Seite 94 Internationale Sammler-Zeitung Nr. 12 im Herzen: die zu seiner Tochter. Er fühlte das Alter nahen und obgleich erst 50 Jahre alt, erkannte er es als eine unabweisliche Pflicht, das Schicksal der Gattin und des einzigen Kindes für den Fall zu sichern, dass ihn der Tod plötzlich überraschen würde. Diderot hatte nie einen Funken von dem Geschäftsgeist, den Voltaire in so hohem Masse besessen und der diesem Krösus an Geist auch zu materiellen Reichtümern verholten hatte; Diderot bezog nur ein sehr massiges Honorar für seine Arbeit von den Verlegern der Enzyklopädie und hatte nach Vollendung des Werkes nur noch den An spruch auf eine kleine Pension. Das einzige Besitztum Diderots bestand in seiner Bibliothek. Er fasste den Entschluss, diese zu verkaufen und zunächst eine Mit gift für seine Tochter sicherzustellen. Man kannte in Paris diese Bibliothek, aber auch die misslichen Ver hältnisse, in welchen Diderot sich befand und bot ihm nur wahre Spottpreise. Katharina 11., die Zarin Rm lands, liebte aufrichtig die Literatur und schätzte die führenden Geister Frankreichs überdies auch noch aus politischen Gründen; sie wusste den grossen Einfluss, den diese durch die Macht der Feder zu üben ver mochten, als einen höchst beachtenswerten Faktor des öffentlichen Lebens zu werten. Die geniale Katharina, die selbst in den Mussestunden, die ihr der ernste Herrscherberuf neben der Befriedigung minder ernster, aber für sie sehr wichtiger persönlicher Neigungen Hess, kleinere literarische Versuche unternahm und einen eifrigen Briefwechsel mit hervorragenden Schriftstellern pflegte, wurde durch ihren Gesandten in Paris auch über die Verhältnisse der französischen Literaturgrössen auf dem Laufenden erhalten. Sie hörte von .der Ver legenheit, in der Diderot sich befand. Sie beauftragte ihren Gesandten, den Freund Diderots, Grimm, davon zu verständigen, dass sie geneigt sei, die Bibliothek für 15.000 Livres anzukaufen unter der Bedingung, dass Diderot im Besitze derselben bleibe, solange dies Ihrer Majestät belieben würde. Diderot möge sich bis dahin für die sorgfältige Bewachung der Bücher als den mit 1000 Livres pro Jahr besoldeten Bibliothekar betrachten. (Nebenbei bemerkt bringen fast alle Biographen Diderots, sowohl die französischen wie die deutschen das unrich tige Detail, die Kaiserin habe Grimm ausdrücklich mit- teilen lassen, die Bibliothek solle Zeit seines Lebens in seinem Besitze bleiben. Tatsächlich war dies wohl der Fall, aber in dem von Grimm aufbewahrten Schrei ben des Gesandten heisst es nur: „a cette seule condition que M. Diderot, pour son usage, en sera le depositaire, jusqu’ a ce qu’il plaise ä Majest6 de la faire demander“.) Grimm hat keine Aufzeichnungen darüber hinterlassen, in welcher Weise er dem von wahren Männerstolz gegenüber Fürstenthronen erfüllten Diderot Mitteilung über dieses hochherzige „geschäftliche“ Anerbieten der Kaiserin gemacht habe, aber man weiss, dass Diderot mit inniger Dankbarkeit es annahm. Freilich waren zwischen den Befehlen Katharinas und deren Ausführung erst kleine Widerstände zu beheben. Seinen Gehalt als Bibliothekar hatte Diderot einmal erhalten, aber dann hörte er nichts mehr davon. Katharina erfuhr dies und hatte den hübschen Einfall, weiteren eventuellen „Irr- türnern“ in dieser Angelegenheit einen Riegel vorzu schieben, indem sie den Fürsten Galitzin beauftragte, Diderot den Gehalt als Bibliothekar für 50 Jahre im Vorhinein