Richard Schaukal: Herkunft. Vorwort zum
zweiten Jahrgang. Das Haus der Secession.
Rainer Maria Rilke: Über Kunst. Wilhelm
Schäfer: Kunst-Enthusiasmus. Marie Herz -
feld: Der Weise und das Schicksal.
Mittheilungen der Vereinigung bildender
Künstler Oesterreichs.
"JSThrk. MUSEUM'
'•' • -t KUNST
"'•BUOTHEK
IQ!
HERKUNFT.
Sage mir einer, von wem ich stamme!
Meine Scheite lodern in EIGENER Flamme,
Aus MEINEM Forst sind die Stämme geschlagen,
MEIN Boden hat seine Bäume getragen.
Und ich weise jeden von meinen Grenzen,
Käm’ er als Gaukler mit Sprüngen und Tänzen
Oder als punischer Hammerschwinger
Oder als salböltriefender Ringer.
Ich hab' an den Stämmen mein Eignerzeichen,
Sie fallen unter MEINER Tage Streichen.
Und wenn sie mich einmal im Sturz erschlagen:
Die Nachbarn im Geist werden nach mir fragen.
Zu ihnen bahnt' ich gehsame Wege,
Über schäumende Flüsse schlug ich Stege
Und im Königsschmuck meiner Dichterbürde
Neigt’ ich mich ehrend der älteren Würde.
RICHARD SCHAUKAL.
Haupteingang
vom Ausstellungs-
gebäude der Ver -
einigung bildender
Künstler Oester -
reichs.
VER SACRUM
hält am Beginne seines zweiten Jahr -
ganges.
Indem wir zurückblicken auf die
Zeiten seiner Gründung und ersten Ent -
wicklung, können wir mit Genugthuung
feststellen, dass die Wege, die wir ein -
geschlagen, sich uns als die richtigen
erwiesen haben und dass wir, geleitet
von denselben künstlerischen Grund -
sätzen, die bisher massgebend waren,
auch im zweiten Jahre unser „Ver Sa-
crum“ fortführen wollen.
Dank sei an dieser Stelle dem bis -
herigen Redaktionskomite gesagt für
seine ideentreue Ausdauer, mit welcher
es in diesem Werdejahre seines Amtes
gewaltet hat.
Der II. Jahrgang sollte im Selbst -
verläge der Vereinigung erscheinen; um
die Mitte des Januar jedoch wurde dem
Anträge der rühmlichst bekannten Leip -
ziger Firma E. A. Seemann, den Verlag
zu übernehmen, Folge geleistet. Eine
Neuordnung, welche sich nun als not -
wendig erwies, veranlasste die Ver -
zögerung im Erscheinen des I. Heftes.
V. S.
©
V
MUSEUM
F. ANGEW. KUNST
BIBLIOTHEK
p HAvy d-^ece^iow-
M assgebend für die Plandisposition dieses Gebäudes war
ausschlieslich der Zweck desselben: mit den einfachsten
Mitteln einen brauchbaren Rahmen für die Thätigkeit einer
modernen Künstlervereinigung abzugeben. Es wurden daher
geräumige, in Breite und Höhe richtig bemessene, in ein und
derselben Ebene gelegene Ausstellungsräume geschaffen, die -
selben im Interesse leichter Orientierung unter Betonung
einer Hauptachse angeordnet, durch Heiz- und Lüftungs -
anlagen gleichmässige, angenehme Temperaturverhältnisse
erzielt und die Lichtquellen so angeordnet, dass alle Teile
der Ausstellungsräume dasselbe gleichmässige ruhige Licht
empfangen und ein Spiegeln der aufgehängten Bilder ver -
mieden erscheint.
Um die Raumteilung der Ausstellungssäle den besonderen
Bedürfnissen der jeweiligen Expositionen anpassen und mög -
lichst abwechslungsreiche Gesamtbilder derselben erreichen
zu können wurde das Dach des Hauses auf sechs Stützen ge-
stellt, während die zwischen denselben befindlichen Trennungs-
wände über die ganze Fläche des Raumes verschiebbar sind.
Für Raumkunstausstellungen sind Zimmer mit Seiten -
licht vorgesehen. Ausserdem enthält das Haus in der „Halle“
einen Empfangsraum, ferner die nötigen Räume für den
administrativen Betrieb und Sitzungszimmer, dann im Sou -
terrain Dienerwohnungen und die nötigen Depots und Pack -
räume, welche mit der Strasse sowohl als mit den Aus -
stellungssälen durch verstellbare Rampen verbunden sind
und endlich die für Redaktion und Leitung dieses Blattes
nötigen Lokale. Aus allen diesen Erfordernissen kristallisierte
sich die Aussenform des Gebäudes heraus, welche ihrerseits
die ernste würdevolle Bestimmung des Baues als Kunstheim
zu betonen bestrebt ist. Ihre in Weiss und Gold gehaltene
Architektur rechnet in ihrem Gesamtaufbau wie im Detail
mit der vor dem Gebäude im Entstehen begriffenen grossen
Platzanlage. Das Ausstellungsgebäude, das seine General -
probe bei den ersten Ausstellungen bereits vorzüglich be -
standen hat, ist in Entwurf und Durchführung ein Werk
des o. M. der Vereinigung, Architekten Josef M. Olbrich.
V. S.
V
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VEBER KVNST.
W enn ich die Kunst als eine
Lebensanschauungbezeichne,
meine ich damit nichts Ersonnenes.
