Internationale Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 11. Jahrgang. Wien, 15. Oktober 1919. Nr. 20. Staatliche Kunstverkäufe. Bitterste Not hat der Regierung Deutschösterreichs den Beschluß abgerungen, sich alten, sehr wertvollen Kunstbesitzes zu entäußern, um mit dem Erlös Lebens mittel im Auslande zu bezahlen. Gedacht ist natürlich nicht an die öffentlichen Sammlungen, die ja übrigens durch den Friedensvertrag für die nächsten zwanzig Jahre geschützt sind, sondern vorzugsweise um Kunst objekte aus dem Besitze des früheren Kaiserhauses. Wiewohl es sich hiebei fast ausschließlich um Dinge handelt, die nie der öffentlichen Besichtigung zugäng lich waren und infolgedessen dem großen Publikum unbekannt sind, ist ein heftiger Streit darüber ent brannt, ob der Staat, es sich herausnebmen dürfe, jahrhundertealten Kunstbesitz auf Nimmerwiedersehen ins Ausland gelangen zu lassen. Die Frage spaltet ganz Wien förmlich in zwei Lager. In dem einen be finden sich jene, die der Meinung sind, daß ideelle Be denken vor der Not unbedingt verstummen müßten, während die Gegner der Ansicht sind, daß der erzielte Erlös selbst im günstigsten Falle in keinem Verhältnis zu der schweren kulturellen Einbuße stehen könne, die das Land erleiden würde. Es verlautet auch, daß die französische und die italienische Mission in Wien in der Angelegenheit beim Staatskanzler vorgesprochen und die Anschauung geltend gemacht haben, daß die Gobelins des Kaiserhauses eine geschlossene Sammlung darstellen und im Sinne des Friedensvertrages nicht verkauft werden dürften. Der mit der Leitung der Aktion betraute Funktionär des Staatsamtes für Verkehrswesen Sektionschef Enderes machte den Vertretern der Presse folgende Mitteilungen über den gegenwärtigen Stand der An gelegenheit : „Ich wurde mit der Aufgabe betraut, einen Teil des staatlichen Kunstbesitzes;zu veräußern, zu verpfänden oder sonst zu verwerten. Besser gesagt: Ich wurde dazu ermächtigt. Gelingt es nun, die benötigte Valuta ohne Verkauf zu beschaffen, ist es natürlich umso besser. Die Summen, um die es sich handelt, sind im Vergleiche zur Finanzkraft der in Betracht kommenden Länder verschwindend gering. Wenn die Veräußerung halbwegs günstig durchgeführt wird, ist aber auch — im Gegensatz zu vielen in der Öffentlichkeit geäußerten Befürchtungen — unser Opfer an Kunstbesitz im Ver gleiche zum Gesamt besitz ein sehr kleines. Keineswegs ist eine Art Ausverkauf unseres ganzen Kunstbesitzes geplant, ein solcher wäre schon aus kaufmännischen Gründen unklug, da das Massenangebot natürlich eine wesentliche Entwertung der Objekte zur Folge hätte. Alle diesbezüglichen Besorgnisse sind also ganz un begründet. Die praktische Arbeit in dieser Sache hat damit begonnen, daß die Staatskanzlei für den 30. v, M. den Beirat einberief, worauf sofort jener Gesetz-, entwurf ausgearbeitet wurde, der die Hindernisse wegräumen soll, die der Durchführung der Aktion entgegenstehen und der am 16. d. der Nationalver sammlung zur Beschlußfassung vorgelegt wird. Schon während dieser legislatorischen Vorarbeiten wurde mit der kaufmännischen Vorbereitung begonnen, wobei es sich vorerst darum handelte, die Auswahl jener Objekte zu treffen, die für eine rasche Verwertung in Betracht kommen. Es müssen nämlich die bestehenden technischen Schwierigkeiten in Betracht gezogen und nur solche Objekte ins Auge gefaßt werden, bei denen, um sie dem Reflektanten zu zeigen, keine langwierige Vor bereitung notwendig ist. Solche Vorbereitung wäre beispielsweise nötig, um die in Magazinen verstauten Gobelins vorzuzeigen, während etwa kirchliche Schätze, Metallgeräte und dergleichen sofort gezeigt und geschätzt werden können. Die Bestände wurden bereits zum großen Teil durchgesehen und die geeigneten Gegenstände fachmännisch geschätzt. In kurzer Zeit werden wir zu einer Gruppe von Gegenständen kommen, die zur engeren Wahl gelangt und deren Schätzung dann der Beschaffung ausländischer Valuten zugrunde gelegt werden kann. Nun entsteht die Frage: Was machen wir mit diesen Gegenständen ? Die Frage kann vorläufig nicht präzise beantwortet werden; im allgemeinen wird aber der Grundsatz zu gelten haben, daß wir uns die Freiheit der Entschließung, was und ob wir verkaufen, möglich lange offen lassen. Wir werden trachten ein Vorschuß- oder Belehnungsgeschäft durchzuführen, das die endgültige Auswahl der Gegenstände einem späteren Zeitpunkt vorbehält. Sobald die geeigneten Objekte festgestellt sind, werden alle zur Mitwirkung berufenen Stellen um ihre Meinung befragt werden. Dabei wird jede bureaukratische Verschleppung vermieden werden müssen, denn so wie die Dinge liegen, kommt es auf rasches Handeln an. „Etwas, was wir von Herzen wünschen, aber kaum zu hoffen wagen, wäre, daß wir Mittel und Wege finden, die nötige Valuta zu beschaffen, ohne unseren Kunst- besitz dauernd zu schmälern. Vielleicht wird, was Geheimrat Bode die „Internationale Solidarität der Kunstfreunde' genannt hat, uns zugute kommen.“