VER SACRUM.
V erziertesNoten-
manuscript. Ge -
dicht v. Stephan
Milow. Für V. s.
gesetzt von Jos.
Reiter. Zeich -
nung von Jos.
M. Olbrich.
Entwurf zu einem
Glasgemälde v. Sta -
nislaw Wyspianski.
H
VER SAOM
Entwurf für Fläch en-
decoration. Für V. S.
gez. v. Jos. M. Olbrich.
VER SACRUM.
DER ENGLISCHE STIL.
I n einer Runde von Wiener Künstlern und Kunstfreun -
den wurde neulich über den englischen Stil discutiert.
Wie sollen wir uns zu den Bemühungen des Hofraths
Scala verhalten? In einer recht lebendigen, ja bald leiden -
schaftlichen Weise gieng das Gespräch hin und her. Wir
wollen versuchen, in ein paar Sätzen die Meinungen an -
zugeben, die dabei laut geworden sind. Wie man sehen
wird, wollen ja eigentlich alle dasselbe; es strebt ihm nur
jeder auf seine Art nach. Man begann damit, dem Hofrath
Scala gegen die Tapezierer recht zu geben. Es sei eine
gute That, dass er die Herrschaft der paar grossen Tape -
zierer gebrochen habe. Gegen sie müsse man auf seiner
Seite sein. Die Frage sei nur, ob uns viel geholfen werde,
wenn unsere Handwerker nun anfangen, englische und
amerikanische Möbel zu copieren, also doch noch immer
nicht aufhören, wieder zu copieren.
Ein Fanatiker für den englischen Stil schilderte nun,
wie dieser mit seiner grossen Sachlichkeit, die genaue
Kenntnis des Materials verlangend und mit der feinsten
Präcision das Bedürfnis befriedigend, die beste Schule sei;
durch ihn würden wir erst wieder richtige Handwerker
bekommen, und es sei der Handwerker, nicht der Künst -
ler, der die Hauskunst ausüben solle. Diese Bemerkung
wird mit Unwillen aufgenommen. Man mag das „Hand -
werker oder Künstler“ nicht gelten lassen, sondern „Hand -
werker und Künstler“. Jeder Künstler müsse auch ein gutes
Stück Handwerker sein, jeder Handwerker soll zum Künst -
ler erzogen werden.
Gegen den englischen Fanatiker erhob sich ein öster -
reichischer Schwärmer: Keine deutsche Renaissance, aber
auch keinen englischen Stil, beide sagen uns nichts, son -
dern einen Stil im Wohnen, der unserem Dialect im
Reden, unserer Musik, unseremTanzen entsprechen würde,
einen österreichischen Stil! Wie soll der sein? DerSchwär-
mer gibt zu, das nicht zu wissen, nur zu fühlen; es lasse
sich etwa durch die Worte Mozart, Grillparzer, Kahlen-
berg, Prater und Walzer umschreiben.
Indessen war ein thätiger Künstler ein bischen unge -
duldig geworden und rief aus: „Was englisch, was öster -
reichisch! Der Künstler mache, was ihm gefällt, und mache
es so, wie es ihm gefällt! Dieses ewige „du sollst“ — du
sollst englisch sein, du sollst österreichisch sein — ist das
Verderben der Künstler. Für den Künstler gibt es kein:
Du sollst das! Er kann nicht schaffen, was er soll; es drängt
ihn, zu schaffen, was er muss, nach seiner Natur muss.
Man lasse mich doch machen, was ich empfinde! Man
lasse mich doch bauen, wie es nach meinem Gefühl schön
ist. Man lasse mich nach meinem inneren Gebote bauen!
Das ist unser Unglück, dass wir das nicht dürfen, dass der
Architekt gehindert wird, seiner Schönheit zu gehorchen,
dass wir „auf Bestellung“ schaffen sollen! Solange die
Maler beim Malen gefragt haben, was dem Publicum ge -
fällt, haben sie schlecht gemalt. Künstler sind sie erst ge -
worden, als sie angefangen haben, so zu malen, wie es
ihnen selbst gefällt, aus ihrem Drange heraus, ohne nach
dem Publicum zu fragen. Dann hat das Publicum auf ein -
mal nach ihnen gefragt. Solange die Architekten beim
Bauen fragen müssen, wie es das Publicum haben will,
werden wir nichts leisten. Dass wir uns commandieren
lassen sollen, ist unser Unglück, ob es jetzt zur „deutschen
Renaissance“ oder zum englischen oder zu einem öster -
reichischen Stil ist. Wir wollen nicht commandiert wer -
den. Wir wollen jeder nach seinem individuellen Stile
schaffen!“
Ein Vermittler erlaubte sich nun anzufragen, wie
sich denn das mit dem Bedürfnisse des Publicums vertragen
könne, das doch auch seinen Geschmack habe und nicht
aufgeben wolle: „Ich will doch in meiner Wohnung
wohnen. In meiner Wohnung, das heisst, sie soll so sein,
wie ich es als schön empfinde. Sie aber, Herr Architekt,
wollen nur etwas schaffen, das Sie als schön empfinden.
Das wird dann eben Ihre Wohnung sein. Wenn Sie mir
aber statt meiner Wohnung Ihre Wohnung geben, so werde
ich nicht zufrieden sein.“
Der Architekt replicierte: „Dann gehören wir zwei
eben nicht zusammen, wenn das, was ich als schön em-
VER SACRU
pfinde, von Ihnen nicht als schön empfanden wird. Dann bin
ich nicht der Architekt für Sie und Sie sind nicht mein
Publicum. Jeder Künstler kann nur für das Publicum
schaffen, das ihm conform ist.“
Über das Wort „conform“ wurde disputiert. Ein Theo -
retiker sagtet „Wir wollen es so formulieren der Künstler
kann nur für jene geistige Kategorie schaffen, der er selber
angehört.“ _
„Sagen wir einfach; für die Leute seiner Race. wart
jemand ein. Da meldete sich sogleich der österreichische
Schwärmer wieder und sagte: „Bitte, recapitulieren wir
einmal! Also es ist gesagt worden, dass der Künstler, ohne
nach dem Publicum zu fragen, nur der Schönheit gehor -
chend, die er bei sich fühlt, schaffen soll. Das Publicum
mag dann sein Werk betrachten und, indem es auf sein
inneres Gefühl hört, beurtheilen, ob dieser Künstler zu ihm
gehört. Es wird sich für jenen Künstler entscheiden, der
dieselben Empfindungen in seinen Werken ausspricht, die
es selbst hat. Wird es sich nicht also für den österreichi -
schen Künstler entscheiden müssen? Wird nicht der Künst -
ler, der am tiefsten die Art unseres Volkes bei sich spürt
und sie am reinsten auszudrücken weiss, über alle anderen
siegen? Aber dann hätten wir ja den österreichischen Stil,
nach dem ich mich sehne!“
Der Architekt erwiderte: „In dieser Weise können
wir Ihre Forderung gelten lassen. Wir sind Österreicher,
wir empfinden,wie unser Volk empfindet. Indem wir kein
anderes Gesetz als unsere reine Empfindung anerkennen
und trachten, dieser ihren vollkommenen Ausdruck zu
geben, sind wir gewiss, dass wir zu unserem Volk in seiner
Sprache reden werden. Entschliessen sich unsere Künstler
nur, in ihren Werken ganz sie selbst zu sein, niemals nach -
zugeben, nichts zu schaffen, das sie nicht fühlen, so haben
wir von selber, was uns kein Reden und kein Wünschen
geben kann, so haben wir eine österreichische Kunst. Auf
dem Wege zu ihr wollen wir den englischen Stil nicht ab -
weisen. Er mag uns eine Schule sein. Alles, was die anderen
können, sollen wir auch können, aber dann fangen wir erst
an: mit diesem grossen Können der anderen wollen wir uns
dann bemühen, wir selbst zu sein. Die Kunst ist nicht dazu
da, zu zeigen, was wir gelernt haben, sondern wir wollen
lernen, um endlich frei aussprechen zu können, wie es uns
ums Herz ist. Trachte jeder, seine inneren Stimmen zu ver -
nehmen! Trachte jeder, rein seine Schönheit zu äussern,
wie er sie in der Seele trägt! Das sei unser Gesetz. Quälen
wir uns nicht ab, einen Stil zu machen! Wenn wir mit der
Einfalt und Redlichkeit der alten Meister, in reiner Ge -
sinnung, unserem Gefühl gehorchen, dann wird jener öster -
reichische Stil, von dem wir alle träumen, von selber werden.
Wahrheit des Gefühls, Reinheit der Gesinnung, Treue zu
sich selbst — das seien unsere Führer!“
Mit diesen guten Worten des Architekten giengen
die Freunde auseinander. H. BAHR.
V0
VER SACRUM.
Gartenmauer.
Studie v. Job.
M. Olbrieh.
= DER DILETTANTISMUS
= die NEUE VOLKSKUNST. =
(Lichtwark.)
Aber es sind neue Entwi-
ekelungs-Keime bereits vor -
handen, deren Pflege eine
neue künstlerische Cultur
verspricht Das ist der seit
einem Jahrzehnte mächtig
auflebenae Dilettantismus
der höheren Stande, der ge -
radezu die Volkskunst un -
serer Zeit geworden ist
(Lichtwark.)
Wie kann man das Kunstgewerbe heben? Diese Frage
ist jetzt, wo der Zusammenhang einer allgemeinen Kunst-
ewegung den Menschen wieder einmal zum Bewusstsein
gekommen ist, eine der actuellsten.
Versuche nach allen Richtungen wurden bereits ange -
stellt und manches Experiment zeigte glückliches Gelingen,
o beginnt man die Lehrmethode der Gewerbeschulen zu
rc orm ^ eren ‘ So agitiert man bei den Industriellen, sie mögen
von modernen Malern, welche für die Sache Interesse haben,
sich einzelne Modelle schaffen lassen, statt wie bisher sich
ihre sogenannten „Anregungen" aus den Museen und Zei -
chenschulen zu holen.