Lebensanschauung will hier aufge -
fasst sein in dem Sinne: Art zu sein.
Also keinSich-Beherrschen und-Be -
schränken um bestimmter Zwecke
willen, sondern ein sorgloses Sich-
Loslassen, im Vertrauen auf ein
sicheres Ziel. Keine Vorsicht, son -
dern eine weise Blindheit, die ohne
Furcht einem geliebtenFührer folgt.
Kein Erwerben eines stillen, lang -
sam wachsenden Besitzes, sondern
ein fortwährendes Vergeuden aller
wandelbarenWerthe. Man erkennt:
diese Art zu sein hat etwas Naives
und Unwillkürliches und ähnelt
jener Zeit des Unbewussten an,
deren bestes Merkmal ein freudiges
Vertrauen ist: der Kindheit- Die
Kindheit ist das Reich der grossen
Gerechtigkeit und der tiefen Liebe.
Kein Ding ist wichtiger als ein
anderes in den Händen des Kindes.
Es spielt mit einer goldenen Brosche
oder mit einer weissen Wiesen -
blume. Es wird in der Ermüdung
beide gleich achtlos fallen lassen
und vergessen, wie beide ihm gleich
glänzend schienen in dem Lichte
seiner Freude. Es hat nicht die
Angst des Verlustes. Die Welt ist
ihm noch die schöne Schale, darin
nichts verloren geht. Und es em -
pfindet als sein Eigenthum Alles,
was es einmal gesehen, gefühlt
oder gehört hat. Alles, was ihm
einmal begegnet ist. Es zwingt
die Dinge nicht, sich anzusiedeln.
Eine Schaar dunkler Nomaden
wandern sie durch seine heiligen
Hände wie durch ein Triumph -
thor. Werden eine Weile licht in
seiner Liebe und verdämmern wie -
der dahinter; aber sie müssen Alle
durch diese Liebe durch. Und was
einmal in der Liebe aufleuchtete,
das bleibt darin im Bilde und lässt
sich nie mehr verlieren. Und das
Bild ist Besitz. Darum sind Kin -
der so reich.
Ihr Reichthum ist freilich rohes
Gold, nicht übliche Münze. Und er
scheint immer mehr an Werth ein-
zubüssen, je mehr Macht die Er -
ziehung gewinnt, die die ersten
unwillkürlichen und ganz indivi -
duellen Eindrücke durch überkom -
mene und historisch entwickelte
Begriffe ersetzt und die Dinge, der
Tradition gemäss, zu werthvollen
und unbedeutenden, erstrebenswer-
then und gleichgiltigen stempelt.
Das ist die Zeit der Entscheidung.
Entweder es bleibt jene Fülle der
Bilder unberührt hinter dem Ein -
drängen der neuen Erkenntnisse,
oder die alte Liebe versinkt wie
eine sterbende Stadt in dem Aschen -
regen dieser unerwarteten Vulcane.
Entweder das Neue wird der Wall,
der ein Stück Kindsein umschirmt,
oder es wird die Fluth, die es
rücksichtlos vernichtet. D. h. das
Kind wird entweder älter und ver -
ständiger im bürgerlichen Sinn, als
Keim eines brauchbaren Staatsbür -
gers, es tritt in den Orden SEINER
Zeit ein und empfängt ihre Weihen,
oder es reift einfach ruhig weiter
von tiefinnen, aus seinem eigensten
Kindsein heraus, und das bedeutet,
es wird Mensch im Geiste ALLER
Zeiten: Künstler.
In diesen Tiefen und nicht in
den Tagen und Erfahrungen der
Schule verbreiten sich die Wurzeln
des wahren Künstlerthums. Sie
wohnen in dieser wärmeren Erde,
in der niegestörten Stille dunkler
Entwicklungen, die nichts wissen
von dem Maass der Zeit. Möglich,
dass andere Stämme, die aus der
Erziehung, aus dem kühleren, von
den Veränderungen der Oberfläche
beeinflussten Boden ihre Kräfte he -
ben, höher in den Himmel wachsen
als so ein tiefgründiger Künstler -
baum. Dieser streckt nicht seine
vergänglichen Aeste, durch welche
die Herbste und Frühlinge ziehen,
zu Gott, dem Ewigfremden, hin;
©
er breitet ruhig seine Wurzeln aus,
und sie umrahmen den Gott, der
hinter den Dingen ist, dort, wo es
ganz warm und dunkel wird.
Darum, weil die Künstler viel
weiter in die Wärme alles Werdens
hinabreichen, steigen ANDERE
Säfte in ihnen zu den Früchten
auf. Sie sind der weitere Kreis -
lauf, in dessen Bahn immer neue
Wesen sich einfügen. Sie sind die
Einzigen, die Geständnisse thun
können, wo die Anderen verhüllte
Fragen haben. Niemand kann die
Grenzen ihres Seins erkennen.
Den unmessbaren Brunnen
möchte man sie vergleichen. Da
stehen die Zeiten an ihrem Rand
und werfen ihr Urtheil und Wis -
sen wie Steine in die unerforschte
Tiefe und lauschen. Die Steine
fallen immer noch seit Jahrtausen -
den. Keine Zeit hat noch den
Grund gehört.
Schmargendorf.
RAINER MARIA RILKE.
W er sich wochenlang in Galerien
umhertreibt, sieht mehr als gerade
nur Bilder. Und wenn er sich im
Allgemeinen über das „kunstliebende”
Publicum ärgert: hier und da lernt er
auch eine kleine Wahrheit von ihm.
