Nr. 1 Seite 5 Internationale Sammler-Zeitung Das neue Museum der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde. Die Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, oie manch einzigartige Merkwürdigkeit enthalten, haben bisher immer unter Raumschwierigkeiten zu leiden gehabt. Seitdem die Akademie für Kunst und darstellende Kunst in ihr eigenes Heim in der Lothringerstraße übersiedelt ist, ist Raum gewonnen worden, der in erster Linie dem Archiv und Museum nutzbar gemacht wurde. Viele reiche Schätze wurden da ans Licht gefördert, die nun der allgemeinen Be sichtigung zugänglich sind. Tritt inan einen Rundgang durch die Sammlungen an, so sieht man an den Wänden unter Glas und Rahmen allerlei merkwürdige Theaterzettel und Konzertprogramme. Das • älteste stammt aus dem Jahre 1780 und ist ganz im Stil der Hanswurstankündigungen gehalten: „Auf einem ganz seltenen Instrument“, beginnt der redselige Zettel, „dom Salterio, wird sich mit Bewilligung eines Hochlöblichen Magistralites am 23. Januario 1780 die Lautenschlägerin Regine Heist produzieren. Der Schauplatz ist das goldene Kreuz.“ Der Zettel verrät noch, daß das Frauenzimmer ganz hurtige Kadenzen und lüftige Sonaten“ zum besten geben und daß auch eine „Synphonie, ganz nach jetzgem Gusto, . von einem guten Meister verfertget“, zu hören sein wird. Preise der Plätze: Parterre nobile fl. f.—. Die übrigen Plätze 36 bis 12 Kreuzer. Also ein wohlfeiles Vergnügen nach unseren Begriffen. Von besonderem Interesse ist für die jetzige Zeit die An kündigung einer musikalischen Aufführung in dem Redouten- saal am 30. Jänner 1801 zum Vorteil der k. k. verwun deten Soldaten. „Das Unternehmen", heißt es in dieser An kündigung, „unterstützen die von der menschenfreundlichsten Gesinnung belebten und in dem folgenden Verzeichnis der auf zuführenden Stücke bezeichneten berühmten Tonkünstler." Es handelte sich um keine geringeren als Haydn und Beet hoven, die sich opferfreudig in den Dienst der Kriegsfürsorge gestellt hatten und man sieht aus dieser historischen Reminis zenz: Es war im Jahre 1801 genau wie heute und ebenso wie heute würde schon damals die Kunst der Wohltätigkeit dienstbar gemacht. Auch Überzahlungen wurden gern ange nommen, wie aus folgendem Vermerk erhellt: „Der Eintritts preis, welcher der Großmut der Menschenfreunde keine Gränzen setzet, ist zwey Gulden." Im Museumssaal, einem hellen, großen und schönen Raum, sind Raritäten und Merkwürdigkeiten zu sehen, uralte musik geschichtliche Werke, auf Pergament geschrieben, mit Noten und Bildern kunstvoll geschmückt, in Kupfer gestochene Noten aus dem 17. Jahrhundert und sehr viele Handschriften, von Bach angefangen bis in unsere Zeit. Ein besonders fesselndes Stück ist der Erstdruck der Volkshymne, „zum erstenmaie ab- .gesungen am 12. Februar 1797.“ Einige Beethoven-Reliquien sind da, sein knorriger Rebstock mit dem Elfenbeinknopf, den Graf Prokescli-Osten der Gesellschaft geschenkt hat und sein letzter Medizinlöffel, eine Spende des Herrn Artaria. Da gibt es ferner alle erdenk lichen Arten von Musikinstrumenten, ein Klavier von Schumann, ein Cembalo, das Haydn gehört hat. Es gibt sonderbare Instru mente aller Völker, indische, ägyptische, chinesische, siame sische; eine Flöte ist darunter, deren Merkwürdigkeit darin liegt, daß sic — mit der Nase geblasen wird. Ein afrikanisches Saiten instrument hat die Form eines Krokodils, an dessen