Alles das ist vortrefflich, aber es genügt nicht. Trotz
alldem werden die neuen Blüten des Kunstgewerbes immer
nur Blüten eines künstlich gezogenen Treibhaus-Frühlings
sein. Das wahre, echte, alles mitreissende, unaufhaltsam
drängende Frühjahrsknospen ist es nicht. Und doch zeitigt
nur dieses künftiges Leben. Ein kräftiges, alle Bestrebungen
einigendes Zusammenfassen thut noth. Die Zerfahrenheit,
welche bis jetzt auf dem Gebiete des kunstgewerblichen
Schaffens geherrscht hat, heischt klares, übersichtliches
Ordnen.
In Deutschland geht man ernstlich daran, diese Fragen
zu lösen. Erst unlängst hat in München eine Gruppe von
deutschen Bildhauern, Architekten und Industriellen die
vereinigten Werkstätten für „Kunst im Handwerk" ge -
gründet, welche „Anbot und Nachfrage in Sachen des neuen
Kunsthandwerkes" regeln wollen.
1USEUM
/ KUNST
vTHEK
Zwei Bilder-
rahmen. Ent -
worfen v. J.
Hoffmann.
Zweck dieser Gesellschaft ist:
Punkt I. Sie bezahlt entweder den Künstlern ihre
neuen Entwürfe bar und ermöglicht deren Ausführung
unter ihrer Leitung, oder sichert den Künstlern Gewinn -
anteil, ohne jede Geschäftsgefahr für sie.
Punkt II. Sie bestellt und bezahlt den Handwerkern
eine grössere Anzahl von Stücken und übernimmt den ge -
schäftlichen Vertrieb, ohne Gefahr für sie.
Punkt III. Sie liefert den Geschäftsleuten die ver -
langten Stücke und sorgt für einen möglichst ruhigen
Vertrieb.
Punkt IV. Sie bietet dem Käufer oft und zu mässigen
Preisen Erzeugnisse des neuen Kunsthandwerkes an.
Punkt V. Sie gibt Künstlern Gelegenheit, in den
Werkstätten technische Kenntnisse zu erwerben.
Man sieht, dass Käufer, Künstler, Handwerker und
Geschäftsleute in engste Wechselwirkung gebracht werden
sollen. — Noch tiefer und gründlicher sind die Versuche,
welche der „grosse Lichtwark“ in Hamburg zur Populari -
sierung des Kunstgewerbes machte.
Wir werden nach einigen Betrachtungen allgemeiner
Art versuchen, seine Bestrebungen eingehender zu charak -
terisieren.
Nicht aus der Übercultur einzelner kann eine grosse,
rasche, allgemeine Verbreitung des Schönheitsgefühls ent -
stehen, wenn auch dies ein führender Factor ist, sondern
es muss auf einer breiten, allgemeinen Basis das Verlangen
nach Veredlung aufkeimen.
Und dies Verlangen zu wecken, es dem Volke ein -
zupf lanzcn, gibt es nur ein Mittel — die Förderung des
Dilettantismus. So wie es einen musikalischen Dilettantis -
mus gibt, der zur Verbreitung von Meisterwerken, zur
Hebung des musikalischen Geschmacks unendlich viel
beigetragen hat, so kann auch in der Zeichen- und Bild -
hauerkunst, sowie in den decorativen Künsten ein Dilet -
tantismus gezogen werden, der die allgemeine Production
auf ein höheres Niveau hebt. Genau so wie das Gehör ge -
bildet werden kann, muss auch dem Auge ein veredeltes
Schauen anzuerziehen sein. Kunstgefühl muss so in Fleisch
und Blut übergehen, wie dies in Wien mit dem musikali -
schen Fühlen der Fall ist. Unbewusst und instinctiv muss
es vorhanden sein.
Man glaube nicht, dass wir dem kunstgeschichtlichen
Unterricht das Wort reden wollen. Es ist jetzt sehr modern
geworden, unsere Mädchen Kunstgeschichte lernen zu
lassen. Der meist ganz oberflächliche Überblick, den sie
bekommen, genügt gerade, um sie zu einem unfruchtbaren
Kriticismus zu führen. Sie lernen vielleicht einen Rembrandt
von einem Tizian unterscheiden. Aber das ist ja ganz un-
nöthig. Sie sollen nur die Schönheit eines Rembrandt,
eines Tizian fühlen können.
Und dazu werden sie am ehesten gelangen, wenn sie
selbst, sei es in der Zeichenkunst, sei es in kunstgewerb -
lichen Künsten, sich zu bethätigen suchen. Es wäre nicht
schwer, die jetzt kommende Generation zu gewöhnen, sich
davon Rechenschaft zu geben, wie nach ihrer eigensten
Vorstellung ein von ihnen benöthigter oder gewünschter
Gegenstand aussehen soll. Es würde in ihnen dann bald
das Verlangen rege, selbstschöpferisch sich zu bethätigen.
Die Mädchen könnten dann endlich aus der Phase ihrer
Congress-Stickereien und Smyrna-Teppich-Imitationen
heraustreten, welche eigentlich auf keiner höheren Stufe
stehen, als einstens der perlgestickte Stiefelzieher und die
Pantoffeln auf Canevas. Eine Ausstellung von Hand -
arbeiten, wie wir sie dieses Jahr im kaufmännischen Verein
zu sehen bekamen, mit ihrer jammervollen Banalität wäre
bald unmöglich. Die Nachbarschaft der Stickereien des
VER SACRUM.
Münchener Obrist und der Volkserzeugnisse von Scherre-
beck wirkten geradezu niederschmetternd.
Auch die Erlernung des Holzschnittes bietet durch
die grossartige Vereinfachung der Linie keine besondere
stehTr\T Sk A itr da ^ I<: lm engsten Zusammenhang
stehend und zur echten Amateurkunst durch ihre Intimität
j» Original-Bucheinband. - Durch
Selbstbethatigung auf diesen Gebieten würde dem Dilet
tantismus ein weites Feld eröffnet werden.
Der Director der Kunsthalle in Hamburg hat
bereits vor Jahren sein Augenmerk dahin gerichtet, den
Dilettantismus bei der herankommenden Generation zu
fordern. Er sicnerte sich die Unterstützung der Lehrer
m den öffentlichen ochulen, er machte bei den Frauen
Propaganda für seine Anschauungen und erreichte wirk-
lich in kurzer Zeit eine auffallende Popularisierung der
Zeichenkunst und des Kunsthandwerkes. Nun gien? er
einen Schritt weiter. 5 s
Damit die zutage getretenen Kräfte sich nicht zer -
splittern mögen, um ein zielbewusstes Vorwärtsschreiten
zu erlangen, schuf er die Organisation des Dilettantismus.
Es wurde die Gesellschaft hamburgischer Kunstfreunde ge -
gründet, welche Sammler, Kunstfreunde und Dilettan-
ten zusammenfasste. Diesen stellte Lichtwark die Kunst -
halle behufs zeitweiser Dilettantenausstellungen zur Ver-
tugung. Die erste dieser Ausstellungen fand im Jahre 1894
^\ Ga ^.y + a 1 hfheitS8 ' etr f U,ohneAüS s c heidu n gdes Schlech-
en, des Mittelmassigen, hatte man die mannigfachen Ver -
leben ^ U v1 e \ VerS L hkc! fr nSte n Kunstgebieten der öffent-
manrb« k uhe ^ ehcn ; Vi ^ar unzulänglich,kindisch;
manches ganz überraschend gut*
c f . , AuCh Was der Kunst tiebhaber bei Juwelieren,
Tde ke r<.“ ntl P ecoratcuren nach eigenen Angaben und
Ideen fertigen liess, fand Zutritt. ä
rb k D ! eSe Ausstellung wirkte auf den Dilettanten, wel-
her bisher seine Arbeiten nie einem kritischen Vergleiche
seWR°f e u hattC ' S ° anfeuernd ' das Interesse, welches
seine .Bestrebungen naturgemäss in der Familie hervorriefen,
t-1° ‘^ ensiv ' dass mit e i nem Schlage ein gesundes,
naturiich 65 Kunstmitempfinden die weitesten Kreise ergriff,
c < emgewerbe, der Handel haben nur davon profitiert,
sieb e : n t Da men c °mite der „Hamburger Kunstfreunde“
zu erb e ^Eäftigt, Typen von billigen Blumenvasen
anfr ? Öen ' Iiessen dk Modelle von kleinen Töpfern
und j n UnC ^ d j e ^ atte ’ weil sie zweckmässig, schön
licbrT- n . gedacht war ' wissenden Absatz. Viele ähn-
C orl Spie e J W 4- ren , 2U erwähn en. Bei Tapezierern, De-
u-l uren und Tischlern hob sich der Consum beträcht-
MHL,,Tl LeUte ' W , e l che früher ? ai ' k «nen Wert auf das
ten b!u ? n> ^ weIchem sie ihr tägliches Leben verbrach-
pe/cnnlPt! 71611 p öt2 J k h den Sinn, ihr Heim wohnlich und
c zu gestalten. Allerdings mussten die Gewerbe -
treibenden sich auch der Mühe unterziehen, ihren Horizont
zu erweitern mussten den höheren Anforderungen eines
feinfühlenden Publicums zu genügen trachten. Sie hatten
die gute Einsicht, sich nicht gegen eine Bewegung zu stem -
men, welche ja doch nicht einzudämmen war, undgiengen
mit Eifer daran, alle Erzeugnisse des englischen, französi-
sehen und ämerilc&nischen Stiles ihren Kunden zugänglich
zu machen. Dadurch ist die Entwickelung eines Hamburger
Stiles bald zu gewärtigen. Ohne Protest-Meetings abzu -
halten, ohne Kassandrarufe auszustossen, lenkten sie ein in
die neue Bahn.