Ich sah während des letzten Winters
im Luxembourg einen jungen Menschen
mehrmals vor Bildern stehen, die mir
lieb sind. Als ich ihn eines Morgens
bei dem schönen Manet fand (ich weiss
nicht, wie er benannt ist: die liegende
nackte Frau mit dem fragenden Kinder -
gesicht und dem merkwürdig aufge -
sträubten Kater am Fussende des Lagers),
sprach ich ihn an:
„Das gefällt Ihnen?”
Wie er sich nach mir umsah, halb
entschuldigend, halb verlegen, wusste
ich gleich, wen ich vor mir hatte.
„Das ist wohl jetzt die Richtung?”
Er wollte das ironisch sagen, machte
aber ein so unglückseliges Gesicht dazu,
dass er mir leid that. Ich liess mich
mit ihm ein und fand alle Eigenschaften
des „Kunst-Enthusiaten” von heute so
typisch ausgebildet, dass ich mir über
das Wesen dieser Leute eigentlich zum
erstenmal klar wurde und auch man -
cherlei zur Heilung dachte.
Der junge Mann nannte sich Fabri -
kantenssohn. Sein Grossvater war noch
Handwerker gewesen. Der Vater hatte
das Geschäft zur Fabrik gemacht und
nach jeder Richtung mustergiltig für
moderne Verhältnisse eingerichtet. Dem
Sohne war nichts mehr zu thun übrig
geblieben, als die sicheren Einnahmen
vernünftig zu verzehren. Aber da war er
in das gewöhnliche Schicksal aller Em -
porkömmlinge und ihrer Erben gerathen:
er hatte die „Mittel” zum Genuss, aber
©
■HIK
nicht die Fähigkeit. (Auch das Gemessen
will gelernt sein.) Durch eine gute Mutter
waren ihm mehr reinliche Gewohnhei -
ten anerzogen worden, als dass er sich
dauernd in rohen Genüssen hätte befrie -
digen können. Und zu den feineren fehl -
ten ihm bei aller Sehnsucht die Schlüssel.
Er verkehrte mit Malern und Dich -
tern. Er kaufte Bilder und Bücher
und lud zu kostbaren Diners. Er horchte
auf Kunsturtheile und sprach sie nach.
Er ging fleissig die Galerien ab und
suchte die Nummern, von denen man
ihm geredet hatte. Aber im Grunde
blieb ihm alles eine grosse Wirrniss. Er
irrte umher, that, wie wenn er Freude
hätte, und quälte sich nur.
Er gab sich blasirt, ohne genossen
zu haben.
Und gerade diese scheinbare Blasirt-
heit war das Typische an ihm für unsere
sogenannten Kunst-Enthusiasten. Den
Grund der Blasirtheit suchen heisst viel -
leicht Heilung finden.
Der Grund liegt vor Allem in der
Rathlosigkeit dieser Durchschnittsmen -
schen vor der Kunst. Sie stehen vor
der Kunst als vor den sichtbaren Zei -
chen einer Leidenschaft höchst organi-
sirter Individuen. Finden sich nicht
gleich zurecht und vergessen in ihrer
Rathlosigkeit die natürlichen Fäden, die
dennoch von ihrer Seele in die Kunst -
werke hinüb erführen. Die eine grosse
Angst des modernen Menschen: vor einer
Sache als Unwissender zu stehen, „etwas
nicht zu kennen", lässt ihnen nicht Zeit
zum eigenen Suchen. Ausserdem wirkt
der unheilvolle Glaube an das „Wissen",
dass man die ganze Welt wissen kann,
also auch die Kunst. (Man redet ja von
Kunstwissen, Kunstkennen u. s. w.)
Sie fangen in ängstlicher Hast an
zu lesen, zu horchen auf Worte und
Manieren. Aber Geschriebenes und Ge -
sprochenes über zeitliche Kunst rührt
zum grössten Theil von Künstlern selbst
oder berufsmässigen Kritikern her, und
bei beiden ist der Suchende verrathen.
Die Worte der Künstler fallen ihm in
die Seele wie Steine. Und die berufs -
mässigen Kunstrichter sind in Wirklich -
keit ebenso rathlos wie er, nur müssen
sie von den Zeilen leben und machen
aus ihrer Rathlosigkeit eine Blasirtheit,
in der sie die nöthige Nonchalance zum
Ablehnen und Geltenlassen gewinnen.
Echte Sehnsucht zur Kunst wird so
missleitet zur Blasirtheit. Und diese
Blasirtheit dehnt sich allmälig wie ein
weites Gras- und Heufeld rund um die
Gärten der Kunst. Nicht mancher
kommt noch zu ihren Eingängen. Er
sieht das Lächeln rings auf den spötti -
schen Lippen, lächelt auch und ist für
die Kunst verloren.
Es ist ein schlechtes Zeichen, dieses
ewige Schielen nach anderen, diese
Furcht, sich zu blamiren. Die furcht -
bar überlegenen Gesichter in Gemälde -
salons und Concertsälen, weil jeder bei
keinem Wort der Begeisterung sicher
ist, ob er nicht an Falsches geräth und
sich blamirt. Es zeigen sich auch da
die verderblichen Folgen unserer Er -
ziehung, die mit allgemeinen Zielen und
Idealen hantirt und die Menschen nicht
auf sich gründet, den Einzelnen aus
sich entwickelt und so den Menschen
zugleich sich selbst und auch der Welt
entfremdet. Der so „Gebildete" hängt
sich gleichsam nach aussen an die Dinge,
statt sie an sich aufzuhängen.
