ER SACRUM. = moderne= HOLZSCHNITTE Von OTTO JULIUS BIERBAUM. W ir sind lange farbenblind gewesen oder wenigstens farbenscheu; da haben uns die Maler die Augen auf gemacht und den Muth zur Farbe wiedergegeben. Wie sie uns dadurch bereichert haben, das spüren wir heute nicht bloss an unserer Lyrik, sondern auch an den Kleidern unserer Frauen und an den Tapeten unserer Wände. Es ist heller um uns geworden, und ich glaube, auch in uns. Gepriesen sei die moderne Palette! Aber die moderne Kunst ist nicht einseitig; die Be wegung in ihr beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Ge biet, auf eine einzelne Technik; wie sie allen Nationen gemeinsam ist, so umfasst sie alle Erscheinungs- und Aus drucksformen ihres Wesens. Eine Zeitlang war die Bewe gung allerdings rein aufs Malerische, Farbige gerichtet, und in dieser Zeit konnte es den Anschein haben, als sollten wir für den Gewinn an Farbe etwas nicht minder Köst liches aufgeben müssen: den Reiz der Linie. Damals führten die Franzosen das Regiment, die ganz im Farbigen aufgiengen und mit der Farbe so kühn experimentierten, dass bei einigen die Linie als solche überhaupt verschwand. Aber auch dieser Überschwang hat seine Re- action gefunden, und diese geht in der Hauptsache von den Künstlern mit ger manischem Blute aus. Der Geist Dürers, den Hans Thoma den grossen Feind aller Unbestimmtheit genannt hat, wachte auf. In den starken br aunen Contouren, die wir auf zahlreichen Bildern des Frankfurter Meisters bemerken, kam zum erstenmale wieder die derbe Lust es Deutschen am strengen Umriss zum Ausdruck, aber erst mit der Neubelebung er angewandten Kunst, die gleichfalls in er Hauptsache germanischen Geistes ist, begann diese Linienlust sich auf ihr eigenstes Gebiet zu besinnen, auf die Holzschneidekunst. Wie diese, die ehedem in Deutschland so herrlich geblüht hat, erst schritt- und dann sturzweise herunterge kommen, wie aus der Holzschneidekunst die Xylographie geworden ist, wissen wir, denn wir haben es mit angesehen, wie sie sich, in der thörichten Begierde, mit den photo typischen Techniken zu wetteifern, ihrem eigensten Wesen entf remdet hat.* Der Umrisssch nitt war nicht bloss vergessen, er galt sogar für unmöglich; ihn wiederzubeleben, brauchte es die künstlerische Selbstsicherheit von vornehmen Un zeitgemässen, wie es z. B. die Künstler waren, die für die Morris’schen Bücher zeichneten und schnitten. Der moderne Umrissschnitt begann also mit Buch schmuck, und dies ist ganz natürlich, wenn man bedenkt, dass der Holzschnitt oder wenigstens die zeichnerische Holzschnittmanier die einzige Technik ist, die wirklich dem Buche gemäss ist. Trotzdem braucht man nicht Prophet zu sein, um zu sagen, dass in Zukunft nur sehr wenig Buchschmuck in Holz ge schnitten werden wird. Unzweifelhaft wird die Holzschnittmanier, die starke Strich zeichnung, sehr bald die einzige sein, die ein Künstler von Geschmack anwendet, wenn er ein Buch mit Zierstücken oder Illustrationen auszustatten hat; denn jede andere Manier wirkt inmitten der Buch druckertypen fremd und störend, aber, da die Zinkätzung imstande ist, das genaue Facsimile einer Strichzeichnung wiederzu geben, so ist es ganz erklärlich, dass die Künstler die bequemere Arbeit mit Feder auf Papier der ungleich mühsameren mit dem Messer auf Holz vorziehen. Es liegt unstreitig eine Gefahr darin, und der vor- Buchschmuek für V. S. gez. v. Jos.Hoffmann Schutzstangen- hälter aus Mes sing v. C. Adalb. Fisohl. * In Georg Hirths schöner Sammlung ,,Meister-Holzschnitte aus vier Jahrhunderten“ ist übrigens Gelegenheit geboten, zu sehen, wie schnell die Holzschnitttechnik ihrem innersten Wesen, nämlich der grossen und starken Einfach heit abtrünnig geworden ist.