Unglaublich, nicht wahr? Mit einem aufgeklärten,
unterrichteten und mit allen neuen Kunstäusserungen ver -
trauten Publicum sollte ein besseres Geschäft zu machen
sein, als mit stumpfen, gleichgiltigen, philiströsen Schimmel -
menschen? — Lächerlich!
Spiegel und
Möbel für
einAnklelde-
zimmer. Ent -
worfen von
J. M. Olbrich.
VER SA
Buchschmuck
flirV.S. gez. v.
J. M. Olbrich.
Die Wiener Gewerbetreibenden werden das nicht so -
bald einsehen. Erst bis auch bei uns der Dilettantismus eine
Macht geworden sein wird, erst bis dadurch das allgemeine
Niveau der künstlerischen Bildung sich gehoben hat, erst
bis das Publicum selbst in peremptorischer Weise dem
Kunsthandwerk höhere Aufgaben stellen wird, dann erst
dürften unsere „Abderiten“ ihren Widerstand auf geben.
Aus der Familie, aus dem Hause muss die Regene -
ration des Kunstgewerbes ausgehen. Wir müssen Menschen
erziehen, die ein unpersönliches, kahles Zimmer unerträg -
lich finden, denen schlechtgestimmte Farben, hässliche Pro -
portionen direct körperliches Unbehagen verursachen, hie
werden dann — besonders die Frauen mit ihrem ebenso
ästhetischen als praktischen Sinn - Forderungen stellen,
aus denen sich der wirklich künstlerische Gebrauchs -
gegenstand entwickeln wird. Billig, logisch und dem Auge
^ Denn vorläufig ist das Kunstgewebe noch zu sehr
Zier. Es muss erst urwüchsiger werden durch die tägliche
Gemeinschaft — in der Familie. B. ZUCKERK ANDL.
Einfache fV6e=ei_
VER SACRUM.
Buchschmuck
für V. S. gez.
v. Solo Moser.
ABBRUCH.
Über Wiener Cultur. Von G. Gugitz»
IEN steht im Zeichen
des Abbruches. Staub -
wolken verhüllen uns
die gerühmte Schön -
heit der Stadt und zu -
gleich auch den unend -
lich traurigen Anblick
einer gefallenen Ver -
gangenheit. Aber alles
das, was da abgebro-
, , , , . , was d-Dgeoro-
chen wird, sind die Dinge allein, eine leere Form, der Geist da-
von, cer gleichfalls in der Vergangenheit wurzelt, ist nicht
abgebrochen und noch mehr ist in diesem als in den Dingen
etwas Baufälliges, daran er krankt. Und immer wieder sieht
die alte Vergangenheit unter dem neuen Gewand hervor.
Es ist wahr, wir alle können es nicht verwinden, wenn
uns Dinge geraubt werden, die für uns einmal eine Ent -
wickelung bedeutet haben, die mit unserer Cultur Zusam -
menhängen oder in unserem Wesen einen zärtlich gehegten
atz ausfüllen. Und wir Wiener, Gefühlsmenschen par
excellence, erst recht nicht. Und so begleitet das Demolieren
eines Barackenhauses immer ein heimliches Weinen, und
wenn die Form auch verschwunden ist, jetzt erst scheint
mr hinn dem Wiener in seinem Trotz lebendig zu werden.
Aber es ist auch ein wahrhaft inneres Bedürfnis da; wir
e f° cn ein Stück Cultur schwinden, für das augen-
blicklich kein Ersatz da ist. Und dass wir eine Cultur ge -
nabt haben, steht wohl ausser Zweifel.
Wien ist keine Parvenustadt, die Stadt hat sich ihren
u m, ihre Schönheit auf weiten Wegen erworben und
as ann sie auch nicht vergessen. In einer glanzarmen
egenwart soll sie aufwachen, die rauschenden Feste und
ie arbigen Maifahrten soll sie aus ihren Sinnen treiben,
as ist freilich alles verschwunden, aber das Blut ist nicht
avon gereinigt worden, nur dicker und sinnlicher wurde
es nach diesen Leckerbissen. Und so baut eine schmerzlich
ermisste Vergangenheit an allem Neuen heimlich mit.
. < . n ,. n } an ma ? zum Theil recht haben, wenn man
. ^ ner llch gegen den Abbruch wehrt, der, nehmen wir
wiH Z m- an2 Y ört ^ c k' den Localcharakter der Stadt zerstören
Wie schön war das Wienufer und seine Anlagen, wo
sich die stillen Tragikomödien der Unbekannten abspielten,
und sich noch wundersam in die neue Zeit verlorene Com-
plexe von alten Häuserchen hinstrecken, die von Berg zu
Thal gehen, mit geheimen Gängen, vergitterten Fenstern,
Heiligenbildern und barocken Zieren, und man sagt, dass
einige Dichter bei diesen Abbrüchen am Ende bankerott
würden. Nun breiten sich graue Schutthaufen, die Parvenu -
stadt ist im Zug. So will scheinbar alles gehen und je mehr
die Demolierung um sich greift, umsomehr sucht man nach
der Vergangenheit, eine Sentimentalität, die zu falschen
Tönen greift, und mit ihr eine schlimme Reaction macht
sich da geltend. Jedes „Werkel“ kann da Wunder ver -
richten mit seinen Strauss- und Lanner-Walzern. Alles,
was dieser Ruhe, die der linde Hauch vom Süden bringt,
gefährlich zu werden scheint, wird mit einer rührenden
Consequenz angefeindet.
Nun ist es freilich sehr merkwürdig, warum man
sich so gegen diese Einflüsse wehrt, die eine alte, lebens -
schwache Cultur zerstören und eine frische, jüngere an -
bahnen wollen, denn, was die Wiener machen, machen sie
mühelos wie im Tanz und immer liegt ein gewisses Timbre
über jedem Ding, die kostbare Erbschaft
einer jahrhundertelangen Cultur, die uns
unzerstörbar im Blut liegt. Was liesse sich
auf solchen Fundamenten nicht wieder
bauen! Nun haben wir den Gürtel, der um
unsere Stadt lag, zersprengt, den Linien -
wall, wie vormals die Basteien, und es ist
nur verwunderlich, dass sich nicht wieder
eine Schar Wiener Dichter wie ehemals
Bauernfeld bei den Basteien an den Kaiser
bittlich gewendet hat, da die Zeiten immer
schwieriger würden und der Erwerb ge -
ring, diesen Ort so köstlicher Anregung
stehen zu lassen. Nun sollten wir doch über
die „Linie“ kommen. Nun ist an die Stelle
des Linienwalles die Stadtbahn getreten;
man hat jetzt und früher nicht darüber ge -
sehen, nun freilich empfinden alle, als
ob da draussen wo etwas Feindliches
wider die Stadt geplant würde. Freilich,
Buchschmuck
für V. S. gez.
V. J.Hoffznann.
Blumengestell.
Entwurf von
Jos. Hofönann.
Haus an der
Landstrasse.
Entwurfvon
J. M. Olbrich.
der Linienwall ist ein Märtyrer, aber die Linie besteht,
nur weiter draussen.
Das wäre ein Beispiel. Und das geistige Leben
nimmt das Gesicht seines Milieus an. Es will keine
Umwandlungen kennen, ewig wärmt es sich in dem
müden Glanz einer untergehenden Sonne und lässt
sich gehen; es glaubt, sein Capital könnte sich nie
erschöpfen, es kommt von diesen abzubrechenden
Sachen nicht weg, weil die Cultur davon nicht weg -
kommt, die immer typischer wird. Von der Gegen -
wart ist nur die Form, aber die Consequenz dieser
Form ist nicht logisch, sie ist kein Ausfluss eines inne -
ren Wertes, sondern sie bedeckt nur die Scham eines
ihr entfremdeten Wesens. Dieses der Zeit entfremdete Wesen
wurzelt in so verschiedenen feindlichen Typen, die niemals zu
einer Einheit führen können, zu einem culturell bestimmten
Individuum. Jeder Typus gibt sich auf seine Fa?on natürlich,
die schon für den anderen nicht mehr bestimmend ist. Man kann
hier keine Formen verbinden, weil ihre Ursachen durch diese
Typen weit auseinander liegen, weil jeder Typus auch eine ver -
schiedene Cultur hat. Das culturell bestimmte Individuum jedoch
gibt auch die EINE neue bestimmende Form, die auch nicht wie -
der bloss von aussen angeflogen kommt. Das ist auch das sociale
Moment im Wiener Culturleben, dass sein Horizont sich mit ei -
genen Augen erweitern sollte. Und dazu muss man das culturell
bestimmte Individuum schaffen.
Und so beginnen auch die Wiener Künstler nur langsam
mit dem Abbruch, weil eine neue Gattung lange nicht so sicher
ist, als die mit rührender Sorgfalt gepflegten Herkömmlichkeiten.
