Internationale $amm\er-Zß\imQ Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde Herausgeber: Norbert Ehrlich 23. Jahrgang Wien, 1. Februar 1931 Nr. 3 Der JCunstgelehrtc und Sammler Claude %Anet. Von Georg Schwarz (Wien). Nachdruck verboten. Claude A n e t, dessen plötzlicher Tod auch uns, die Eingeweihten, schmerzlich überrascht hat, die es wußten, daß er seit Monaten schwer erkrankt war und sich einer ernsten Operation hatte unterziehen müssen, ist seinem Leben bis zum Ende treu geblie ben; vielseitige Pläne und Entwürfe beschäftigten noch bis in die letzte Zeit seine Gedanken, sein Schaffensdrang war ungebrochen und nur ein schweres Leiden hat es zuwege bringen können, ihn seiner Arbeit zu entziehen. Sein ganzes Leben war ein unaufhörliches Arbeiten, ein Verarbeiten von Eindrücken, von Bildern und Stimmungen, die er in unvergleichlicher Weise aus dem täglichen Einerlei herauszuheben verstand, um sie früher oder später, meist sehr spät, oft erst nach vielen Jahren, in einem seiner Werke wieder aufleben zu lassen. Wie ein verständiger und begeisterter Sammler die Kunst handlungen und Antiquitätenladen durchpirscht, um seltene Kostbarkeiten zu entdecken und oft nur rein gefühlsmäßig ein reizvolles Kunstwerk erwirbt, das auch er oft erst nach Jahren wieder aus einer Truhe holt, um eine Lücke seiner Sammlung zu füllen, so unermüdlich und geübten Blicks durchpirschte Claude Anet Länder und Menschen und in ihrem Er leben den Ausdruck der geheimsten Regungen ihrer Gefühle und Gedanken. Die Parallele zwischen dem kunstverständigen Sammler und dem geistigen Gestalter ist aber bei Claude Anet mehr als eine rhetorische Phrase, denn Anet ist tatsächlich von der Betrachtung und Schätzung der Kunstwerke, von der Kunstgeschichte, ausgegangen und hat die apperzeptierenden Neigun gen seines Geistes in ernstem Studium der bildenden Künste geübt. Während er an der Sorbonne seiner Licence es-Lettres zustrebte, hörte er auch am Ecole du Louvre die Vorträge des Kritikers und Professors der Kunstgeschichte Louis Courajed und mit seiner Licence der Sorbonne erhielt er auch sein Diplome vom Louvre. Nach Beendigung seiner Stu dien durchreiste er ein ganzes Jahr lang Italien und mit welchem gewissenhaften Eifer er hier seine Kunstgelehrsamkeit praktisch anwendete, davon zeugt sein erstes veröffentlichtes Buch, das er ,,Voyage Ideal en Italie“ betitelte und in dem er mit gleich kritischer Gründlichkeit Bilder und Skulp turen, Kunstgewerbe und Architektur alter und neuer Zeiten behandelte. Um von den vielfältigen Eindrücken der Werke weit auseinanderliegender Kunstepochen nicht verwirrt zu werden und um das Verständnis der einzelnen Kunstrichtungen vertiefen zu können, empfiehlt er darin dem Leser, von der üblichen Fahrteinteilung, die von der geographischen Lage und dem Kursbuch bestimmt wird, abzuweichen und unbekümmert um die dadurch verursachte Ein buße an Zeit, in den einzelnen Orten nur immer die repräsentativen Kunstwerke einer bestimmten Epoche zu betrachten, den Ausdrucksformen dieser bestimmten Epoche in allen Städten zu folgen, um auf diese Weise den unverwirrten Eindruck der ein zelnen Kunstepochen zu erhalten. Eine solche Reise durch Italien muß allerdings das Ideal des kunstge lehrten Forschers sein, doch die Reisegesellschaften von Cook legen auf Zeitrekorde mehr Wert, und betrachten unbekümmert Denkmale der Antike und Werke der modernen Kunst während der gleichen Rundfahrt, wenn sie bloß durch drei Sternchen des Baedekers bemerkbar gemacht sind. Claude Anet leitet seine ideale Reise durch Italien mit dem Motto: ,,I1 ne s'agil pas de tout voir, mais de voir bien. II faut savoir fermer les yeux!“ und diesem gleichen Grundsatz, den er als Jüngling für die Betrachtung von Kunstwerken empfohlen hat, blieb er auch spä ter treu, als er seine eigenen Werke schuf. Die Be schränkung, der knappe Ausdruck des Wesentlich sten, das Herausschälen der Probleme aus allem Bei werk des nicht Typischen blieben ihm stets das Ideal, dem er nachstrebte. Aber Anet selbst mußte bald seine ideale Ein stellung zur Kunst praktischen Zwecken nutzbar machen. Eine Verkettung unglücklicher Umstände hatte ihn seines Vermögens beraubt und zwang ihn, einen Erwerb zu suchen. Seine Kunststudien ermög lichten ihm, Mitarbeiter der namhaften New-Yorker Zeitschrift ..Architectural Record" zu werden und im Jahre 1900 absolvierte er eine Vertragstournee durch die Vereinigten Staaten und sprach auch an den Universitäten von Princetown und Yale und im Metropolitan Museum of Art über französische Kunst. Sein Wandertrieb war jetzt neu erwacht und wenige Jahre später durchquerte er im Auto ganz Persien und kam zum erstenmal mit asiatischer Kultur und Mentalität in Berührung. Diese Durch forschung des großen Perserreiches, der Anet einige Jahre widmete und die ihn von Baku bis nach Ispa- han und von Bokhara bis in die Berge von Belutscni- stan führte, ermöglichte ihm später, wie er selbst