auszufolgen. So ward dafür gesorgt, dass der Gehalt in die Tasche Diderots floss. Die Dankbarkeit, die der Bibliothekar der Zarin für seine Gönnerin empfand, bewog diesen, die Ein ladung Katharinas, sie in Petersburg zu besuchen, an zunehmen. Einer Einladung Friedrichs II., nach Berlin zu kommen, hatte Diderot keine Folge geleistet, ln Petersburg, wo Diderot einen Winter verlebte, empfing ihn Katharina fast täglich und verkehrte mit ihm auf so vertraulichem Fusse, dass der höfische Formen wenig gewohnte Diderot ihr einmal ganz naiv sagte: „Ich bin ganz überrascht, dass ich im Gespräche mit Ew. Majestät ganz daran vergesse, dass ich mit einer grossen Herr scherin spreche“. Katharina erwiderte lächelnd: „Warum sollen Sie es nicht vergessen, da ich mich doch nie daran erinnere?“ Im Eifer des Gespräches hatte der geistsprühende Diderot aber oft nicht nur ignoriert, dass er mit einer Monarchin, sondern mit einer Frau dis^ putiere. Er sah dann nur den genialen, congenialen Geist, dem gegenüber so kleinliche Unterschiede zu machen lächerlich wäre. Katharina erlebte da ihre blauen Wunder. In einem Briefe an Madame G e o f f r i n (der geistreichen Pariser Freundin Diderots) heisst es einmal: „Ihr Diderot ist ein sehr ungewöhnlicher Mensch. Ich komme aus keiner meiner Unterhaltungen mit ihm ohne blau und schwarz geschlagene Schenkel. Ich bin ge zwungen gewesen, einen Tisch zwischen ihm und mich stellen zu lassen, um mich und meine Glieder vor seinen Gestikulationen in Sicherheit zu bringen“. 300 Sfndunaßetn. Eine Sammlung von über dreihundert In kunabeln bringt das Bonner Antiquariat Matthias Lempertz (P. Hanstein & Söhne) am 25. Juli d. J. zur Versteigerung. Den Liebhabern alter Drucke steht also ein Ereig nis bevor, das sicherlich als seltene Ausnahme-Er scheinung auf dem Büchermärkte angesprochen werden muss. Schon die grosse Anzahl der angebotenen Inkunabeln ist dem Kenner eine Ueberraschung, wie er sie seit langer Zeit nicht mehr erlebt hat, die Freude wächst beim Durchlesen des Kataloges, denn man wird bald inne, dass es sich fast durchwegs um Stücke von bedeutendem Interesse und hohem Wert handelt. Aber nicht nur in rein typographischer Hinsicht ist diese Sammlung bemerkenswert, sondern auch des künst lerischen Schmuckes wegen, den die meisten Bücher aufweisen und der in eingemalten Initialen und Rubri zierungen besteht. Wenn wir sehen, dass die schönsten Stücke den Offizinen von Augsburg, Basel, Mainz, Strassburg, Ulm, Tübingen, Köln entstammen, so wird uns auch die künstlerische Qualität des Miniaturen-Schmuckes be greiflich, da an diesen Brennpunkten der deutschen Kultur des ausgehenden Mittelalters nicht nur die be deutendsten Künstler überhaupt, also)auch die Miniatur maler ansässig waren. Es handelt sich bei der angebotenen • Sammlung um die D u b 1 e 11 e n einer bekannten rheini schen Bibliothek und doch um ein Ganzes, wie es der zielbewussteste Sammler nicht geschlossener hätte aufbauen können. Ausser den eigentlichen Wiegendrucken verzeichnet der Katalog noch eine Reihe seltener und schöner Drucke des frühen 15. Jahrhunderts, sowie eine statt liche Anzahl Pergament- und Papierhand schriften, teilweise von bedeutendem künstlerischen und wissenschaftlichen Wert, darunter ein vlämisches Brevier des 15. Jahrhunderts mit vier sehr schönen Miniaturen. Der Katalog mit im Ganzen 422 Nummern und einer Anzahl Textabbildungen kann von oben ge nannter Firma für 15 Mark bezogen werden.