Ja, die „reine Kunst“ des seligen O. F. Berg ist oft nicht weit von
der der Wiener Modernen entfernt. Nur die Methode hat sich da
geändert. Manweiss jetzt einfach differenciertere Typen zu geben,
die aber noch weniger Cultureinheit geben, sondern nur die
Manier des Wienerischen, das sogenannte Wiener „Backhendel -
thum“. Man traut sich nicht aus den warmen Betten der Pietät,
denn die Gegenwartsluft weht zu scharf und könnte manches
reizende Spiel zerstören. Mourir ou parvenir gilt nicht. Und so
kommt es dahin, dass sich ein recht unangenehmes Epigonenthum
breit macht. Grillparzer ist da ein ganz gutes Geschäft, denn wer
jetzt reuig schlechte Verse macht, kommt der ganzen reactionären
Sehnsucht nach der classischen Vergangenheit nahe. Und da wir
jetzt die Congress- und Schubert-Ausstellung gehabt haben,
wieder ein Stück Wiener Zeitpsychologie — so ist die Bieder -
maierzeit noch im Wert gestiegen, ein unglaublicher Kunststerilis-
mus macht sich mit ihrem Stil geltend* Bei einer solchen Stirn-
mung, die noch so mit dem ewigen Hinblick auf dieVergangenheit
genährt wird, ist es begreiflich, dass sich die Speculation des dum -
men Kerls von Wien mit seinem Backhendelthum bemächtigt.
„Erkrankte Liebe ist mein ganzer Zorn . . .“ Nicht diese
schädlich-lähmende Vergangenheit, dieses Sündigen auf ein paar
rührende oder kostbare Andenken und das Kokettieren mit eine 1
müdgewordenen Cultur soll uns bestimmen, das geht auf die
Kosten der Jugend, die mit solchen Trümmern, die zu schmerzlic
schon herübergerettet wurden, nicht zur Ordnung kommen kann.
„Dieser Ekel würgt mich, dass mir Könige selber falsch würden,
überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväterprunk,
Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten und wer
heute alles mit der Macht Schacher treibt.“ (NietzscheJ n
wenn wir so lange rückwärts blicken und uns wie ganz Kleine
um das spärliche Licht erkaltender Sonnen drängen, wer en
wir uns selbst vergessen und unsere Harmonie wird weiter nie
als ein Streberthum sein, der Einklang mit einer faulen Mac
Harmonie ist keine Unterordnung von Anbeginn, sondern as
Resultat eines weitgegangenen Kampfes, und dazu ist jeder au
sein eigenes Wesen gestellt. Aufräumen müssen wir zuerst, um
zur Ordnung zu kommen.
0 SACRUM.
Freilich, man will nur
eine „Ruh'“ haben. Wir
packen vieles mit Begeiste -
rung an, um es den näch -
sten Tag spurlos zu ver -
gessen. Dazu kommt eben,
dass uns nie die Augen vor
lauter Schmeichelhaftig-
keiten über unser Wesen
auf gehen. Man hat das alte
Sich-gehen-lassen in den
neuen Formen nicht finden
können und nach jedem
Schritt nach vorwärts wird
eine bedenkliche Umkehr
gehalten, aus Mitleid mit
den Typen, die sich in
EINE Form nicht finden
können. Darum hat das
Mittelmass bei uns noch
immer rauschende Um -
kehr gehalten. Es weiss sich
an die Tradition heranzu -
schmeicheln, ein echter
Streber, desErfolges sicher,
und trägt sie mit sich weiter.
Und wenn schon ein -
mal etwas abgebrochen
werden soll, so lassen die Wiener dasFremde besorgen. Sie
wollen nicht entschlossen Hand anlegen bei Dingen, deren
Schäden sie selbst am besten kennen, da sind sie zu „weh -
leidig“. Und nun bekommen wir so fremde Formen, in
die wir uns nicht hineinleben können, über die wir stolpern
und die den Abbruch als etwas Schäd -
liches erscheinen lassen. Man sehe
doch nur, wie unsere Stadt architekto -
nisch bestimmt wird. Diese Formen
sind ja nicht aus unseremWesen wieder
hervorgewachsen. Und was könnten
die Wiener gerade in ihrer Mühelosig -
keit für Ausgangspunkte gewinnen,
da sie noch dazu das gewisse Capital
haben und der mannigfache Nationa -
litäteneinfluss von jeher eine feinere
Differencierung hervorruft. Aber aus
sich selbst können die Wiener keinen
Anstoss wagen. Und dazu unterstützt
eine Kritik der „Liberalität“ — man
weiss, was das heisst — das kläglichste
Lpigonenthum, um nur selbst das Wort
zu behalten, wenn man dem Publicum
seine Reaction noch einredet.
Immer packt man dann den Wie -
ner bei seinem Gefühl, das
mit den zersetzenden Ein -
flüssen im Widerspruch
steht. Jede destructive Er -
scheinung ist ihm nicht
wieder ein Ausgangspunkt,
sondern ein wahrhaftes
Ende, WO die Zukunft Entwurf von
in Sack und Asche geht. J M ' olbTlch
Die Lustbarkeiten liegen
schon tief im Phäakenblut.
Und so werden auch man -
che Feste noch einen aus
der Ferne erborgten Glanz
herleihen müssen, um die
böse Wirklichkeit zu be -
mänteln. So aber merkt
derW iener denRückschritt
nicht, die Formen täuschen
ihn, und sein Wesen fühlt
nur eine Schädigung im
tieferen Sinn eines Ab -
bruches, der mehr als ein
paar alte Unterkünfte ver -
langt.
Es muss noch immer
sonntäglichzugehen, wenn
auch die ganze Sache nur
ein „Gschnas“ ist. In diesem culturlosen Wort scheinen
sich dieWiener selbst persiflieren zu wollen. Der Geschmack
unseres Publicums wurzelt eben im „Gschnas“, d. i. die
Vereinigung aller Culturlosigkeit, die für je einen Typus
bestimmend ist. Mit diesem zusammenhanglosen Ge -
schmack nun sollte man fertig werden.
Nun sind ja Künstler daran, damit
aufzuräumen, und es wäre nur zu
hoffen, dass sie ihre erste sociale Auf -
gabe, C ultur zu bringen, vollauf erfüllen
würden, indem sie sie darin bestärkten,
dass sie weniger ihren Rückhalt im Pu -
blicum, als in sich selbst suchten. Denn
nur so kann die Kunst bildend wirken,
wenn sie dem Publicum die Wege vor -
schreibt undnamentlichdarauf bedacht
ist, dem Publicum wieder Interesse in
ihren Strömungen zu erregen und sich
so eine wahrhaft sociale Stellung zu er -
obern. Freilich werden sich auch die
Künstler dabei Zu modificieren haben,
und zwar in dem culturellen Sinn, dass
wohl das Treibende und Anregende in
ihnen die grosse Gesellschaft bringt,
aber die bestimmende Form erst von
D^yHAv^^vr-DFALA^DSTaAss^
Decoratives G-efäss. Entwurf
von Jos. M. Olbrich.
>10
VER
Buchschmuck
flirV. S. gez.v.
Jos. Auchen-
taller.
den Künstlern ausgeht, so dass die Kunst auch wirklich
organisch mit dem Leben verbunden ist und nicht bloss
eine zufällige Form bedeutet.
Bis jetzt sind allerdings nur tüchtige Decorateure ver -
langt worden, wie Makart einer war, Decorateure für die
Festlichkeiten. Das Wiener Makart-Bouquet in seiner ver -
staubten Aufgeblasenheit ist ja auch so ein äusseres Zeichen
für die Armut an neuer Cultur. Und so wird alles alte Ge -
rümpel nothdürftig mit billiger Zier verkleidet, damit es
sich der neuen Zeit nicht schämt.
Für die neue Wiener Cultur aber wird sich etwas
Merkwürdiges ergeben, in welche Theile man auch blicken
mag. Überall bringt sie Formen, die sie schwerlich bestim -
men können, die nicht aus dem Kern ihrer eigenen Natur
wirken, die rein äusserlich sind, ohne einen organischen
Zusammenhang mit dem Wiener Wesen. Es werden nur
lauter angeflogene Decorationen sein, die über den Augen -
blick hinwegtäuschen. Trotzdem aber können sie vielleicht
bestimmender wirken, als es lieb ist. Es kann so kommen,
dass einmal eine Form auch ein ihr fremdes Wesen mit
sich zieht und abbricht, was dieses dumpf und schwer
macht. Es wäre das ein kleiner Fortschritt, der aber viel -
leicht auch nur ein Übergang ist;
denn werweiss, ob mit einer solchen
Zwangsveränderung etwas ge -
schaffen ist. Zum mindesten ist, wie
bei allem, was von der Form ab -
hängt, ein Parvenu-Charakter zu
befürchten. Noch immer ist das
wahrhaft Bildende aber in der
Wandlung des Innerlichen zum
Product gelegen, nicht in der um -
gekehrten Folge.
Besser wird es erst werden, wenn
langsam jenes Wiener Geschlecht
aussterben wird, das zu viel in die
Vergangenheit geblickt hat und
noch immer nicht aus der Trunken -
heit eines verflossenen Festes aufwachen kann, bei den
traurigen Scherben desselben sich noch den vollen Glanz
zurückruft. Dieser reactionäre, larmoyante Trieb muss
ausgemerzt werden, bei dem nur „ein blutlos Volk von
Gegenwartsverächtem“ (Loris) sich glücklich fühlen kann.
In denen aber wie immer auch ein dumpfes Gefühl eines
culturlosen Zustandes wohnt, das wie etwas lebendig Ge -
wordenes an den Grabwänden pocht, den Druck eines eng -
gewordenen Milieus abschütteln und hinaus will, diesen
muss man Zurufen: „Werdet hart!“ — Und hier in Wien
muss man um so eifriger darauf hören, denn unsere südliche
Weichheit, die Behaglichkeit, der ein günstiges Geschick
so vielen Genuss an lebendiger Schönheit zuführt, lässt
uns ewig die Hände in den Schoss legen, wenn noch dazu
die schmeichlerische Erinnerung an eine Zeit kommt, wo
wir wahrhaftig viel durch unsere Cultur bedeutet haben.
