Internationale $ammler-2eifunß Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde Herausgeber: Norbert Ehrlich 21. Jahrgang Wien, 15. April 1929 Nr. 8 cIkonen. Aus Köln wird uns geschrieben: Die Deutsche Gesellschaft zum Studium Ost europas hat jetzt im hiesigen Kunstgewerbemuseum eine Ausstellung von Ikonen eröffnet, die geeignet ist, das Interesse der Sammlerwelt auf diesen im Westen bisher wenig gekannten Kunstzweig zu lenken. Was ist eigentlich eine Ikone? In der griechisch- orthodoxen Kirche ist der ausschließlich für die Popen reservierte Raum des Presbyteriums vom Raum der Andächtigen durch die sog, Ikonostasie, eine Bilderwand, getrennt, die mit Gemälden der be sonderen und allgemeinen Kirchenheiligen ge schmückt ist. Am unteren Ende dieser Bilderwand stehen eiserne Gestelle für Weihekerzen, die von den Gläubigen den jeweils angerufenen Spezial- heiligen gestiftet werden und mit der Grund sind, warum die russischen Heiligenbilder mehr noch als die der anderen Glaubensbekenntnisse mit einer braunschwärzlichen, fetthaltigen Rauchpatina über zogen sind, was das mystische Ansehen der Tafel malerei noch verstärkt und die Arbeit des Restau rators neben den vielfältigen Uebermalungen noch erschwert. Die Ikonen sind fast ausschließlich Tafelbild werke, die auf mit Kreide und Leim sorgfältig grun diertes Lindenholz gemalt wurden. Sie sind sehr häufig mit Metallbeschlag in Filigran-, Gravier- und Schmelzarbeit, dem sogenannten Oklad, bis auf die Köpfe der Figuren verkleidet. Die Nimben (Heili genscheine) und der Halsschmuck (,,Zata“) der Fi guren sind häufig ebenfalls aus Filigran. Viele die ser Oklads waren mit schönen Edel- und Halbedel steinen besetzt. Daß dieselben heute verhältnis mäßig selten sind, darf nach den Revolutionsjahren nicht verwundern. In der Kölner Ausstellung wer den ein paar Stücke, darunter eine Ikone des heili gen Leontius von Rostow aus dem 15. Jahrhundert, mit wunderbaren Saphiren gezeigt. Interessant ist es, daß sich auf Grund alter Meisterwerke bestimmte Typen von Ma donnen herausgebildet haben, deren Urbilder durch Wunder, die sie verrichteten, im ganzen Reiche berühmt und deshalb vielfach kopiert werden. So die berühmte Gottesmutter von Wladimir, genannt ,,Wladimirskaja“, eine byzantinische Ikone, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach Kiew gebracht wurde, von wo sie um 1155 nach der Stadt Wladimir kam. Oder die ,,Kasanskaja", die Gottes mutter von Kasan, die Gottesmutter genannt ,,Sna- menje" (Wunderzeichen), die Gottesmutter ,,Umi- lenje“ (aus Elensa) usw. Wer das berühmte byzan tinische Mosaik der Kaiserin Theodora von Byzanz kennt, wird unschwer in all diesen Antlitzen der russischen Christusmutter Zusammenhänge in der Augenstellung, der Nase und der Stirn mit den Zü gen der berühmten Theodora festzustellen vermö gen. Je weiter nach Norden, desto mehr verliert sich die Aehnlichkeit. Ein Kopf des heiligen Dimi- trij von Thessalonien erinnert lebhaft an die Art ost römischer Herrscherporträts. Die alten Meister Sergiew Possad, Perwuscha, Nikifor, Simon Uschakow, der viel genannte An drej Rublew, Tichon, Iwanow, Gawriil Dimitriew, Peter und Semson Goldöbin, Peter und Michael Sa- poschnikow und manche andere haben diese Bilder mit all der gläubigen Inbrunst und dunkel bekämpf ten Brunst ihrer slawischen Seele geschaffen — für ein Volk, welches wie kaum ein anderes seine Schmerzen und Bitten vor diese Bilder trug und schon mehr von ihnen selbst als von denen, die sie darstellten, Erlösung von seinem Erdenleid erhoffte. Nun hat eine neue Zeit diese geheimnisvollen Bilder aus Kirchen, Klöstern, Palästen und Bürgerhäusern in witederhergestellter Leuchtkraft der Farbe und nach Beseitigung späterer Uebermalung ans Tages licht der westlichen Welt gebracht, und der West länder fühlt auch hier wieder wie überall, wo er mit den Aeußerungen des großen russischen Volkes zu sammentrifft, einen seltsamen Schauer in der Ah nung um die gigantische Glaubenskraft und den dä monischen Befreiungswillen dieser s'lawisöhen Seele. Die russische Ikonenmalerei, deren hier ge zeigte Werke aus der Zeit zwischen dem zwölften und achtzehnten Jahrhundert stammen, kennt eine Reihe berühmter Künstler und Schulen, von denen diese Ikonen stammen. Grundlegend ist natürlich, daß die russische Heiligendarstellung schon in ihren primitivsten Anfängen durch den Glaubenszug von Byzanz aus, und damit von den hellenischen und alexandrinischen Schulen (auch der Gräberbild kunst des unteren Nillandes), deren Sammel- und Schnittpunkt Byzanz ja war, stark beeinflußt wurde. Es muß allerdings hier auch gleich gesagt werden, daß, wie bei allen größeren Kunstrichtungen, dieser Einfluß allein nicht maßgebend war, sondern daß die russische Ikonenmalerei im Verlaufe ihrer Entwick lung natürlich eine national-russische Ab-