*
Ich habe von jeher die Menschen
gern gehabt, die den Muth zur Dumm -
heit hatten, den Muth, sich trotz all -
gemeinsten Gelächters einmal gründlich
zu blamiren, weil er nichts anderes ist als
der Muth zu sich selbst, der Mufh zum
Schlüssel aller Dinge, dem EIGENEN
GEFÜHL.
Das eigene Gefühl ist auch der ein -
zige Weg zur Kunst, der einzige, der
aus ihrem Wesen möglich ist. Sie wird
aus dem Gefühl geschaffen und muss
ins Gefühl wirken. Wie wir Kunst -
werke bei den kindlichsten Völkern
finden, so auch Freude an künstleri -
schen Darstellungen bei den einfachsten
Menschen. Wenn wir uns dazu ver -
gegenwärtigen, dass Freudemachen —
den Begriff im weitesten Sinne ge -
nommen — der höchste und eigent -
lichste Werth der Kunst ist, liegt der
Weg klar, auf den wir die Pseudo-
blasirten bringen müssen, damit sie
selbst zur Kunst weiter finden.
Wir müssen sie zum ersten auf ihr
eigenes Gefühl verweisen. Wo das an
irgend einer künstlerischen Leistung
seine Freude hat, ist seine Kunst. Wenn
sie sich darauf verlassen, unbekümmert
um die guten Lehren der anderen, wer -
den sie von selbst zu weiterem Genuss
und zu einer Auswahl kommen. Wir
thun ja auch nichts daran, irgend einem
seine Lieblingsmahlzeit zu entdecken,
die findet jeder selbst beim Essen.
Wir müssen sie zum zweiten von der
unglückseligen Meinung abbringen, als
richte sich die Güte des Gefühles nach
dem Ziel, als sei es eine Ehrenpflicht,
sich — sagen wir an Böckhlin zu freuen,
und eine Schande, sich für Schirmer
zu begeistern. Dergleichen wird noch
immerzu gepredigt. Es ist eine falsche
Predigt, und sie hat viel Unheil ange -
richtet. Auf die STARKE des Gefühles
kommt es an. Wir schätzen den liebe -
vollen Esser nicht höher, ob er Fleisch -
speisen oder Gemüse bevorzugt. Wir
wissen, dass der Geschmack, den wir
an essbaren Dingen haben, nicht einmal
allein von der Feinheit der Zunge ab -
hängt, sondern durch gewisse Magen-
und Körperzustände bedingt ist. Die Be -
schaffenheit der Seele bestimmt den Ge -
schmack. Wie wir jedem seine Seele
lassen müssen, wollen wir ihm auch
seine Freude lassen. Wer die MEISTE
Freude hat, ist der Werthvollste für die
Kunst.
*
Hell und froh würde die Kunst wir -
ken, wenn alle, die zu ihr kämen, ihrem
eigenen Gefühl horchten und sich darin
freuten. Es wäre endlich reiner Genuss
und deshalb Heiligung, wo jetzt Mühe
und Arbeit ist. Nur so können Volk
und Kunst sich finden, dass jeder weiss,
WIE SEIN GEFÜHL IMMER RECHT
HAT.
Wie jede Zunge ihr Lieblingsgericht,
wird jedes Gefühl seinen Lieblings -
künstler finden, und wenn es sich an
dem einen zum Enthusiasmus entflammt,
ist das ein idealer Zustand für Schaf -
fende und Geniessende. Der Künstler
glaubt im Grunde nicht, dass ein Be -
wunderer ihn voll erfassen kann, wie
soll er zugeben, dass ein Durchschnitts -
mensch einige Dutzend seines Gleichen
aufrichtig zu gemessen fähig ist. Und
der Bewunderer horcht sicher tiefer in
die Welt, wenn er einem Deuter von
Herzen lauscht, statt sich von einem
Haufen Stimmen verwirren zu lassen.
Ein Künstler kann über sich hinaus
schaffen und die weitesten Kreise be -
wegen: GELIEBT wird er nur von
denen, die seinem Wesen ähnlich sind.
Und die Liebe zu sich um seiner Kunst
willen ist das Höchste, was ihm ge -
geben werden kann.
Aus dem Enthusiasmus für einen
Künstler wird sich das von selbst er -
geben, was wir von der Kunst ganz
besonders gern erhoffen: das Bildende.
Wer sich in die Tiefen einer einzelnen
Künstlerseele hineinfreut, kommt tiefer
in die Kunst und die Welt. Jeder
Künstler schafft über sich hinaus und
ist ein Wegweiser über sich hinaus. Wo
ein Gefühl in einem andern Künstler
die Fortsetzung sieht, verlässt es den
ersten. So verzweigen sich die Wege,
so wird aus der Begeisterung für einen
Künstler ein wahrhaftiger KUNST -
ENTHUSIASMUS.
So lang die Kette ist, die von dem
letzten zum ersten zurückläuft, das Ge -
fühl wird gern in Rührung an die ein -
zelnen denken, die ihm einmal alles
gaben. Wie an die Gerichte der Mutter,
die so herrlich sind in der Erinnerung.
WILHELM SCHÄFER.