Dahin geht ja auch ein tiefes Wort Grillparzers: „Wir sind
Deutsche, ja, aber wir sind halt auch Österreicher!... Die
Luft ist hier zu weich, die Frauen sind zu schön und die
Strauss'sche Musik geht uns zu sehr ins Blut. Das Tüpfel -
chen auf dem i fehlt all unseren ernsten Arbeiten und wir
vergessen vielleicht nur oft daran, — weil gerade ein „Wer -
kel“ unterm Fenster unsere Lieb -
lingsmelodie orgelt...“
Ja, die Lieblingsmelodie ... •
Aber auch die gibt sich aus und wird
banal. Wenn wir immer später damit
abbrechen werden, dann wird unser
Gefühl immer grausamer vergewal -
tigt werden, um so härter werden
wir die Zeit empfinden. Darum soll -
ten wir jetzt schon hart werden, dass
jede krankhafte und feige Rührung
von uns Wienern schwinde und wir
uns wieder in einer Cultur stärken,
die jetzt in nicht viel mehr als in einer
rein äusserlich-decorativen Form
besteht, hinter der die Leere gähnt.
Decoratives Gefäss. Ent -
wurf von J. M. Olbrich.
VER SACRUM.
ICHT UND LUFT.
Von
PAUL SCHEERBART.
Über das Schablonenhafte
der europäischen Wohnhaus -
architektur sind bereits so viele
garstige und giftige Artikel
geschrieben worden, dass es
t > a. j r ~ kaum noch zu verlohnen
“♦ ° ft 9 eSa?te mit an ^eren Worten zu wieder-
holen Das ist auch nicht nöthig, denn der Tadel alleTn
docfan Wn h bCSSer t: Un . d aufs Besserma chen kommt's
doch an. Wollen wir aber dieses fördern, so müssen wir
zunächst die Wurzel des Übels erkennen - wir müssen
“Tf? FaIIe Wlss fL welchem Umstande das Schablo-
,.ch»»8 vtZkT «ta« Ent.
, j-rfk g Iaube ’ djc Wur 2 el des Übels erkannt 2 u haben:
em Überflüsse an durchsichtigen Fensterscheiben verdankt
MÄMntt HMMg das Schablonenhafte der europäi -
schen Wohnhausarchitektur seine Entstehung.
fcr a fr 44 ^ üs ( sen architektur ist die Schablonisierungs-
kratt der durchsichtigen Fensterscheiben ohne Weiteres in
fc *“? en SI T*i nd ' Abct auch die Innenarchitektur ist
durch dieusuellenFensterarrangementsinderEntwickelung
nach allen Seiten behindert.
Die Fensterscheiben nehmen 2 u viel Raum ein, so
ass eine symmetrische Vertheilung des Glases nur schwer
zu umgehen ist.
Warum aber nehmen die Fensterscheiben 2 u viel
Kaum em ?
Diese Frage ist sehr leicht 2 u beant -
worten: die Fenster dienen nicht bloss der
Uchteufuhr, sondern auch der Luftzufuhr —
dadurch wurden sie 2 u gross.
Und diesem beklagenswerten Um -
stande verdankt die europäische Wohnhaus-
architektur in letzter Linie den langweiligen
militaristischen Uniformcharakter.
Die unnatürlichen Dimensionen des
j 4 r « sc .heibenmaterials sind natürlich auch
dadurch bedingt, dass man überall Ausblicke
en will. Dies ist aber nicht so wichtig,
, CS n " dnc Folge der schablonenhaften
n,l e M rchit , ektuf ist; man kann ' s eben kei-
Blfrfc • , en verar gen, dass er überall einen
im I m Ic * fc * e Natur haben möchte, wenn's
int» nnern seincf Behausung so öd und un-
eurnnv af i! aU ^! eht — w ‘ c heutzutage im
P ischen Wohnhause beinahe überall.
Wenn's irgendwo mal ein bischen wohnlich in Europa
aussieht, so kann man fast regelmässig behaupten, dass
die Haupteffecte guten orientalischen Vorbildern zu ver -
danken sind, oder: wir haben ein richtiges Künstler-Atelier
vor uns.
t,.. r. ^,* e kommt es nun, dass die Künstler-Ateliers so
au ig einen m architektonischer und decorativer Hinsicht
befriedigenden Eindruck machen ?
Ja, das ist doch nur durch die anders geartete Licht-
Zufuhr zu erklären.
Wollen wir also dem gewöhnlichen Wohnzimmer
einen dem Atelier entsprechenden wohnlichen Charakter
verleihen, so müssen wir auch im gewöhnlichen Wohn -
zimmer die Lichtzufuhr anders arrangieren als bisher.
.. , ^d das werden wir immer können, auch in räum-
ich sehr beschränkten Zimmern, wenn wir die Öffnung,
WI 5 kicht einführen, nicht gleichzeitig zur
Einführung der Luft gebrauchen. Dann kann das Fenster
hoch hegen und jede beliebige Form haben. Es braucht
auch nicht durchsichtig zu sein — es kann in allen Reo-en-
bogenrarben niederglänzen.
Zur Einführung der frischen Luft brauchen wir keine
grossen, leicht zu öffnenden Fenster mehr. Die Luft kann
aut besonderen Wegen durch Extra-Vorrichtungen herbei -
gepumpt werden.
Die ganze Beweglichkeit der Innenarchitektur hat
erst dann freien Spielraum, wenn die Lichtwege von den
Luftwegen getrennt sind.
Werden die Fenster eines Hauses ohne Rücksicht auf
die Luftzufuhr vertheilt, so wird das ganze Haus innen und
aussen vollkommen umgewandelt.
Die einzelnen Möbel sind nicht mehr an bestimmte
Plätze gebunden; man ist im Arrangement nicht mehr be -
hindert, wenn man nicht mehr eine ganze
Wand für die anmasslichen Fensterscheiben
reserviert sieht. Das Licht kann in der be -
quemsten Weise von oben oder aus einer
Nische — wo man gerade will — eingeführt
werden. Aber eine ganze Wand beansprucht
die Lichtzufuhr nicht mehr, höchstens die
obere Hälfte der Wand, so dass das Ar -
rangement der Möbel im ganzen Zimmer
nicht mehr behindert wird.
Und mit der veränderten Lichtzufuhr
erhält naturgemäss auch das äussere Aus -
sehen des Hauses einen ganz anderen Reiz.
Alles wird anders.
Und wenn die Interieurs endlich einmal
für den feineren Geschmack geniessbar ge -
worden sind, so wird auch die Neigung,
überall einen Ausblick haben zu wollen, all -
mählich verschwinden. Man wird zufrieden
sein, wenn man nur in einem oder in zwei
Buchschmuck
für V. S. ge?,.
v Kolo Moser
Decoratives
Gefäss. Ent -
wurf v. Jos.
M. Olbrich.
Zimmern ein ausgesucht interessantes Bild der Aussenwelt
erhält; man wird es dann nicht mehr verstehen, dass man
einst die durchsichtigen Fensterscheiben ohne W ahl überall
anbrachte. u
Es gibt also ein Radicalmittel, das ein neues Haus
unter allen Umständen aus dem Schablonencharakter
herausheben muss: man bringe nur Licht und Luftauf ver -
schiedenen W egen ins Haus — und die ästhetische Wirkung
wird nicht ausbleiben.
Man schaffe die durchsichtigen Fenster mindestens
zur Hälfte ab und ersetze das Öffnen der Fenster durch
Luft-Accumulatoren. ,
t Selbstverständlich kann eigentlich nur das freiste -
hende, nach allen Seiten gegliederte Einzelhaus einen An -
spruch auf architektonischen Wert erheben. Aber auch das
Grossstadthaus könnte durch eine Revolution im Fenster -
arrangement ein künstlerisches Ansehen bekommen.
Jedenfalls müsste es bei allen Neubauten modern
werden, Licht und Luft auf verschiedenen Wegen ins Haus
zu führen.
STUDIEN ZUR DECORATIVEN AUSGESTAL -
TUNG EINES HAUSEINGANGES VON JOSEF
HOFFMANN.
ER SACRUM.
DIE POTEMKIN’SCHE STADT.
Wer kennt sie nicht, die Potemkin’schen Dörfer, die
?!f t S ?n Ue r GunstI ‘ ng Kat harinas in der Ukraine erbaut
hatte. Dörfer aus Leinwand und Pappe, Dörfer, die die
ltf^M Hatten ' einC Einöde für die A «?en Ihrer kaiser-
hchen Majestät in eine blühende Landschaft zu verwan-
ÄÄS s,ad ’■ oB d “ «-
Das ist wohl auch nur in Russland möglich!
... , IC otemkin sehe Stadt, von der ich hier sprechen
de!,' IS R UnSef ‘ ebcS Y icn scIber - Eine schwere Anklage,
auch Schwer gingen wird. Denn
w . .. e da2u Hörer von so sensitivem Rechtsgefühl,
den sind” UnSCrer Stadt Icidcf noch recht spärlich zu fin-
Si , ch füf , etwas Höheres ausgibt, als er ist, ist
Hochstapler und verfällt auch dann der allgemeinen Ver-
tung, wenn niemand dadurch geschädigt wurde. Wenn
Im Lr emand diCSCn Effcct düfch faIsche S ^ne und andere
das .lTc W t r idlen sucht? Es gibt Länder, wo ihm
man^k hC Sc , hlck f aI zutheil werden würde. In Wien ist
Gefüf»! C J n °eh nicht so weit. Nur ein kleiner Kreis hat das
del v n ,fÄ S „ unmoralische Handlung, ein Schwin-
die falcrli ^iti. f d d * esen Effect sucht man nicht nur durch
tun» df, C • t. rkctt f' nicht nur durch die Wohnungseinrich-
dern'a«.ri, S j a , us , at f* ef Imitationen zusammensetzt, son-
z n erreichen UrC ^ d ** ^ obnun g, durch das Wohngebäude
mi
Architektoni -
sche Studie v.
J- Hoffmann.
