Kraft, eine Mischung von Realismus und Ro mantik. Mit ganzer Seele im Leben des modernen Berlin wurzelnd, in seinem Rhythmus und seiner sozialen Tragik, sind seine Bilder doch wie in einer heftigen Ekstase empfangen, visionär und monumental. Er gehört zu den Tragikern unter den Malern und ist so sehr auf die Idee gerichtet, daß alles ihm zum Sym bol wird, die einfachste Landschaft sowohl wie jedes menschliche Geschehnis. Er malt den Tod und das Sterben, die Primitivitäten und das Raffinement des Ge fühls, den ewigen Liebeskampf und die großen seelischen Erschütterungen. Das alles ist Weltbild, Weltanschauung. Seine Porträts erzählen uns die letzten Geheimnisse der Seele, von ihrer Einsamkeit und ihrem Individualleben. Aber diese Werke sind keine blutleeren Abstraktionen, nicht Ideen an sich, sondern Darstellungen mit den raffi niertesten, zuweilen gesuchtesten malerischen Mitteln. Er ist ein Dramatiker, aber er kennt und liebt das zarteste, geheimnisvollste Leben von Lust und Licht, die Poesie der rein sinnlichen Erscheinungen. Seine Angst vor der Banalität des sinnfällig Schönen ist so groß, daß er oft in das Häßliche, von Qual Verzerrte verfällt. Diesem Künstler, der sein Letztes uns noch nicht gesagt und in einem Läuterungsprozeß sich noch be findet, widmet Hans Kaiser eine den Wurzeln seines Schaffens nachgehende kritische Monographie,* deren Darstellung wir hier folgen. Die Entwicklung Beckmanns nimmt ihren Ausgang von Weimar, wo er drei Jahre iang von Frithjoi S m i t h, einem Norweger, sich im Handwerklichen der Malerei unterweisen läßt. Mit 19 Jahren kommt der Niedersachse nach Paris, wo Manet einen besonders starken Ein druck auf ihn ausübt. Seiner eigenen Persönlichkeit wird sich Beckmann aber erst in Berlin bewußt, das ent scheidend für seine Entwicklung wurde. In dieser Stadt der angespanntesten Energien, diesem Schauplatz voll Brutalitäten, sozialer Tragik und krassester Gegensätze, gewinnt der Künstler ein Element, das seinen Werken die individuelle Physiognomie verleiht. Es ist, wie Kaiser sagt, hier eine heroische Romantik des Lebens, gemischt aus brausender Lebensfreude, besinnungslosem Fort stünnen und dem ganzen Auf und Ab einer jäh entwickel ten Weltstadt. Ihm entnimmt Beckmann seine Symbole, die Grundfarbe seiner Stimmungen, die Bodenständig keit, ohne zu einem Kopisten des Alltags zu w- r erden. Sein erstes Berliner Bild, das in seiner Komposition dekorativ und noch ein wenig abstrakt ist, findet unge- * »M a x Beckmann« von Hans Kaiser (Berlin, Paul Cassirer). Fig. 2. Beckmann, Gesellschaft.