©
/
DER WEISE UND
DAS SCHICKSAL.
s sind noch nicht zehn Jahre her,
da tönte aus allen symptomatischen
Büchern der Zeit das Klagelied vom
endgiltigen Bankbruch des Lebens. Wo -
zu all dieses Mühen und Plagen, wozu
der ewige Schmerz und selbst die karge
Lust? Wozu und für wen dies sinn-
und planlose Schauspiel des mensch -
lichen Daseins, das der Zufall gedichtet
und dem plötzlich der göttliche Zuschauer
fehlte? Was war es im Grunde, dies
irdische Leben? Wo sein Zweck? Was
sein Ziel? Es kam der Morgen, da tödtete
es der blinde Hödur und seine Lichtspur
war vom Himmel hinweggelöscht. Und
war es denn wirklich? Was war über -
haupt? Kant und Helmholtz, der Philo -
soph und der Physiker, beide hatten
das grosse Fragezeichen über alle mensch -
liche Erfahrung gesetzt. Die tiefste
Wissenschaft des Denkers und des Ge -
lehrten erklärten die Welt, die wir sahen,
für eine Hallucination unseres Hirnes.
Was stand überhaupt noch? Selbst
innerhalb der menschlichen Phantas-
magorie, die uns umschloss? Die Kritik
hatte Gott getödtet und der Moral ihre
Grundfesten entzogen; das Leben war
von heute auf morgen, ein wirres Durch -
einanderlaufen von Bewegungslinien,
die wir für nothwendig halten mussten,
da wir sie sinnlos fanden. Alles ein
Chaos, in dem wir nichts mehr begriffen...
Eine ungeheuere Muthlosigkeit hatte
das ganze jüngere Geschlecht ergriffen.
Der beste Ausdruck dafür war die drama -
tische Scene eines Dichters. Er stellt
die Menschheit im Bild einer Schar von
Blinden dar, die sich in einem grossen
dunklen Wald verloren. Ihr Führer,
ein uralter Priester, hat sie verlassen;
nun wissen sie nicht Weg noch Ziel.
Einzeln, frierend, schaudernd, sitzen sie
unter den hohen Bäumen, einander nah
und doch nur der Stimme erreichbar,
die von dem Einen zum Anderen Bot- _
Schaft bringt von der rathlosen Angst
und der inneren Einsamkeit. . . Diese
Angst, Lebensangst, die Dunkelfurcht,
Gespensterfurcht, das Gefühl des Ver -
loren- und Verlassenseins gab einer
ganzen Epoche ihre geistige und künst -
lerische Sondermarke. Und nun steht
die Welt vor einer neuen Wende.
Was hat sich begeben? Ist es nur
die natürliche Bewegung des abge -
schnurrten Kreisels, der sich, nach dem
Gesetz des Ricochetirens, nun nach der
entgegengesetzten Richtung dreht? Hat
man denn wirklich alle Consequenzen
des wissenschaftlichen Nihilismus zu
Ende gedacht oder hat man sich daran
nur fertig gelitten? Und erwachte man
dann eines Morgens aus dumpfem Schlaf
und vernahm im träumerischen Zwit -
schern der Vögel die leise tröstliche
Stimme der Hoffnung, und sagte man
sich, dass man ja doch LEBE und dass
die Welt noch grün und die Sonne
golden? Dass die innere Gewissheit
auch eine Gewissheit und die mensch -
liche Realität die einzige wahre sei? Hat
man für das Denken und Handeln damit
eine neue Grundlage gewonnen oder ist
es nur ein starker Willensentschluss, der
uns die Rückkehr zur Gesundheit und
zum tapferen Muth erzwingt?
Eines und das Andere. Ausserlich
ist nichts geschehen. Aber innerlich
um so mehr. Wir haben in uns neue
Kraftquellen entdeckt. Wir sind tiefer
in uns hinabgestiegen und wir sind
reicher und stärker zurückgekehrt. Wir
haben dabei neue Führer gefunden, die
uns lehrten, die Welt zu nehmen, so
wie sie ist, vor keiner harten Wahrheit
zurückzuscheuen, sondern auf sie allein
von nun an unser Leben zu gründen.
Wenn wir nur wollen, werden wir auch
diesem Leben ein Göttliches abgewinnen
und in ihm eine neue Harmonie ent°
decken. Wir wagen es wieder, von
Glück zu sprechen, nicht als von einem
Ausnahmsfall, sondern als von einer
Pflicht. Der einzelne Mensch hat die
Pflicht, glücklich zu sein. Nietzsche
in seiner schroffen Grösse hat als Erster
uns diese Verpflichtung auf erlegt. Nun
thut es ein Anderer, aus einem anderen
Temperament heraus, auf andere Er -
fahrungen hin, milder, liebenswürdiger,
einschmeichelnder, gütiger. Er ent -
schuldigt sich, dass er es thut, dass er
sich mit dem Einzelnen und seinem
Glück befasst. Denn er weiss es, die
Zeiten sind so hart, dass die Mehrzahl
der Menschheit, weit entfernt bei den
inneren Genüssen und den tiefen, aber
schwer erreichten Tröstungen verweilen
zu können, die der befriedigte Denker
werthschätzt, dass die Mehrzahl der
Menschheit nicht einmal die Sicherheit
und die Müsse hat, die Leiden und Ver -
zweiflungen des Lebens bis auf den
Grund auszukosten. Das Nächstliegende
für den Erkennenden wäre es vielleicht
vor allem zu HELFEN, Krankenpfleger,
Almosenspender, Seelenrath der Be -
trübten, Arzt, Arbeiter oder sonst etwas
1
V
r~
Nützliches zu werden. Aber gäbe es
nicht Menschen, die unnütz SCHEINEN,
so würden nicht Menschen existiren,
die unbestreitbar nützlich sind. Alles
Gute, was um uns geschieht, wurde vor -
her im Geist eines jener Menschen ge -
boren, die vielleicht eine nächstliegende
Pflicht versäumten, um nachzudenken,
um in sich selbst zu leben, um zu reden.
