es verstehen lernt . . . Sie sind Tag und Nacht um Euch, und Ihr seht sie doch erst in dem Augen blicke, wo sie für immer Abschied nehmen . . . Und welche seltsame kleine Seele musste sie doch haben; welche arme, unerschöpfliche und unschul dige kleine Seele hat sie gehabt, mein Sohn, wenn sie gesagt hat, was sie gesagt haben muss, wenn sie gethan hat, was sie gethan haben muss! . . . DER FREMDE: Eben lächeln sie still in der Stube . . . DER ALTE: Sie sind ruhig . . . Sie erwarteten sie heute Abend nicht mehr . . . DER FREMDE: Sie lächeln, ohne sich zu rühren... Aber nein! der Vater legt den Finger auf den Mund. DER ALTE: Es ist wegen des Kindes, das am Herzen der Mutter eingeschlafen ist . . . DER FREMDE: Sie wagt sich nicht aufzu richten, um es nicht im Schlafe zu stören . . . DER ALTE: Sie arbeiten nicht mehr ... Es ist sehr still . . . DER FREMDE: Sie haben eine Strähne weisse Seide fallen lassen . . . DER ALTE: Sie blicken das Kind an . . . DER FREMDE: Sie wissen nicht, dass andre sie beobachten . . . DER ALTE: Jetzt blicken sie auch hierher ... DER FREMDE: Sie blicken auf . . . DER ALTE: Und doch können sie nichts sehen . . . DER FREMDE: Sie scheinen glücklich, und doch weiss man nicht, was vorgeht . . . DER ALTE: Sie wähnen sich sicher. Sie haben die Thüren fest zugemacht, und die Fenster haben eiserne Riegel . . . Sie haben die Wände des alten Hauses ausgebessert; sie haben die Eichenholzthüren mit Eisen beschlagen . . . Sie haben alles vorge sehen, was sich vorsehen lässt . . . DER FREMDE: Man muss es ihnen doch end lich sagen. Es könnte sonst einer kommen und es ihnen unvermittelt mittheilen ... Es war eine Menge von Bauern auf der Wiese, wo die Todte lag . . . Wenn einer von ihnen an die Thür klopfte . . . DER ALTE: Marie und Martha sind bei der kleinen Todten. Die Bauern haben eine Trag bahre aus Aesten gemacht, und ich habe der Aeltes- ten gesagt, sie solle uns sofort benachrichtigen, wenn sie sich in Marsch setzen. Warten wir so lange, bis sie kommt; sie soll mich begleiten ... Wir hätten ihnen nicht so Zusehen sollen ... Ich glaubte, ich hätte nur anzuklopfen, einzutreten, ein paar Redensarten zu machen und zu sagen . . . Aber ich habe ihnen zu lange zugesehen, wie sie bei ihrer Lampe sitzen . . . (Marie kommt.) MARIE: Grossvater, sie kommen. DER ALTE: Bist Du's? Wo sind sie? MARIE: Sie sind am Saume der letzten Hügel. DER ALTE: Werden sie auch ohne Lärm kommen? MARIE: Ich habe ihnen gesagt, sie sollten mit gedämpfter Stimme beten. Martha ist bei ihnen . . . DER ALTE: Sind's viele? MARIE: Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Sie hatten Lichter mit. Ich habe ihnen aber ge sagt, sie sollten sie ausmachen . . . DER ALTE: Von welcher Seite kommen sie? MARIE: Sie kommen auf dem Fusspfad. Sie gehen langsam . . . DER ALTE: Es ist Zeit. MARIE: Habt Ihr's noch nicht gesagt, Gross vater? DER ALTE: Wie Du siehst, haben wir noch nichts gesagt . . . Sie warten noch bei der Lampe. Blick' hin, mein Kind, blick' hin; da siehst Du, was Leben ist . . . MARIE: Oh, wie ruhig sie sind! . . . Man möchte sagen, sie träumen . . . DER FREMDE: Vorsichtig! Ich habe die beiden Schwestern zittern sehen . . . DER ALTE: Sie stehen auf . . . DER FREMDE: Ich glaube, sie gehen an's Fenster . . . (Die eine der Schwestern, von denen die Rede ist, tritt soeben an das erste Fenster, die andere an das dritte; sie legen zu gleicher Zeit die Hände gegen die Scheiben und starren lange in’s Dunkel.) DER ALTE: Niemand tritt an's Mittelfenster. MARIE: Sie blicken hierher . . . Sie horchen. DER ALTE: Die ältere lächelt, denn sie weiss nicht, was sie sieht. DER FREMDE: Und die Augen der zweiten sind voller Angst . . . DER ALTE: Vorsicht! man weiss nicht, wie nahe die Seele um die Menschen ist. .. (Langes Schweigen. Marie birgt sich an der Brust des Alten und umarmt ihn.) MARIE: Grossvater! . . . o