Seite 38 Internationale Sammler-Zeitung. Nr. 3 interessanten Briefe, »wenn ich annehme, daß in unserer Zeit das Wichtigere und Gedankenreichere mehr in Hand zeichnungen festgelegt ist als in Bildern.« Von Schwind selbst besaß Meyer bei seinem Tode mehr als 200 Blätter. Mit ihnen zieht das ganze Leben des Meisters an uns vorüber. Die köstlichsten Erzeugnisse der Schwindschen Muse gehören wohl seiner Jugendzeit an. Es sind von tiefer Empfindung beseelte, in der ungezwungenen Naivität des Ausdrucks doppelt reizvolle Arbeiten. Bald einzelne Darstellungen, Bildnisse oder Genreszenen, bald Zyklen novellistischen, poetisch-legendarischen oder visionären Inhalts. Das Haus, in dem der Knabe heran wuchs: »Schwindien«, der Schober-, Schubert-, Hetzen- ecker-Kreis, das ganze Wien der Fünfzigerjahre lebt mit seinem frohen, harmlosen Treiben in diesen Blättern. Neben dem Kunstliebhaber kommt der Kunsthistoriker im Beschauer zu seinem Recht. Da ist ein Blatt, »Das Paar im Kahn«, das eine Ueberlcitung von Johann Olivier zu Schwind bildet; eine Allegorie: »Mangel und Armut überfallen den Müßigen«, die uns die tiefe Wirkung nachempfinden läßt, die der Umgang mit Julius Schnorr v. Carolsfeld auf den jungen Künstler ausübte. Eine flüchtige Episode im Leben Schwinds findet Ausdruck in dem von Raffael beeinflußten Blatt der orgel spielenden Cäeilie. Durch alle Blätter aber weht der Geist eines Künstlers, dem Kunst Sache des Herzens ist. Dieses Moment erhobt Schwind, wenn er auch zuweilen die Mittel seiner Kunst vernachlässigt, über die Mehrzahl seiner Zeitgenossen. Man hat zu Zeiten mit dem Worte »Empfindung« Mißbrauch getrieben und manches von der deutschen Kunst zu retten gesucht, was besser der Ver gessenheit anheimfiele, bei Schwind kann von Senti mentalität keine J<ede sein. Freilich müssen seine Werke im Original, einzeln und mit Liebe studiert werden, wenn sie ihren wahren Sinn und Wert offenbaren sollen. Von Meister Schwind führt der Weg zu dem un vergleichlichen Schilderer der deutschen Kinderwelt: Adrian Ludwig Richter. Die Stimmung, die ihn als Knaben beschlich, wenn er das niedrige, von einer bren nenden Oellampe und einem blanken Messingmond »in einen Feenpalast« verwandelte Kramlädchen seines Groß vaters betrat, hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Er hat die Zeit der Eisenbahnen und Dampfschiffe erlebt, des beginnenden internationalen Verkehrs, aber er ist immer der alte geblieben. Die Poesie leise geneigter mittelalterlicher Giebelhäuser, von Gestrüpp umwucherter Stadtmauern und Türme, die behagliche Ruhe und Selbst genügsamkeit des kleinen Bürgers leiben seinen zuweilen leicht lavierten Zeichnungen ihren intimen Reiz. Ihre Liebenswürdigkeit, nicht ihre Tiefe lädt zum Verweilen ein. Die Kopie Richters nach einer italienischen Land schaft von Fohr, die sich heute im Städelschen Institut zu Frankfurt befindet, gibt einen wichtigen Beitrag zur Erklärung für seine eigenen frühen nazarenisch stilisierten Landschaftsbilder. Eines der schönsten Werke dieser Art besitzt die Dresdener Galerie. Mit der Erinnerung an Fohr, die Ludwig Richter uns hier vermittelt, sind die Namen Cornelius, Veit und Overbeck eng verknüpft — sie alle sind durch charakteristische Blätter in der Sammlung vertreten. S t e i n I e glänzt durch Ent würfe zu religiösen Bildern und Fresken im Treppenhaus des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, Führich erregt Interesse durch seine Komposition »Maria im Grabe Christi neben seiner Leiche kniend«. Auch die Gegner der Nazarener, die Klassizisten kommen zu Wort. So Koch mit einem großen Aquarell: »Diana und Aktäon«, seine Freunde Reinhardt und G e n e 11 i mit einer stattlichen Reihe von Skizzen