Internationale $mrn\ex-Zp\\m& Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 8. Jahrgang. Wien, 15. Dezember 1916. Nr. 24. Ein Wagner-Sammler. Von Hermann Menkes (Wien). Vor wenigen Tagen ist in seinem siebzigsten Lebens jahre in Wien ein Mann dahingegangen, in dem sich ein charakteristisches Stück Alt-Wiener Bürgertums verkörperte. Er war einer von den letzten, deren Erinnerungen bis zur Epoche jener geistigen und künstlerischen Blüte dieser Stadt reichten, in der Grillparzer und Hebbel ihr Lebenswerk vollendeten, und in Fanni Elßler die ganze heitere Anmut der Wiener Kultur sich verkörperte. Emmerich Kästner, das war dieses Mannes Name, der trotz seines verdienstvollen Wirkens so wenig lauten Klang bekam. Früh schon von seiner Mutter zu einer Hingabe an alles Künstlerische und Geistige hingeleitet, wirkten Zufall und Glück mit, daß der Knabe schon Friedrich Hebbel, die Elßler (mit der er einmal sogar tanzte) und viele andere Kapazitäten Wiens im persönlichen Verkehr kennen lernen durfte. Als musikalischer Amateur und durch die Heirat mit einer in ihrer Zeit geschätzten und musikalisch hoch- begabten Künstlerin, kam Kästner in Weimar in ein freundschaftliches Verhältnis zu Franz Liszt, der ihn dazu anregte, sich in den Dienst Wagners zu stellen. So arbeitete er einige Zeit in der berühmten Bayreuther Nibelungenkanzlei, deren letztes über lebendes Mitglied er war. Hier lernte er Wagner in der ganzen Intimität kennen, von dem er viele per sönliche Äußerungen in der Erinnerung bewahrte. Der bescheidene Mann verschmähte es, aus all diesen Beziehungen viel Wesens zu machen und seine wert vollen Erinnerungen niederzuschreiben. Die Beziehungen zu Wagner entwickelten sich anfangs der siebziger Jahre. Im Gespräch wußte Kästner manche hübsche Anekdote von dem Meister zu erzählen, dessen Werk er sich in emsiger Forschung ganz zuwandte. Diese Erzählungen spiegelten auch den Charakter Hans von Bülows, den kennen zu lernen, Kästner im Wagnerhause reiche Gelegenheit fand. Wagners Geburtstag sollte gefeiert werden und zu dieser Gelegenheit hatte Liszt einen Marsch komponiert. Liszt und^Kastner saßen gerade am Klavier, um un beobachtet das Musikstück einzustudieren, als Wagner unversehens eintrat und die beiden bei ihrem Kom plott überraschte. Ohne ein weiteres Wort ergriff Wagner eine Papierrolle, die er als Dirigentenstab zu dem vierhändigen Klavierspiel benutzte. Liszt war nicht wenig erheitert von dieser Szene, die der Wagner zugedachten Überraschung den Garaus machte. .. Glücklich über das Zusammenarbeiten mit Wagner dachte Kästner zuerst gar nicht daran, Handschrift liches in Widmungen und Billets von ihm aufzube wahren und behielt nur einige Kopien seiner Werke und die mit Widmungen versehenen Schriften des Tondichters. Erst später verlegte er sich auf ein syste matisches Sammeln von Wagneriana und in dieser Weise entstand das Wiener Wagner-Archiv, das „Wagner-Museum“, wie Kästner es selbst nannte. Zuerst ein wenig bespöttelt, wurde das Archiv dann zu einer Fundgrube für den Forscher, zu einer Samm lung verschollener Dokumente aus einer Zeit der bittersten Kämpfe und Anfeindungen des musikalischen Reformators. Von diesem Kultus war das Leben des einfachen Mannes erfüllt, der in seinem Hauptberuf zuerst Staatsbeamter war und zuletzt im Geschäfts hause Rothschild sich betätigte. Mehrere Jahrzehnte dauerte dieses Wirken im Dienste des von ihm über alles geliebten Meisters. Kästner gab chronologisch geordnete Briefsammlungen Wagners heraus, einen vielbenutzten Wagner - Katalog, einen Wagner- Kalender und ein „Handbuch für Bayreuthpilger“. Damit ist die Zahl seiner Wagner-Schrillen nicht erschöpft. Mit stiller Genugtuung pflegte Kästner dem Be sucher die Schätze seines „Museums“ zu zeigen. Dieses befand sich in seinem eigenen stillen Heim in der Josefstadt, wo er mit seiner künstlerisch begabten Tochter lebte. Es waren bescheidene, oft unscheinbare Gegenstände, die Kästner sammelte, keine Dinge für Sentimentalitäten, keine Reliquien. Es waren Bücher, Zeitungsausschnitte, Karikaturen und Bilder. Die Sammlung umfaßte zunächst die Preßurteile über Wagner von den vierziger Jahren an bis zur Gegen wart. Manches Vergessene, sonst Verschwundene ist so erhalten geblieben, Dokumente, die das uns jetzt unbegreifliche Verhältnis der Zeitgenossen zu Wagner in krasser Weise beleuchten. Diese kritischen Urteile sind in lückenloser Weise gereiht. Aus den saftigsten kritischen Äußerungen über Wagner stellte Kästner eine Art Anthologie zusammen, in der die Träger der berühmtesten Namen als gehässige Wagner-Gegner figu rieren. Neben den vollzähligen Wagner-Karikaturen bewahrte der Sammler auch eine Unzahl von Wagner-