Ausser denen, welche die Pflicht der
gegenwärtigen Stunde erfüllen, muss es
solche geben, die an die Pflicht der
nächsten Stunde denken. Es ist nicht
immer das Weiseste, sich nur mit dem
„Dringendsten“ abzugeben. Wichtiger
ist es, gleich das „Höchste“ suchen. Es
ist oft gut, das Gedächtniss dafür aus -
zuschalten, dass die Menschheit inmitten
einer grossen Ungerechtigkeit lebt und
zu ihr so zu reden, als befände sie sich
am Vorabend eines grossen Glücks und
einer grossen Gewissheit. Es ist gut
zu glauben, dass ein wenig mehr Nach -
denken, ein wenig mehr Muth, ein
wenig mehr Liebe, ein wenig mehr
Neugier, ein wenig mehr Eifer zu leben
uns eines Tages die Pforten zur Freude
und zur Wahrheit öffnen werde. Es
ist das nicht unwahrscheinlich. Jeden -
falls ist nicht strafbar, es gehofft zu
haben. Und es ist nothwendig, sich auf
diese grosse Stunde vorzubereiten. Wir
können morgen schon im Besitz der
Formel sein, die allen die Wahrheit über
Art und Zweck des Weltalls giebt und
damit die Formel des allgemeinen
Glücks. Bis wir aber in dieser uner -
schütterlichen objectiven Wahrheit leben
können, müssen wir in unserer subjec-
tiven Wahrheit leben, in der Wahrheit,
wie wir sie erkennen. Wir können sie
nicht weit und hoch genug gestalten
und wir können nie genug trachten,
unsere innere Wahrheit, das, was uns
schön und gut erscheint, mit Realität
zu erfüllen. Wir haben kein Recht,
unsere inneren Forderungen zu der in -
timen Wahrheit des Weltalls in Gegen -
satz zu stellen; der Theil darf sich
nicht anmassen, das Ganze beurtheilen
und verbessern zu können. Oft haben
wir aus unserer Erfahrung Träume und
Wünsche geschöpft, die von der Realität
bestätigt wurden, grosse Ideen der Liebe,
der Schönheit, der Gerechtigkeit. Wenn
aber in unserer Phantasie Wünsche und
Ideale entstehen, und wären es die tröst -
lichsten, umfassendsten, welche die Probe
der Wirklichkeit, das heisst, der ano -
nymen und mysteriösen Macht des
Lebens nicht aushalten, so bedeutet dies
nur, dass unsere Ideale andere sein
müssen, nicht dass sie weniger schön,
umfassend, tröstlich sein werden. Bis
diese Wirklichkeit sich offenbart, ist es
vielleicht heilsam, ein Ideal zu nähren,
das man schöner wähnt als die Wirk -
lichkeit; aber hat diese sich einmal ent -
hüllt, so ist es nothwendig, dass die
ideale Flamme, so wir mit unseren besten
Wünschen genährt, nur mehr diene, um
loyal die minder gebrechlichen und
minder gefälligen Schönheiten der im -
posanten Masse zu beleuchten, die jene
Wünsche zerdrückt. Bis dahin ist es
nicht unerlaubt, alles zu thun, um die
Vernunft, die Gerechtigkeit, die Schön -
heit der Erde, gewissermassen den In -
stinkt unseres eigenen Planeten zu ver -
bessern. Es geschieht im Vertrauen in
fl
I
„die Idee des Weltalls“. Denn jedes
Streben zum Besseren muss uns dem
geheimen Willen des Lebens näher
bringen. Und sogar jedes Scheitern
unserer Anstrengungen und der Wider -
stand dieser grossen Welt wird nur eine
neue Nahrung sein der Bewunderung
für die grosse Kraft, von der wir ein
Theil sind, ein neuer Stachel unseres
Eifers und unserer Hoffnung.
Der mit diesen Ideen und Worten
so tapfer und grossgesinnt vom Leben
zu uns spricht, ist kein Anderer als
der Dichter jenes kleinen dramatischen
Aktes von den Blinden, der Dichter der
Angst, der Lebensangst, der Todesangst,
der Dichter der „Prinzesse Moleine”,
der „Intruse”, der „Mort deTintagilles”;
es ist MAURICE MAETERLINCK
in seinem prachtvollen Buch „La Sa -
gesse et la Destinee”. Es ist eines der
Bücher, die wirken wie ein Erlebniss.
Es strahlt von innerer Schönheit! Ein
grosses Glück hat es gereift. Nicht
was man so gewöhnlich „Glück” nennt.
Ein ernstes, grosses, fruchtbares Glück,
das wie ein helles Feuer brennt und
reinigt. Ein Glück wie die Liebe des
Dante zur Beatrice. Denn was hat
Maeterlinck nicht überwinden müssen,
ehe er dies Buch schreiben konnte.