Buchschmuck
für V. S. gez. v.
Josef Auchen-
taller.
VER SAi
Entwurf für
Seidenstickerei
von Ad. Böhm.
Wenn ich den Ring entlang schlendere,
so ist es mir immer, als hätte ein moderner
Potemkin die Aufgabe erfüllen wollen, je -
mandem den Glauben beizubringen, als wurde
er in eine Stadt von lauter Nobili versetzt.
Was immer auch das renaissierte Ita -
lien an Herren-Palästen hervorgebracht hat,
wurde geplündert, um Ihrer Majestät der Plebs
einNeu-Wien vorzuzaubem, das nur vonLeu-
ten bewohnt werden könnte, die imstande
wären, einen ganzenPalast vom Sockeibis zum
Hauptgesims allein innezuhaben. Im Parterre
die Stallungen, im niedrigen, untergeordneten
Mezzanin die Dienerschaft, im hohen, archi -
tektonisch reich durchgebildeten ersten Stock -
werke die Festräume und darüber die Wohn-
und Schlafräume. Einen solchen Palast zu
besitzen, gefiel den Wiener Hausherren gar
wohl, in einem solchen Palast zu wohnen, ge -
fiel auch dem Mieter. Dem einfachen Mann,
der auch nur das Zimmer und Cabinet im
letzten Stockwerke gemietet hatte, überkam
auch etwas von feudaler Pracht und Herren -
grösse, wenn er sein Wohngebäude von aussen
betrachtete. Liebäugelt nicht auch der Besitzer
eines falschen Brillanten mit dem glitzernden
Glase? O, über den betrogenen Betrüger!
Man wird mir einwenden, dass ich den
Wienern falsche Absichten unterschiebe. Die
Architekten sind schuld daran, die Archi -
tekten hätten nicht so bauen sollen. Ich muss
die Baukünstler in Schutz nehmen. Denn jede
Stadt hat jene Architekten, die sie verdient.
Angebot und Nachfrage regulieren die Bau -
formen. Derjenige, der dem Wunsch der Be -
völkerung am meisten entspricht, wird am
meisten zu bauen haben. Und der Tüchtigste
wird vielleicht, ohne je einen Auftrag erhalten
zu haben, aus dem Leben scheiden. Die an -
deren aber machen Schule. Man baut dann
so, weil man’s eben gewohnt ist. Und man
muss so bauen. Der Häuserspeculant würde
am liebsten die Fa?ade glatt von oben bis
unten putzen lassen. Das kostet am wenig -
sten. Und dabei würde er auch am wahrsten,
am richtigsten, am künstlerischesten handeln.
Aber die Leute würden das Haus nicht be -
ziehen wollen. Der Vermietbarkeit wegen ist
der Bauherr gezwungen, diese, und gerade nur
diese Fa?aden anzunageln.
Jawohl, anzunageln! Denn diese Renais -
sance- und Barockpaläste sind nicht einmal
aus dem Material, aus dem sie hergestellt er-
(m
mm
m
Mt
scheinen. Bald geben sie vor, aus Stein, wie
die römischen und toskanischen Paläste, bald
aus Stuck, wie die Wiener Barockbauten ge -
baut zu sein. Sie sind keines von beiden s ihre
ornamentalen Details, ihre Consolen, Frucht -
kränze, C artouchen und Z ahnschnitte sind an -
genagelter Cementguss. Gewiss hat auch diese
Technik, die erst in diesem Jahrhunderte in
Anwendung kommt, ihre volle Berechtigung.
Aber es geht doch nicht an, dieselbe auf For -
men, deren Entstehung mit der Beschaffenheit
eines bestimmten Materials eng verknüpft sind,
nur deswegen anzuwenden, weil ihrer Anwen -
dung keine technischen Schwierigkeiten im
Wege stehen. Aufgabe des Künstlers wäre es
nun gewesen, für das neue Materiale eine neue
Formensprache zu finden. Alles andere ist
Imitation.
D ar auf kam es dem Wiener der letztentJau-
epochen auch gar nicht an. Ihn freute es sogar,
mit so geringen Mitteln das theuere Material,
das als Vorbild diente, nachahmen zu können.
Als echter Parvenü glaubteer, dass die anderen
den Schwindel nicht merkten. Das glaubt der
Parvenü immer. Von der falschenHemdbrust,
dem falschen Pelzwerk, von all den imitierten
Dingen, mit denen er sich umgibt, glaubt er
sicher,dass sie ihren Zweck vollständig erfüllen.
Allein diejenigen, die über ihm stehen, diejeni -
gen, die dieses Parvenu-Stadium schon über -
wunden haben, die Wissenden also, sie lächeln
über die nutzlosen Anstrengungen. Und mit
der Zeit gehen auch dem Parvenü die Augen
auf. Bald sieht er dieses, bald jenes bei seinen
Freunden, das er früher noch für echt gehalten.
Dann gibt er’s resigniert auch auf.
Armut ist keine Schande. Nicht jeder
kann in einem feudalen Herrensitz auf die
Welt gekommen sein. Aber seinen Mit -
menschen derartiges vorzuspiegeln, ist lächer -
lich, ist unmoralisch. Schämen wir uns doch
nicht der Thatsache, in einem Hause mit
vielen anderen, uns social gleichstehenden
Menschen zur Miete zu wohnen. Schämen
wir uns doch nicht der Thatsache, dass es
Stoffe gibt, die uns als Baumaterial zu theuer
wären. Schämen wir uns doch nicht der 1 a
sache, Menschen aus dem 19. Jahrhundert
zu sein, und nicht solche, die in einem Hause
wohnen wollen, das seiner Bauart nach em
früheren Zeit angehört. Ihr würdet dann sehen,
wie schnell wir den unserer Zeit ureigen
Baustil erhalten würden. Den haben wir au
!VER SACRUM.
sowie so, wird man einwenden. Ich meine aber einen Bau -
stil, den wir mit gutem Gewissen an die Nachwelt überlie -
fern könnten, auf den noch in der fernen Zukunft mit Stolz
hingewiesen würde. Diesen Baustil aber hat man in unse -
rem Jahrhundert in Wien nicht gefunden. Ob man aus
Leinwand, Pappe und Farbe Holzhütten darzustellen sucht,
DECORATIVE
LANDSCHAFT
VON A.BÖHM.
iunar** fc
enen glückliche Bauern leben, oder aus Ziegel und Gleiche. Über der Wiener Architektur dieses Jahrhundertes
ementguss Steinpaläste errichtet, in denen feudale Gross- schwebte der Geist Potemkins,
Herren ihren Sitz haben könnten, im Princip bleibt es das ADOLF LOOS.
VER SACRUM.
Ist die Architektur noch eine Kunst? Fast möchte
man es zu verneinen suchen. Der Architekt hat weder
innerhalb der Künstlerschaft noch im Publicum den Stem -
pel des vollen Künstlerthums. Der unbedeutendste Maler,
er kleinste Bildhauer, der schwächste Schauspieler und
er unaufg-eführteste Componist nehmen uneingeschränkt
ie Künstlerschaft für sich in Anspruch und dieselbe wird
ihnen von der Welt auch willig gegeben. Aber der Archi-
.? , m “f s schon Hervorragendes geleistet haben, ehe man
ihn in die Reihen der Künstler aufnimmt.
<, . Factoren haben gearbeitet, das Prestige der Ar-
5' /j ten A 2U unter g r aben. Der erste ist der Staat, der zweite
‘A.-^i'chitekten selbst. Der Staat hat an seinen techni-
en Hochschulen Prüfungen eingeführt und die Prüflinge
s au en sich nun berechtigt, auf Grund der mit Erfolg abge -
legten Prüfung den Berufsnamen Architekt wie einen Titel
führen zu können. Diese Farce gieng sogar so weit, dass man
an die Regierung mit dem Ersuchen herantreten wollte, die
Bezeichnung Architekt als Titel für die absolvierten Tech -
niker der Hochbau-Abtheilung gesetzlich zu schützen. Dass
damals das ganze gebildete Wien nicht in ein grosses, be -
freiendes Lachen ausgebrochen ist, zeigt wohl bereits zur
Genüge, wie tief schon durch diese Prüfungen die Meinung
ins Volk gedrungen ist, als ob die Architektur eine Sache
wäre, die man erlernen könnte und über deren Beherr -
schung man sich ein Zeugnis ausstellen lassen könnte. Man
denke sich die ganze Bewegung nur auf die Musik über -
tragen. Das Componieren, dem Schaffen des Architekten
so innig verwandt, sollte nach der Meinung der Conserva-
toristen nur jenem gestattet sein, der eine Prüfung am Con-
Arahitektoniache
Stadien von Job.
Hofftnann. Aua
„Der Architekt“.
Verlag von Ant.
Sohroll & Co.
19
ENTWURF FÜR
GLASMOSAIK V.
A. BÖHM.
■Ä' 91
servatorium abgelegt hätte. Wie lächerlich uns das wohl anmuthen würde, weil
die Musik für uns noch eine absolute Kunst ist. _ ,
Für den wahren Künstler sind die Gründe, die damals von den titelsuc
tigen Technikern angeführt wurden, vollständig hinfällig. „Jeder Maurerjunge
kann sich jetzt Architekt nennen.« Wenn’s ihn freut, warum denn nicht.
Wurde der Ruhm Beethovens und Wagners verdunkelt, weil sich der Verfass«
eines Couplets Componist nennt? Hat es Lenbach und Menzel je geschadet,
dass sich jeder Anstreicher Maler heisst? Sicher nicht. Wie sehr hatten sich
aber die beiden blamiert, wenn sie dieses Umstandes wegen den staatlichen
Schutz für die Bezeichnung Maler verlangt hätten! Die Feder sträu t sic
gegen eine solche Zumuthung. « .