und Entwürfen. Die Zeichnung zu seinem letzten Werke »Bacchus unter den Seeräubern« läßt es verstehen, daß Genelli zu seinen Lebzeiten als einer der bedeutendsten deutschen Künstler angesehen wurde, so sehr unser Auge für die Schwächen seiner Kunst geschärft ist. Von den Schultern Kochs erhebt sich in diesem Blatt der fast Siebzigjährige zu einem bewunderungswürdigen Fluge. Das Bildnis, in dem Genelli seinen Lehrer Bari verewigte, fesselt durch die Strenge und die Größe des Ausdruckes. Von den optischen und perspektivischen Studien, die der Jüngling im Atelier des Berliner Akademieprofessors Erdmann H li m m e 1 betrieb, gibt das Interieur mit dem Parkettboden und den Spiegeln Kunde. Während die süddeutschen Realisten Zurückbleiben, sind von den norddeutschen fast alle besseren Namen ver treten. Nahezu vollzählig sind die Hamburger zur Stelle und meist mit Arbeiten von Rang. Reiche Gelegen heit bietet sich für das Studium der Zusammenhänge zwischen der Hamburgischen und der niederländischen, andererseits der Hamburgischen und der nordischen, der dänischen und skandinavischen Kunst. So läßt sich zum Beispiel verfolgen, wie auf C. Morgenstern der Nor weger J. C. C. Dahl und durch ihn Everdingen einwirkte, wie Martin Gensler von Adrian O stade beeinflußt wurde; zeigen, wie sich in der Hamburgischen Landschaftsmalerei das Interesse der Künstler vom nor wegischen, seiner Natur nach theaterhaften »Prospekt« der »paysage intime« der Hamburgischen Marschen zu wandte. — Cie nach-Rungescne Hamburger Romantik, die eigentlich eine Romantik aus zweiter Hand ist, ver treten Julius O 1 d a c h und Erwin Speckte r. Den stolzen Kreis der Romantiker, die in der Samm lung A. O. Meyer vereinigt sind, schließt Anselm F cue r- b a c h. Er stellt den Gegenpol zu Sch w i n d dar inner halb der Grenze, die die Vertreter jener Kunstrichtung von den Naturalisten trennt. In Wien, der Heimat Schwunds, konnte Feuerbach sich nicht glücklich fühlen, er war in Italien zu Hause. Er wurzelt in dem antiken Rom, dessen Verständnis Winckelmann den Deutschen er schlossen hatte. Der Geist Winckcimanns spricht aus dem Buche über den vatikanischen Apoll, das Anselms Vater mit seinem Herzblut geschrieben hatte, er gibt der Kunst des Sohnes Inhalt und W'eihe. Der Mädchenkopf mit dem schwarzen Haar, wohl eine Studie zur »Poesie«, wird bereits getragen von der großen, feierlich-elegischen Stimmung, die das Symptom der romantisch-klassizisti schen Geistesrichtung Feuerbachs bildet, in dem weib lichen Studienkopf und dem Akt zur Amazonenschlacht tritt dieser Grundzug des Feuerbachschen Wesens noch stärker hervor. Aus dem gleichen Geiste heraus sind die Feuer bachschen Kinder geboren. Sie gehören zu den Arbeiten, von denen der Künstler der Mutter schreibt, daß sie ihm Stunden unbeschreiblichen Glückes gebracht haben. Andere Blätter, wde die Architekturstudien zutn »Konzert«, beanspruchen keinen hohen künstlerischen Eigenwert, dienen aber zum Verständnis des Schaffens prozesses. Der Entwurf zum »Prometheus« und eine Studie zum »Uranus« entrollen noch einmal die ganze grausame Komödie, die mit der Entstehung der Wiener Deckenbilder verknüpft ist. In dem »Begräbnis des Hof narren«, das 1877 entstand, werden auch vorsichtige Be urteiler einen Beweis für den Aufschwung erblicken, den die Kunst Feuerbachs nochmals nach den so unglücklichen Wiener Jahren in Venedig genommen hat. Die Komposi tion ist von gewaltiger dramatischer Kraft, das Kolorit von einer kaum jemals erreichten, zugleich zarten und leuchtenden Farbigkeit. Allgeyer ist geneigt, im Motiv »eine tragische Parodie auf des Künstlers eigenes Leben« zu erblicken; das Geschick Feuerbachs berechtigt ihn leider zu dieser Vermutung.