Welch ein Schritt vom „Tresor des
Humbles” zu diesem. Es ist das Buch
eines Glücklichen, der zur Weisheit ver -
führen will. Denn nur der Weise ist
glücklich. Der Weise ist immer glück -
lich. Er verwandelt alles im Glück.
Er ist der Herr des Schicksals. Das
Schicksal kann ihn nicht überwinden.
Denn wer ist weise? Der so denkt,
wie Maeterlinck es im Eingang seines
Buches skizzirt. Der die harte Realität
des Lebens erkannt und sich ihr kind -
lich unterworfen hat. Der gelernt hat,
die furchtbare Grösse der Natur zu ver -
stehen und es sich abgerungen, sie in
ehrfürchtiger Bewunderung zu lieben.
Der den Muth hat, als Mensch sich
von ihr abzusondern und als Natur -
wesen sich ihr einzuordnen. Und da -
bei den Willen, sich nach ihr umzu -
bilden, ohne sich gänzlich aufzugeben.
Was kann das Leben diesem anhaben?
Was kann das Schicksal an ihm zer -
stören? Er ist unangreifbar. Was er
erfährt, verwandelt er in innere Schätze.
Er hat oft die Kraft, die Ereignisse zu
beherrschen. Der Zufall beugt sich
gern seinem Willen. Wer die Gesetze
der Wirklichkeit kennt, wird Meister
über sie. Aber nicht so ist der Weise
Herr seines Schicksals. Auch ihm pas-
sirt, was anderen Sterblichen passirt. Er
leidet, wie alle Menschen leiden. Ja,
er leidef noch mehr. Denn er fühlt
sich nie als Einzelner; er fühlt sich als
ein lebendiges Stück Menschheit und
er leidet in sich das Leiden der Mensch -
heit. Doch nicht das Leiden ist zu
fliehen, sondern die Entmuthigung. Und
der Weise schöpft aus Allem Muth.
Er zieht aus Allem Kraft. Was immer
ihm widerfährt, wird für ihn Stoff zur
Erkenntniss. Alles mehrt in ihm das
Gefühl für die Grösse des Lebens, lehrt
ihn die Bewunderung für das Ueber-
menschliche, Unmenschliche des welt -
beherrschenden Princips. Er weiss, dass
es nicht Gerechtigkeit ist, nicht äussere
Gerechtigkeit in unserem Sinn. Er
©
glaubt nicht, dass die Tugend belohnt
wird und das Laster bestraft. Er glaubt
viel eher an die gezüchtigte Tugend.
Und er will es so. Er würde eine
Tugend verachten, die etwas um des
Lohnes Willen thäte. Die Tugend hat
ihren Lohn in sich. Sie weiss sich in
Übereinstimmung mit den Gesetzen des
Lebens. Und sie fühlt sich in dieser
Übereinstimmung glücklich. Nur die
Tugend ist Glück. Nur die wohlwol -
lenden Gefühle sind Glück. Nur Lieben
und Bewundern ist Glück. Und dem
Weisen wird alles zum Gegenstand der
Liebe und Bewundernng. Er ist für
alles dankbar, was er empfängt. Er
bringt jedes böse und gute Ereignäss
zum Blühen; ihm reifen überall süsse
Früchte. Was ihm begegnet, wird ihm
ein inneres Erlebnis; mehrt seineinneren
Schätze. Und dieser innere Reichthum
ist Glück. Also ist der Weise glück -
lich. Da nur der innerlich REICHE
glücklich, so ist Maeterlinck^ Weiser
kein Entsagender. Im Gegentheil. Der
Weise muss alles erfahren haben. Wohl
lässt sich auch im engsten Kreise Grosses
erleben. Denn nur die Seele erlebt.
Allein die Erfahrung corrigirt. Und
dann übt die Mannigfaltigkeit des Le -
bens, die Mannigfaltigkeit der Kräfte.
Sie lehrt uns geschickt handeln. Und
geschickt handeln ist so viel wie richtig
denken. Es heisst schnell denken, mit
dem ganzen Wesen denken. Es weckt
in uns neue Energien, es bereichert uns.
Je wechselvoller unser Dasein, um so
mehr umspannt unsere Weisheit. Und
der Weise muss inmitten aller mensch -
lichen Leidenschaften leben; die Leiden -
schaften des Herzens sind die beste Nah -
rung der Weisheit. Alles, was das
grosse Gefühl des Lebens vermehrt,
alles, was Leben ist, muss der Weise in
sein inneres Gebiet hinüberziehen. Alles
muss er meiden, was in ihm das Leben
entmuthigt. „Denn vergessen wir nie -
mals: was auch unsere Mission auf
dieser Erde sein mag, was auch der
Zweck unserer Anstrengungen und
unserer Hoffnungen, das Resultat un -
serer Leiden und unserer Freuden, wir
sind vor Allem die blinden Bewahrer
des Lebens. Das ist die einzig absolut
sichere Sache, das ist der einzige feste
Punkt in der menschlichen Moral. Man
hat uns das Dasein gegeben, wir wissen
nicht warum; doch es scheint evident,
dass es nicht geschah, um es zu schwä -
chen oder zu verlieren. Wir repräsen-
tiren sogar eine ganz besondere Form
des Lebens auf diesem Planeten: das
Leben des Gedankens, das Leben der
Gefühle und darum ist alles, was ge -
eignet ist, die Energie des Denkens
und die Energie des Fühlens zu ver -
mindern, wahrscheinlich unmoralisch."