Mehr noch als das Prüfungswesen aber haben sich die Architekten se
geschadet. Sie haben sich selbst degradiert und die Welt ist eben darau
eingegangen. Die meisten unserer jungen Leute sind, trotz des iie <
den sie für sich in Anspruch nehmen, trotz ihrer künstlerischen Befähigung,
eben nur Bauzeichner. Für einen Monatslohn, der dem eines schlecht geza _ en<
nicht besonders fähigen Comptoiristen gleichkommt, verdingen sie sich an au
Unternehmer, Baumeister und Architekten, deren Mittel es erlauben, 00
20
VER SACRUM.
eigenes Atelier zu halten. Auch die Arbeitszeit ist die des commerciellen
rbeiters. Ob nun seine künstlerische Überzeugung mit der seines Brotherrn
ubereinstimmt, ist diesem „Architekten“ gleichgiltig. Meistens hat er ja gar
arbeitet er gothisch, während ihn im nächsten Bureau die italieni-
sc ~L™ na * ssance a ^ s alleinseligmachend begeistern muss. Und er sagt zu allem
ja. w ohl macht er sich im Kreise seiner Gesinnungsgenossen über seinen Chef —
man sieht, wie kaufmännisch man sich schon unter Architekten ausdrückt —
ustig und glaubt, was Wunder wichtig zu thun, wenn er über den alten Zopf
0S2I ~^’ Und den nächsten Tag, Schlag acht Uhr, ist er schon wieder frisch
am Werk.
j- Hätte unser künstlerischer Nachwuchs auch den moralischen Muth, seine
berzeugung allen finanziellen Anfechtungen zum Trotz kräftig zum Ausdruck
zu bringen, dann würden sich die segensreichen Folgen im Ansehen unserer
M Un, t i e * nste ^ en * Seht auf eure Brüder von der Malerei, Bildhauerei und
, u j™ • Uie können für ihre Kunst, sollte es darauf ankommen, hungern und
arben. Und das muss der können, der den schönsten Ehrentitel tragen will,
den das Volk zu verleihen hat: Künstler!
ENTWURF FÜR
LEDERMOSAIK
VON A. BÖHM.
BuohEchmuck
lur V. s. gez.
v. Kolo Moser.
Über Veranlassung des
Ministeriums für Cultus und
Unterricht wird die Heraus -
gabe illustrierterBiographi en
österreichischer Künstler des XVIII. und XIX. Jahrhunderts
vorbereitet. Es ist das Erscheinen einer Reihe solcher Bio -
graphien in zwangloser Folge und zu massigem Preise in
ESTERREICHISCHE
KÜNSTLER -
BIOGRAPHIEN.
Aussicht genommen. Die einzelnen Bände sollen sowohl
das Leben und Schaffen hervorragender Meister aus den
verschiedenen Ländern Österreichs schildern und charak -
terisieren , als auch zusammenfassende Darstellungen von
Gruppen gleichzeitig lebender und gemeinsam wirkender
Künstler aus unserem Vaterlande enthalten. Die Ver -
öffentlichung ist für ein grösseres Publicum bestimmt und
soll, auf zuverlässigen Grundlagen gearbeitet, populäre
Darstellungen bieten. Der Illustrierung und Ausstattung
soll besondere Sorgfalt gewidmet werden. Für die Aus -
führung der ersten Bände sind bereits bewährte Fachmänner
gewonnen. Die Redaction des ganzen Unternehmens hat
der Professor für Kunstgeschichte an der Wiener Universi -
tät, Dr. Franz Wickhoff, übernommen. Der erste Band,
die Biographie Pettenkofens von Ludwig Hevesi, dürfte zu
Weihnachten J898 zur Ausgabe gelangen. M.
VER
Initial und
Zierleiste für
V. S. gez. von
J. Hoffimann.
Blumenvase mit
Stiels 1Utzen von
Jos. M. Olbrich.
MITTHEILUNGEN DER VEREINIGUNG —
BILDENDER KÜNSTLER ÖSTERREICHS. =
atzungsgemäss fand am 5. Mai die Jahresversammlung der Ver -
einigung als Generalversammlung statt. In derselben wurde bei
der Neuwahl des Vorstandes der derzeitige Präsident, Maler Gustav
Klimt, wiedergewählt; der Arbeitsausschuss für dasmeue Geschäfts -
jahr setzt sich zusammen aus den Malern Rudolf Bacher, Ado»
Böhm, Josef Engelhart, Karl Mo», Rudolf v. Ottenfeld und Bild -
hauer Othmar Schimkowitz. Das Comite der Zeitschrift „Ver
Sacrum“, Architekt Josef Hoffmann, Maler Koloman Moser und
Maler A»red Roller, wurde wiedergewählt. Es wurden neu ernannt:
Ordentliche Mitglieder:
Wilhelm List
Franz Hohenberger w ! cn *
Rud. Jettmar ^ cn>
Karl Müller * W I Cn ‘
Richard Müller Dresden.
Jules de Kollmann . raris.
Correspondierende Mitglieder:
Martin Henri * p ar ! S ‘
Lagarde Pierre * ar ^ s '
Besnard Paul Albert PaMS>
Billote Rene ^f‘ s *
Brankwyn Frank * London.
Kroyer Peter Severin Kopenhagen.
RopsFelicien * Pafis ‘
Sargent John Singer London.
SwanJ.M London.
Thaulow Fritz , f Die PPf-
ThomaHans Frankfurt a. M.
Die Herren Bildhauer k.k. Professor Josef Myslbeck in Prag
und Maler Alois Delug in Bozen sind aus der Vereinigung ausge -
treten. Das Mitgliederverzeichnis umfasst jetzt 54 ordentliche und
63 correspondierende Mitglieder.
Der Erfolg der Ersten Ausstellung der V ereinigung (26. März bis
15. Juni) übertrifft bei weitem alle Erwartungen. Abgesehen von dem
ständig regen Besuch, hat das kaufkräftige Publicum Wiens dem
jungen Unternehmen die grösste Sympathie entgegengebracht. Bis
zur Drucklegung dieser Nummer (15. Mai) sind 126 Verkäufe abge -
schlossen worden, so dass ungefähr die Hälfte aller verkäuflichen Ar -
beiten der Ausstellung bereits in hiesigenP rivatbesitz übergegangen ist.
Am 28. April d. J. fand auf dem Bauplatze am Getreidemarkt
die feierliche Grundsteinlegung zu dem eigenen Ausstellungsgebäude
der Vereinigung statt.
Für den Umschlag dieses Heftes wurde eine Skizze zu einer
gewebten Tapete von Alfred Roller verwendet; das Titelblatt des
Ausstellungsheftes war eine Umzeichnung unseres Ausstellungs-
placates von Gustav Klimt. Die Kunstbeilage zur Gründerausgabe
des 4. Heftes bestand in einer Originalradierung von Kol. Moser.
2Z.
VER SACR
Credenzdecke.
Leinenstickerei
in W eiss u. Blau.
i bücherschau. =
JULIUS 1 WOHLERS^mbutg^ndMOMME NISSEN. Der sehr lesenswerte Aufsatz beginnt mit einer Würdigung
^Moderne"! und die auch SngescMagen und übe,all gtwü.digt worden ist wo tarne, AreErreugmsse vor^emem wk-
iieh kunstempfindenden Publicum zur Schau gestellt werden konnten. In emgehender Werse .s^o^
Artikels die Charakteristik Otto Eckmanns und seines künstlerischen Antipoden, des Hamburgers Altred Mombu ,
^iseinando'gesetzt worden. Während Eckmann bei der alten nordischen Hausindustrie und Weberei des Flachen
ornlments a g nseSe und in freier Erfindung ihre Leistungen erhöhte und neue Motive hineinbrachte (in der Haupt
sache aber immer seine Wirkung durch die Linie erreicht), fasst Mohrbutter, im Gegensatz zu diesem „kalligraphische
Zug" "wie "S nennt), seine Teppiche mehr als „farbige Flecke“ für die Wand auf und bringt die 8«o«nFjKhen«nd
verschwimmenden Contouren der nordischen Stimmungslandschaft zum Ausdruck, wie auf einem gemalten Bdd .
Beide Richtungen haben ihre volle Berechtigung und durch ihr friedliches Nebeneinandergehen bewahrte sich d
Anstalt vor Principienreiterei und Einseitigkeit.
Ein weiterer Artikel trägt die Überschrift: „SIND DIE ALTEN
MEISTER ABGESETZT?“ von O. Schwindrazheim (Hamburg) und
gelangt nach trefflicher logischer Entwickelung des Gedankens zu dem
richtigen Schluss, dass das Grundübel in der verkehrten Auffassung der
Lehre von den unübertroffenen alten Meistern gelegen hat, dass uns näm -
lich diese alten Meister nicht, wie bisher, Idole, sondern Ideale sein sollen.
Zwei Artikel über das „Münchener Herrschaftshaus“ (mit Abbil -
dungen nach dem Architekten Professor Emanuel Seidl) und über die von
Heinrich Seitz zuerst wieder eingeführten Kupfertreibarbeiten von Kellner
und Winhart vollenden den reichen Inhalt des dritten Heftes.
Das vierte Heft bringt vor allem einen lehrreichen Aufsatz von Pro -
fessor Dr. EDMUND WILHELM BRAUN (Director des Kaiser Franz-
Josef-Museums inTroppau) über HANS THOM A s BILDERRAHMEN,
mit ausgewählten Illustrationen nach den Rahmen, Zierleisten, Friesen
und Studien des grossen Frankfurter Meisters. Ein zweiter Artikel von
F. Schumacher bespricht die Bedeutung RUSKIN s , den in England jeder
\CRII
VER SACRUM
v-i,
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• ■■■ wA -
.
Gestickt v.Frau
Anna Anderle
nach Skizzen
von A. Roller.
