Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, Herausgeber: Norbert Ehrlich. 16. Jahrgang. Wien, 1. Jänner 1924. Nr. 1. Der SKfeßeßand. Von Max Zieg e rt, Miltenberg a. M. ln Franken, in einem Schlößchen, das noch im Besitze der altheimischen Gutsbesitzer sich befand, war ich auf eine Bibliothek gestoßen, wie sie sich der Anti quar, der kaufen will, nicht besser wünschen konnte. Der Besitz lag abseits der Verkehrsstraße bei einem Dorfe; man mußte von der Station der Nebenbahn noch ein gutes Stück zu Fuß wandern, ehe man den Rokoko bau aus rötlichem Sandstein zu Gesicht bekam, dem Ziele der Exkursion. Der Besitzer, ein älterer Landbaron, hatte keinen Schimmer von der Sache, wußte durch Hörensagen nur, daß wertvolle Bücher in der Bibliothek sein sollten und ließ mich vertrauensvoll einen Tag lang die Regale durchstöbern und schwelgen in den vor handenen Beständen. Noch sehe ich das mehrfenstrige hohe Eckzimmer vor mir, dessen Fenster von einer Seite nach dem Main hinausgingen, während die der gegenüberliegenden Wand den Blick in den Park fallen ließen. Es waren eine Reihe Inkunabeldrucke vorhanden in den Originaleinbänden lederüberzogene Eschenholz decken mit Beschlägen und Schließen, die zweifellos aus einer ehemaligen Klosterbibliothek stammten, da viele Bände das gleiche Kloster-Exlibris trugen. Eine stattliche Reihe von Reformationsschriften, zum Teil in Pergamentquartanten zusammengebunden, fand ich vor, da ein Mitglied des adeligen Geschlechtes ein leidenschaft licher Parteigänger und Anhänger Luthers gewesen war. Dann eine Fülle geschichtlicher und topographischer Werke des siebzehnten Jahrhunderts, darunter die Drucke M. Merians fast lückenlos und schließlich die Zeit der Encyclopädisten in Ganzlederbänden mit goldgepreßten Titeln. Eine recht bedeutende Sammlung von Porträts des 16. bis 18. Jahrhunderts und einige Mappen mit Kupferstichen, unter denen eine Anzahl guter Blätter sich befanden, doch Holländer und Italiener vorwiegend vertreten waren. Aber am Schluß zog ich einen mäch tigen Folioband, in altes Schafleder gebunden, hervor, der meinen Wunsch, ihn zu besitzen, aufs höchste steigerte. Neben vielen Niellen-Blättern des Augsburger Meisters und anderem Mittelgut des 18. Jahrhunderts fanden sich eine große Anzahl von frühen Ornament stichen, zahlreiche Blätter von P. Flind, Flötner und ähnlichen Künstlern vor, eine ganze Reihe Niellen, mehrere Stiche des Meisters E. S. und anderer Mono grammisten, deutsche Kleinmeister und eine Anzahl Dürer- und Schongauer-Blätter von besserer Erhaltung. Sicher war der Sammelband im sechzehnten Jahrhundert angelegt worden und waren in späterer Zeit die leeren Seiten mit Stichen neuerer Jahrhunderte beklebt worden. Nach dem Schwelgen kam das Entsagen. Mit meinem Jagdbaron war ich handelseinig geworden, aber es stellte sich heraus, daß die Bibliothek nicht verkäuflich war, da andere Verwandte des Hauses auch Besitzerrechte darauf hatten. Selbst ein Versuch, wenigstens den wun dervollen Klebeband erwerben zu können, scheiterte und ich mußte unverrichteter Sache abziehen. Von Zeit zu Zeit bohrte ich, doch immer wieder erhielt ich ab schlägige Antwort, bis ich endlich die Waffen streckte und die Sache aufgab. Jahre waren vergangen, als ich in Stuttgart auf einer Bücherversteigerung Teile der ‘fränkischen Schloßbibliothek entdeckte und nach mancher Umfrage erfuhr, daß die Bibliothek verteilt worden sei an verschiedene Erben und ein Teil davon versteigert wurde. Nach weiteren Recherchen ergab sich, daß Teile der Bibliothek nach Wertheim, nach Nürnberg, nach Bamberg gekommen waren und teils schon wieder an Anti quariate veräußert seien. Also auf nach den besagten Städten auf die Suche nach dem Klebeband. Denn jetzt, wo er vielleicht erreichbar sei, malte sich meine Phan tasie die Schätze desselben so recht verlockend aus, daß ich wahrscheinlich einen unsinnig hohen Preis da für gezahlt hätte, wenn ich das gewünschte Ziel hätte erreichen können. Ein halbes Dutzend Meister E. S., die vielen herrlichen Goldschmied-Ornament-Vorlagen, vielleicht zwanzig Albreeht Dürer, darunter Adam und Eva, Ritter Tod und Teufel, Der Traum, Hieronymus in der Zelle, Sankt Hubertus, Das große Glück, Das Selbst porträt, Die Madonna auf der Rasenbank; zirka zehn Schongauer, ungefähr fünfundzwanzig Blatt P. Flind, die vielen deutschen Kleinmeister — koste es, was es wolle, ich mußte den Band haben. Also nach Wertheim, das ganze Städtchen umgekehrt, nichts vorhanden; der Erbe, der da wohnte, hatte nur auf die Familie Bezüg liches erhalten und eine Reihe genealogischer Werke, für die er sich besonders interessierte. Nun nach Würz burg, dort war augenscheinlich der größere Teil der Bibliothek wieder zerteilt worden; Frankfurter und Mün chener Antiquare waren schon darüber her gewesen und was noch vorhanden war, nicht übermäßig begehrens wert. Aehnlich lag der Fall in Nürnberg, wohin die