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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
11. Jahrgang. Wien, 15. September 1919. Nr. 18.
Von der Tontafel
Fast so alt wie die Geschichte der Menschheit ist
die Kunst, zu schreiben; denn erst mit der Schrift
setzt jene Übellieferung von Geschehnissen ein, die
wir vom wissenschaftlichen Standpunkt als „ Geschichte“
bezeichnen. So alt aber wie die Schrift ist auch, das
Zusammenfassen des Geschriebenen in aneinanderge
reihten Ziegeltafeln, auf Pergamentrollen und schließ
lich in Büchern. Und ebenfalls uralt ist das Streben,
die Niederschriften zu sammeln und an einem Orte
auf zu bewahren, mit anderen Worten: Bibliotheken
einzurichten.
Die Giündung einer Bibliothek verrät eine Kultur,
die sich bereits ihrer selbst bewußt geworden ist und
daher danach drängt, ihre Geschichte sowohl für
spätere Zeiten schriftlich niederzulegen, als auch sie
möglichst lückenlos in ihren Einzelheiten zu sammeln.
Der erste Gebrauch der erfundenen Schriftsymbole
(der sogenannten Bilderschrift, die überall das Urelement
des Schrifttums bildet) wurde zu dem Zweck gemacht,
um wichtige religiöse und geschichtliche Ereignisse
Ruizuzeichnen. Solche Aufzeichnungen oder Annalen
pflegten an heiligen Stätten aufbewahrt zu werden.
So waren die ersten Bibliotheken der Erde Tempel
und Priester die ersten Bibliothekare. In der Tat
waren im damaligen Entwickhmgsstad.ium der Mensch
heit Priester die einzigen, die genügend Wissen be
saßen, um Annalen nach höheren Gesichtspunkten
zusammenstellen zu können, wie sie ja auch zuerst
allein von allen die Fähigkeit besaßen, zu schreiben
und zu lesen. Solche archivalische Sammlungen hatten
die Meder in Ekbatana und die Perser in Susa.
An die letzten waren auch die sogenannten Knpssos-
Archive angeschlossen, die über babylonische, assy
rische und medische Geschichte zur Zeit der XII. ägyp
tischen Dynastie berichten und etwa zwei Jahrtausende
vor Christi aufgczeich.net worden sind.
Viel spater erst als solche Archive entstanden
Sammlungen spezifisch literarischer Natur: Helden
gesänge, Gedichte und Dichtungen der im Völker-
rund kreisenden Sagenstoffe. Solche Sammlungen
finden wir ebenfalls bei den Medern und Persern
wie auch auf der Insel Kreta, wo sie zur Blütezeit der
kretischen Seeherrschaft angelegt worden sind. Be
merkenswerter auch ist die berühmte antike Bibliothek
von Assyrien in Ninive, die bereits große Ausdehnung
besessen hatte. Bei Ausgrabungen, die dort vor mehr
als einem halben Jahrtausend veranstaltet worden sind,
hat man mehrere abg.. chlosscne Räume in dem Herr-
zur Weltbibliothek.
scherpaläsi gefunden, deren Boden einen Fuß' hoch
mit Tontafeln bedeckt war. Diese waren sämtliche mit
Aufzeichnungen in Keilschrift versehen, wobei oft.
die Schrift so klein war, daß man sich eines Vergröße
rungsglases bedienen mußte, um sie zu entziffern.
Die Tafeln wiesen ganz verschiedene Giößen auf,
von 6 bis zu 145 Quadratzentimetern. Ihre Gesamtheit
hat einst die Bibliothek Assiubanipals gebildet, jenes
bedeutenden assyrischen Herrschers, der von den
Griechen Sardanapal genannt und als Urbild des
Wollüstlings hingestellt wurde, in Wahrheit aber
ein feinsinniger Kopf von umfangreichem Wissen
und ein Genießer im Sinne Epikurs gewesen sein
muß.
Von diesem Beispiel einer antiken Büchersamm-
lung ist nur ein kleiner Schritt zu jener größten vor
christlichen Bibliothek einer uns schon etwas näher
liegenden Zeitepoche, zu der berühmten Bibliothek
in Alexandria. Der Überlieferung nach soll es Ari
stoteles gewesen sein, der als einer der frühesten Schrift
sammler des alten Griechenland den ägyptischen
Pharaonen den Sammeleifer beibrachte. Jedenfalls
sind unter der Herrschaft des Ptolemäus viele Männer
der Wissenschaft wie auch Schüler nach Alexandrien
gezogen, wo sie in Gestalt der von Pharaonen, wie
Ptolemäus Sotcr und Ptolemäus Philadelphus
gesammelten Bibliotheken reiches Material für ihre
Studien gefunden haben. Bei ptolemäus Euergetes,
der auf Philadelphus folgte, war die Sammelleiden
schaft bereits so weit gediehen, daß er die Gewohnheit
angenommen hatte, zur Vergrößerung seiner Biblio
thek jedem Fremden, der mit Büchern nach Ägypten
kam, diese wegzunehmen und ihm dafür Abschriften
der entrissenen Exemplare aushändigen ließ. Man ist
sich noch immer nicht einig, wie viel Bände die ale-
xandrinische Bibliothek zur Zeit ihres größten Be
standes gezählt haben mag. Einige sprechen von vier
hunderttausend Büchern (Papyri und Tafeln), andere
nehmen einen Bestand von siebenhunderttausend
Bänden an. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß
eine umfangreiche Papyrusrolle nicht soviel Inhalt
aufwies wie heute ein kleines Buch. So bestand Hero-
dots berühmte „Geschichte“, die man heute in zwei
schmalen Bändchen lesen kann, aus neun Rollen.
Homers „Ilias“ umfaßte sogar 24 Papyri. So war
immerhin trotz der gewaltigen Anzahl von Schrift
rollen eine solche Bibliothek des Altertums nicht so
groß, als cs auf den ersten- Blick scheint.