Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde Herausgeber: Norbert Ehrlich 26. Jahrgang Wien, 1. Februar 1934 Nr. 2/3 Das Jnhaltliche im Bildwerk. Aus Zürich wird uns berichtet: Im Rahmen der „Akademischen Aulavorträge“, die überaus große Anziehungskraft auf das gebildete Publikum ausüben, sprach Professor Dr. Heinrich W ö 1 f f 1 i n, der bekannte Kunstforscher, über das „Inhaltliche im Bildwerk“. Ein aktuelleres Thema hätte der Gelehrte kaum wählen können, da in un seren Tagen über der Form der Darstellung der In halt vielfach zu sehr in den Hintergrund tritt, Professor Wölfflin führte im wesentlichen aus: Die Kunst unserer Zeit hegt offenbar ein großes Miß trauen gegen das Inhaltliche im Bildwerk, und zwar, wie die Jahresausstellungen der großen Städte zeigen, nicht nur die abstrakte Kunst, „die sich der Ver pflichtung entschlägt, sich mit dem Inhaltlichen cin- zulassen.“ Man konstatiert überall ein auffallendes Distanzhalten von allem, was einen stofflichen Anreiz bieten könnte. Schon die bloße Spannung des Gegen ständlichen wird beiseitegesd.oben; was geeignet wäre, ernstere Gemütsbewegungen auszulösen, wird weggelassen. Unter den Landschaften fehlt die „Stimmungslandschaft“ immer mehr. Und doch braucht es kein sentimentaler Schmarren zu sein, wenn jemand eine Landschaft mit Feierabendstim mung malt. Wohl gibt es noch Genrebilder, aber z. B. das Thema der kartenspielenden Bauern wird nur noch in der allgemeinen Konfiguration, nicht in ein gehender Charakterisierung gegeben. Das Volk ist dem Maler nicht mehr interessant genug. Die „Groß väter“ sind in der Kunst ausgestorben, kaum; noch das Thema „Mutter und Kind“ wird dargestellt. Schlagend, absolut einleuchtend wird diese Tendenz dokumentiert durch das Fehlen des erzählenden Bil des, der Historienmalerei, an der sich das Publikum früher in allererster Linie erlabte. Diese Wandlung vollzog sich schon im 19. Jahr hundert, doch ist der Impressionismus nicht allein daran beteiligt. Man glaubt, dasjenige, was Gemüt und Geist interessieren kann, lenke ab vom eigent lichen, im Formalen begründeten Inhalt des Kunst werks. Der „Inhalt“ erscheint als entbehrlich, ja so gar als schädlich. Triumphierend weist man auf schlechte Historienbilder und Genredarstellungen hin. Die gute Malerei brauche keine Reize des Inhalt lichen. Liebermann sagte, eine gut gemalte Rübe sei mehr wert, als eine schlecht gemalte Madonna. Man kann diesem Ausspruch zustimmen, wenn man Kunst mit guter Malerei gleichsetzt. Doch wurde auch schon gesagt, diese gut gemalte Rübe sei mehr wert als eine gut gemalte Madonna. Die Reinheit des Künstlerischen leide unter dem Hineinspielen außer künstlerischer Werte. Die alte Kunst lebt fast durchweg aus dem Stoff lichen, Heute hat sich das Publikum mit dem Tat bestand abgefunden, daß die Kunst in einem Reini gungsprozeß das Inhaltlich-Wichtige von sich getan habe. Das W i e ist entscheidend, das Was ist irre levant. Aber ein Murren wird von Zeit zu Zeit ver nehmlich. Die Folge der „Reinigung" ist eine Ent fremdung, Die Beziehungen zwischen Kunst und Le ben sind bedenklich dünn und fadenscheinig gewor den, trotz allen Bemühungen, die Kunst dem Volke nahezubringen. Der Kontakt ist heute schwächer als je. Wie sollen wir uns nun zu diesem Fragenkom plex verhalten? Früher sah man oft mehr auf den In halt als auf die Form; dadurch wurde das Publikum verdorben. Aber es ist ein Fehlschluß, wenn man glaubt, wegen der schlechten Historienbilder von früher dürfe man überhaupt keine solchen mehr malen, wenn man etwas auf sich halte. Es ist zu un tersuchen, inwiefern sich Inhalt und Form verbinden und ob ein geistiger Inhalt Form gewinnt, so daß er gegen die ästhetische Kritik immun wird. Das Inhalt liche muß man als etwas Selbstverständliches in die Hand nehmen und es gestalten; man muß ein Uner setzliches in die Welt setzen, nicht Literarisches wiederholen, Dürers A.postelgestalten geben etwas, was über alle Bücher hinausgeht, Die Lichtbilder, die in sicher ausgewählter Reihe dargeboten wurden, beschränkten sich im Wesent lichen auf das 19. Jahrhundert. In anschaulicher Weise stellte Prof, Wölfflin dar, wie beim „Floß der Medusa“ von Gericault ein furchtbares Drama gestaltet wird, wie Feuerbachs „Iphigenie“ die große Sehnsucht des Menschen zum Ausdruck bringt, wie das „Vespergebet“ von Mi 11 et ein Bauern motiv zum großartigen Stimmungsbild steigert. Ein stark empfundener Inhalt ist ganz in der Form auf gegangen. Daneben gibt es pompöse Geschichtsbilder wie die aufgeschreckten Königskinder von Dela- röche, den „Kolumbus“ und den toten Wallenstein