Doch zu den Entmutigungen, die der
Weise fürchtet, gehört nicht die Ent-
muthigung einer traurigen Wahrheit.
Eine entmuthigende Wahrheit ist besser
als eine schöne Lüge, die ermuthigt.
Eine Wahrheit wird die Entmuthigung
stets überdauern; der Muth wird einer
Lüge aber in Bälde versagen. Keine
Wahrheit darf uns auf die Dauer be -
trüben. „Alles, was in der Welt ist,
muss für uns gut sein, da wir selbst
eine Frucht dieser Welt sind. Ein Ge -
setz des Weltalls, das uns grausam
scheint, muss dennoch unserem Wesen
viel mehr gemäss sein als die besten
Gesetze, die wir erfinden können. Die
Zeiten sind wahrscheinlich nahe, wo
der Mensch lernen muss, das Centrum
seines Stolzes und seiner Freuden anders -
wohin zu pflanzen als in sich selbst.
Während unsere Augen sich öffnen,
fühlen wir mehr und mehr uns von
einer enormen Kraft beherrscht und
überschattet; doch wir erwerben zu -
gleich immer mehr und mehr die in -
time Gewissheit, dass wir selbst einen
Theil dieser Kraft ausmachen; und so -
gar wenn sie uns schlägt, können wir
sie bewundern, wie Telemach das Kind
die Kraft des väterlichen Arms be -
wunderte.“ Es giebt Momente, wo das,
was uns besiegt, uns schon näher zu
berühren scheint, als der Theil von uns
selbst, welcher unterliegt. Wäre die
Natur minder achtlos, sie schiene uns
nicht so gewaltig. Dass sie zerstören darf,
was uns werthvoll gilt, dass sie ver -
schwenden mag, was uns
unersetzlich, giebt uns
das Mass ihrer Grösse
und ihres Reichthums.
Dass wir für sie nichts
bedeuten, macht sie uns
so bedeutend. Und was
wir in ihr verlieren, ge -
winnen wir in ihr; denn
was wir bewundern, wird
gewissermassen ein Theil
von uns selbst, und je
grösser es ist, desto
grösser die Seele, die
so Ungeheueres zu be -
hausen vermag.
Eine kurze Skizze gleich dieser kann
nur die Gesinnung und den Umriss eines
Buches wiedergeben, das um so reicher
ist, als es der festen Systematik entbehrt.
Es ist nicht unanfechtbar. Dass wir
selbst unser Schicksal sind und insofern
auch unseres Schicksals Herren, ist eine
Wahrheit; doch sind wir wirklich Herren
unseres Selbst? Ist unser Ich nicht selbst
schon ein Schicksal? Ist es uns nicht
anerschaffen? Ich will nicht die müssige
Frage nach der Freiheit des Menschen
auf werfen; es kann sich in der Praxis
doch nur darum handeln, ob wir die
Kräfte, die in uns liegen, frei machen
können, sie frei zu benutzen verstehen.
Allein in welchem Mass wir das
können, hängt nicht ganz von unserem
Willen ab. Es ist nicht so einfach,
ein Weiser zu sein als Maeterlinck es
meint. Zwar unterscheidet er Grade. Es
giebt von der instinktiven Weisheit bis
zu der voll bewussten zahllose Stufen;
jedoch die instinktive, ist sie nicht mehr
noch als die ausgereifte
ein vorbestimmtes Werk
der Natur? — Aber viel -
leicht WILL Maeterlinck
dies alles vergessen. Viel -
leicht ist es gut, dass alles
dies einmal vergessen
wird. Es ist nothwen-
dig, dass alle Kräfte des
Menschen wieder einmal
auf gerufen werden. Und
vielleicht hat Maeterlinck
recht, wenn er vorher alle
Hemmungen ausschaltet.
MARIE HERZFELD.
E nde Februar dieses Jahres veranstaltet
die Vereinigung: die Auktion des
künstlerischen Nachlasses ihres leider zu
früh dahingegangenen Vorkämpfers,„des
Landschaf tsmalersTHEODORv. HÖR -
MANN, welcher am t.Juli 1895im Alter
von 55 Jahren zu Graz verschied. Hör -
mann wandte sich erst im Jahre 1883
der Kunst zu, nachdem er aus Liebe
zur Malerei seine militärische Laufbahn
verlassen hatte. Er war auf der Aka -
demie Schüler von Lichtenfels und ver -
dankte später viele Anregung den Malern
Schindler in Wien, Collin in Paris und
Holzel in Dachau. In den Wäldern von
Barbizon, in derUmgegend von München
(Dachau, Wessling) und in einem idyl -
lischen Winkel bei Znaim ist er dann
durch ein wahrhaft fanatisch eifriges,
durchaus selbständiges Studium zu jener
hohen künstlerischen Stufe gelangt, auf
der ihn die Werke, die diesen Jahren
entstammen, zeigen. Unbekümmert
um das Urteil des Publikums, der Kritik
und seiner Kunstgenossen, strebte er
hart und fest seinem Ziele entgegen.
Der gewaltige Wahrheitstrieb und die
kerngesunde Ursprünglichkeit in seinen
Bildern sichern denselben einen dauern -
den Wert. Entsprechend einem Wunsche
des Verstorbenen, welcher aus dessen
Künstlerschicksal hervorgegangen, hat
die Witwe den Erlös zu einer Stiftung
für emporstrebende Künstler bestimmt.
V
Für die Redaktion verantwortlich: Architekt Joseph M. Olbrich, Wien.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.