Internationale <gammler£dfinijj Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde Herausgeber: Norbert Ehrlich 21. Jahrgang Wien, 15. Juni 1929 Nr. 12 Die URrmachergruppe heim Wiener Sewerhefestzug. Von Alexander Grosz (Wien). Vorüber! Nach wochenlangen Vorarbeiten, Ein übungen und anstrengender Arbeit, zu welcher sich die Sorgen wegen der bis zuletzt herrschenden un günstigen Witterung gesellten, ist der Wiener Ge werbefestzug glänzend verlaufen. Dieser Festzug sollte, konnte nicht das künst lerische Gepräge haben, welches im Jahre 1879 dem Makartfestzug eigen war. Dazu sind wir zu arm ge worden, die Alltagssorgen um das tägliche Brot sind zu groß, um die Stimmung und das Geld dafür auf zubringen. Aber wir konnten der Bevölkerung und den Fremden durch Gegenüberstellungen von Einst und Jetzt zeigen, daß wir uns wieder aufraffen, daß wir Fortsdhritte machen. Und das war der Zweck des Festzuges der Gewerbe, welcher von der Frem denverkehrskommission der Bundesländer Wien und Niederösterreich und dem Wiener Gewerbegenos senschaftsverband am Sonntag, den 9. Juni veran staltet wurde. Ein eigenartiges Gepräge erhielt der Festzüg durch die Regiekunst des Prof, Rudolf Laban, der auch den Entwurf ausarbeitete. Einzelne Gewerbe ließen nämlich nach seinen Ideen in den kurzen Ruhepausen rhythmische Tänze durch die Jugend ausführen, welche teils alten Bräuchen entnommen waren, teils neu einstudiert den einzelnen Gruppen reizendes Leben gaben. Es beteiligten sich über 6000 Gewerbemitglieder mit zirka 200 geschmückten Festwagen, im ganzen 66 Gruppen, deren Einzelaufzählung hier zu weit führen würde. Die Gruppe der Uhrmacher, die uns hier interessiert, war die zwölfte und wurde einge leitet von Chronos, dem Gott der Zeit, mit Sense und Sanduhr, flankiert von einem Tag und Nacht so wie einen die Wissenschaft vorstellenden Hahn und einer Eule, beide lebend, die von Jüngern der Uhr macherkunst getragen wurden, von einer alten Ge nossenschaftsfahne mit einer Renaissanceuhr und Standarte mit Sanduhr und der alten Genossen schaftskassette (Innungslade), von Lehrlingen ge tragen. Es folgte dann eine anmutige Tanzgruppe »Das lebende Zifferblatt«, ausgeführt von zwölf Uhrmacherstöchtern in rosafarbenen Reifröcken, mit den einzelnen Stundenziffern im Flut gezeichnet. Jedes der Mädchen hielt ein Band, das in einem sich drehenden Ring an einer Stange befestigt war, die wieder ein Kunstjünger trug. Bei jeder Gangpause wurde zu der von Pfeifern geblasenen Melodie »Oh, du lieber Augustin« eine Art Schäfertanz aufgeführt, welcher großen Beifall fand. Nach Schluß des Tan zen traten ein großer und ein kleiner Lehrling mit großen vergoldeten Minuten- und Stundenzeigern in die Mitte des Reigens und senkten die Hand gegen die Tänzerinnen, die Zeit aufzeigend. Fachlehrer H ü 111 e r von der Lehrwerkstätte in Wien hat da nach intensiver Arbeit mit seinen Schülern und Schülerinnen verdienten Beifall geerntet. Und jetzt sehen wir einige urwüchsige Figuren, den Schwarzwälder und Karlsteiner Uhrmacher, auf ihrer Kraxen allerlei alte Uhren, ihre Geschäftsreise machend, ein Nachtwächter, der alte Stundenrufer, mit Hellebarde, Laterne und einem Hund an der Leine, ein Chinese mit Gong die Stunden schlagend, vier Uhrmacher des 16. bis 18. Jahrhunderts in alter tümlicher Tracht. Von je vier Kunstjüngern auf den Schultern ge tragen eine große Sakristeiuhr des 17. Jahrhunderts und eine große holzgeschnitzte figurale Uhr des 18. Jahrhunderts, Alle Lehrlinge, zirka 30 an der Zahl, fielen durch ihre gleichmäßige kleidsame Tracht auf; weiße Hemden, grüne Schürzen, schwarze Knie hosen, weiße Strümpfe, braune Sandalen; ein die Augen erfreuendes Bild. Nun folgte ein großer Wagen, eine alte Uhr macherschmiede des 16. Jahrhunderts darstellend, mit einer Menge Lehrlingen an der Arbeit, alte eiserne Uhren herstellend und bearbeitend. Unter ihnen Peter Henlein mit einer großen Taschenuhr. Die alten Uhren, welche großes Gefallen und auch Heiterkeit erregten, waren sämtlich der Samm lung des Schreibers dieser Zeilen entnommen, der auch an dem Gesamtentwurf der Gruppe starken Anteil hatte. Den Schluß des Zuges bildete die neue Innungs fahne, von zwei Vorstandsmitgliedern abwechselnd getragen, und eine große Anzahl von Kollegen in dunkler Kleidung mit ihrem Genossenschaftsvor stand Gemeinderat Emil P a n o s c h. Der Weg vom Aufstellungsort in der Rathaus straße über Rathaus, Ring, Praterstraße bis zur Ro tunde wurde in zirka drei Stunden zurückgelegt. Bei der Rotunde erfolgte die Auflösung, was der großen einsetzenden Hitze wegen beinahe wörtlich ausge legt werden könnte. Vorüber! Hoffen wir, daß es zum Besten war.