Rücken die Saiten angebracht sind. Wohin man den Blick schweifen läßt, überall entdeckt man ein neues, fesselndes Stück. Das Interessanteste, was die Sammlung aufzuweisen hat, ist ein Blatt, das auf der einen Seite die Handschrift Beet hovens, auf der anderen die Schuberts zeigt. In einem Artikel „Musikalische Reliquien“, den wir in unserer Nummer vom 15. Juni 1909 veröffentlichten, teilt Balduin Groller die Geschichte dieses Blattes mit, die so merkwürdig ist, daß wir sie hier wiederholen wollen. Groller schreibt: „Sehen Sie, da ist ein Blatt, so zwischen zwei Glastafeln gerahmt, daß nach erfolgter Drehung auch die Rückseite sichtbar wird. Die Vorderseite — es gehen einem ehrfürchtige Schauer an — weist Beethovens eigenhändige Niederschrift der Lieder „Ich liebe Dich, so wie Du mich“ auf. Das Lied ist auf dieser Seite nicht zu Ende gebracht, aber die Originalhandschrift Beethovens; es ist immerhin schon etwas und wert der pietätvollen Betrachtung. Damit ist das Interesse an dem Blatte noch nicht erschöpft. Es weist noch, von der Hand Franz Schuberts geschrieben, den Vermerk auf: „Des unsterblichen Beethovens.Handschrift. Erhaltenden 14. August 1817.“ Auf der Rückseite findet sich von Franz Schubert geschrieben, der Anfang eines seiner Klavierstücke. Also auf einem Blatt vereinigt die Handschriften von Beethoven und Schubert! Die Geschichte ist noch nicht aus. Johannes Brahms war so glücklich, in den Besitz dieses Blattes zu geraten, und auch er signierte es: „Johannes Brahms im April 1872“. Also nicht nur Beethoven und Schubert, sondern auch noch Brahms 1 Die Geschichte ist noch immer nicht aus. Brahms schenkte das merkwürdige Blatt dem Museum. So gegen zwanzig Jahre später sitzt Brahms nach alter Gewohnheit wieder einmal in seinem Stammwirtshause „Zum roten Igel“ am Wildpretmarkt. Da gesellte sich ein Fremdling zu ihm und weist ihm ein Noten blatt vor. Er wisse, daß der Herr der berühmte Brahms sei, der sich für musikalische Reliquien interessiere. Er selbst wisse nicht, ob an dem Blatte etwas dran sei, aber es könnte doch sein und für diesen Fall biete er es zum Kauf an. Man denke sich das Entzücken Brahms. Das Blatt wies auf der einen Seite Fortsetzung und Schluß des Beethovenseben Liedes und auf der anderen Fortsetzung des Scliubertschen Klavierstückes auf, und alles in der Originalhandschrift. Einige Notcnzcilen, die noch freigeblieben waren, hatte irgend ein sorglicher Vater oder ein Musiklehrer benützt, um wahr scheinlich einem Kinde das Wesen der .Noten schriftlich zu er klären. Papier mag in der Biedermeierzeit ein seltenerer Artikel gewesen sein als heute und wurde darum auch bedachtsamer ausgenützt. Brahms erwarb das Blatt* und schenkte es — es war im Jahre 1893 — ebenfalls dem Museum.“ In einem Glaskasten sieht man drei kleine Bruchstücke, von Schuberts Lied „Der Tod und das Mädchen“ und man erhält einen seltsamen Kommentar zu den Autographen. Ein Stiefbruder Schuberts war Kapitular bei den Schotten und erteilte im Gymnasium des Stiftes Religionsunterricht. P. Hermann war im Besitze der Originalhandschrift des Liedes und er führte sie einer ganz sonderbaren Verwen dung zu. Alljährlich wenn ein Abiturient besonders schön maturiert hatte, schnitt er ein Stückchen von der kost baren Handschrift herunter und zeichnete damit den glück lichen Prüfungskandidaten aus. Drei dieser Stückchen hat nun das Museum wieder cingebracht.