■ il m
-
vS.v-V.^Ä
Gebildete kennt und dessen blosse Namensnennung dort die Vorstellung eines ganzen künstlerischen und socialen
Programms erweckt, und zwar meiner Bewegung, die uns in höchstem Grade in Mitschwingungen versetzt hat Nur
zwei kleine Bruchstucke aus Ruskins Werken sind bisher ins Deutsche übertragen („Was wir lieben und pflegen müssen“
und „Wie wir arbeiten und wirtschaften müssen“ von Jakob Freis, Verlag von Heitz, Strassburg); da ist esdaakbarzu
begrussen, wenn immer und immer wieder auf den Grundgedanken Ruskins hingewiesen wird, dass ästhetischeFo“
derungen sehr oft mit ethischen Begriffen eine gewisse Verwandtschaft haben und dass Ruskin ein Idealist ist der
seinen Idealismus nicht nur predigt, sondern lebt; dass er sich nicht mit dem blossen Gefühlsstandpunkt begnügt
A ÄT' MCht f aufgef ^ SS ]' sc ^ IiessIlch lm mer auch realen und praktischen Boden unter die Füsse bekommt. Ein dritfer
Ärtikel von Äugust Endeil bespricht „KERAMISCHE ARBEITEN DER FAMILIE VON HEIDER“ mit gut
gewähltem Illustrationsmaterial. «
a f „ Heft 5 bringt Artikel über HOCHEDER s STÄDTISCHE BAUTEN IN MÜNCHEN, über die Möbel-
KÜNSTtVr Ch p C 5 en MuS , eui ^ fuf ^ unst un / Industrie (von H. C. v. Berlepsch), über „FABRIKANT UND
hauü“ T D ER V M- def Red t £ n d tf r ^ eitSChr / ft) " V °” def Weihnachtsausstellung im Münchener Kunstgewerbe-
hause - Daran schlossen sich Nachrichten über Vereine, Museen, Schulen, Ausstellungen, Wettbewerbe etc. und die
Chronik des bayerischen Kunstgewerbevereines. g
DIE ARCHITEKTONISCHEN SKIZZEN DIESES HEFTES.
Dem Temp
o des modernen Lebens entspricht es, dass uns Variationen eines einmal gefundenen künstlerischen
- Gedankens nicht mehr befriedigen, dass wir vielmehr einen wahren Heiss -
hunger und eine unglaubliche Verdauungsfähigkeit in Bezug auf neue
Ideen entwickeln. Die aus früheren Kunstperioden stammenden oder
solchen anhängenden Architekten traten neuen Aufgaben, wenigstens
in Bezug auf die Formensprache, zunächst mit compilatorischen Ab -
sichten gegenüber; die modern empfindenden dagegen trachten einem
neuen Problem zunächst mit ihrem künstlerischen Empfinden nahe zu
kommen und aus dieser primären baulichen Empfindung wächst dann
die Erfindung der angemessenen Form heraus. Lange schon sind wir
gewöhnt, die Skizzen der Maler und Bildhauer mit ernstem Interesse
zu betrachten. Warum sollen wir dasselbe nicht auch den flüchtigen
Niederschreibungen allererster, allerpersönlichster Gedanken der Bau -
künstler entgegenbringen? Als solche Notierungen allerersterbaulicher
Gedanken aber wollen die architektonischen Skizzen dieses Heftes be -
trachtet werden. Der Weg von ihnen bis zum fertigen Bauplane ist ein
weiter, aber nicht weiter als der von der Skizze des Malers, des Bildhauers,
zum fertigen Gemälde, zur Statue. V. S.
VER SACRP
VE
J. A v fyenlcäUr
VER SACRUM.
Wieder draussen im weiten All
Wird es Frühling.
Mit dem blassen Gold
Der Primeln schmückt sich die Flur;
Der Weissdorn leuchtet,
Es leuchtet die rosige Pfirsichblüte —
Und im ergrünenden Wald
Singt die Drossel.
Aber in stillen,
Geheimnisvoll umzirkten Zaubergärten
Blüht die Kunst.
Dort, in ewigem Sonnenlicht,
Schattenlos überwipfelt,
Hauchen den schweren Duft,
Leuchten in durchsichtiger Irispracht
Weitkelchige Liliaceen und Tulipanen.
Falter, breitflüglig,
Stahlblau und flammenroth,
Umschweben sie,
Und auf des Rasens Smaragd,
Lastenden Silbergefieders,
Schreiten weisse Pfauen. —
I
28
IMUlKUMi
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VER SACRUM.
Traumhaft,
In zarter, schimmernder Gliederhoheit,
Die Häupter umkränzt mit Blumensternen,
Wandelt ein Menschenpaar.
Sanft aneinander geschmiegt,
Wandelt es auf verschlungener Pfade Windungen
Höher, immer höher hinan —
Bis zum achat’nen Säulenhalbrund,
Das in den Azur des Himmels ragt.
Rubine blitzen, Saphire und Opale
An den gold’nen Capitälen
Und an den goldenen Sockeln.
Auf hundertstufiger,
Weit ausgebuchteter Onyxterrasse
Thront die Sphinx.
Mit marmor’ner Brust,
Doch den geschmeidigen Löwenleib
In jeder Faser glutdurchzittert,
Thront sie,
Grossäugig ins Unendliche blickend,
Uber dem Räthselabgrund der Schönheit.
FERDINAND v. SAAR.
29
VER SACRUI
VE.
= AUS DEM WIENER CAMERA-CLUB. =
= Weiden am
Wasser. = Von
Hans Watzek.
DIE MALEREI MIT DER PLATTE.
Von A. v. Loehr.
W enn der Photograph das, was er mit, sagen wir kunst -
sinnigem Blick in der Natur geschaut, und nach
weiser Wahl der Beleuchtung auf seine Negativ -
platte gebracht hatte, mit dem alten Positivverfahren wieder -
gab, förderte er allemal Enttäuschungen zutage. Statt eines
harmonischen Bildes kam ein mikroskopischer Bericht über
sämmtliche im Bildwinkel liegende Gegenstände heraus,
die unerwünschtesten Details, die Sommersprossen und
Warzen waren gewiss ebenso vordringend scharf zu sehen,
als jeder Faden des Kleides oder Rockes, so dass der
Gesammteindruck ein unerfreulicher war. Die Werte der
Farben waren vertauscht, dunkelschwarze Bäume auf
schneeweissem Himmel sollten das Abbild von gelbgrün
auf blau darstellen, u. s. w. Störende Gegenstände mach -
ten sich breit, wo sie nicht hingehörten, Licht war dort, wo
die Empfindung Schatten verlangt hätte.
Es war daher seit Jahren das Bestreben der Amateure,
dem abzuhelfen und sich die spröde Photographie gefügiger
zu machen. Ich will hier keine Geschichte dieser mühevollen
Entwickelung schreiben, die, ich brauche es nicht erst
versichern, den Amateuren allein oblag. Die sogenannten
Fachmänner spielten dabei nur die Rolle des lachenden
Publicums, so lange es nicht gelang, — später die des • • •
August, der nachträglich den Schein erwecken will, kräftig
mitgeholfen zu haben.
Item: Wir sind soweit, wir haben die Photographie
gezwungen, herzugeben und darzustellen, was und wie
wir es wollen, und wie wir es sehen.
Die Mittel hierzu sind, wenn auch auf grossen Um -
wegen erreichte, doch nunmehr ganz einfache: die unschar t
Aufnahme mit Monokel oder dergleichen, und der com-
binierende Gummidruck.
Die Mono -
kel-Aufnahme
ist bekannt ge -
nug; das Ziel
derselben ist
die etwas dif -
fuse Lichtver-
theilung in -
folge Anwen -
dung einer ein -
fachen, uncor-
rigierten Linse.
Das erzeugte
Bild ist weich
und ohne Ver -
zeichnung.
Der Gummi -
druck besteht
in der Anwen -
dung eines
höchst simplen
V erfahrens.
Auf dem ge -
wählten, vor -
her gut geleim -
ten, kräftigen
Zeichenpapier
wird die ge -
wünschte Far -
be mit arabi -
schem Gummi
und Kalibi-
chromatlösung
aufgestrichen,
das Blatt ge -
trocknet, co-
piert und im
kalten Wasser
eingeweicht.
Nach einiger
Zeit lösen sich
die nicht vom
Lichte getrof -
fenen Partien
theils freiwil -
lig, theils unter
Nachhilfe mit
dem Pinsel ab,
und man erhält
die Copien.
Da man bei
diesem Ab -
lösen der Farbe
= Grietje und
Tryntje. =
Von Heinrich
Kuhn.
viel Spielraum hat, so kann
fernen oder abschwächen.
Durch Wiederholung dieses Processes, und das ist
der ganz besondere Fortschritt, auf demselben Blatte, also
nach dem Entwickeln und Trocknen, erneutem Anstrich mit
derselben oder anderer beliebiger Farbe, Wiederaufcopieren
desselben Negatives, oder eines anderen mit Wolken oder
mit Staffage und dergleichen, ist man in der Lage, THAT-
SÄCHLICH MIT DER PLATTE ZU MALEN.
Einige Bilder auf der österreichischen Abtheilung der
1898er Ausstellung des „Camera-Clubs" zeigten die Wirk -
samkeit dieses Vorganges.
Nicht nur einfarbige, auch mehrfarbige Bilder und
auch solche in den natürlichen Farben kann man durch
diesen Combinationsdruck erreichen.
Die Ehre, diesen Weg gangbar gemacht zu haben,
gebürt dem Wiener Camera-Club, und zwar den Herren
Doctor Henneberg, Kühn und Professor Watzek, und hier-
durch ist die Photographie erst wirklich ein künstlerisches
Darstellungsmittel geworden.