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CHARLOTTE ANDRI-HAMPEL
ORIGINAL-LITHOGRAPHIE
WIENER RAUCHFÄNGE.
Zeichnungen von
Charlotte
Andri-Hampel
S ist lohnend, bei einem Gange
durch die Stadt sich einmal
nur die Rauchfänge anzusehen.
Ihre Mannigfaltigkeit ist über=
raschend. In Gruppen und einzeln ra=
gen sie in die Luft oder lehnen sich an
Mauern hoher Häuser an. Kurze ge=
drungene, schlanke und zierliche, ur=
sprüngliche, verbesserte und ange=
stückelte wechseln ab und überraschen
das Auge immer wieder durch neue
Formen und Variationen. Bald regel=
mässig, bald willkürlich über die Dä=
eher gestreut, bieten sie den seltsam=
sten Contrast. © © ©
© Trotzig und finster, ohne Bedürfnis
nach Gesellschaft, verrichten einige
ihre Beschäftigung, während andere
wieder reinlich und sauber mit sanften
Ausladungen sich mit den lichten Wol=
ken zu verbinden scheinen oder sich
vom tiefblauen Himmel hell abheben.
© Viele drängen sich wohl im Ge=
fühle grösserer Sicherheit eng anein=
ander und bilden so eine Gesellschaft,
welche meist sehr lustig wirkt, na=
mentlich wenn sie von verschiedener
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Höhe und ungleichem Umfang
auch unterschiedliche Bedeckun=
gen tragen. ©©©
© Diejenigen, welche noch die
ursprüngliche Form besitzen,
tragen als Bedachung meist die
traditionellen, gegeneinander ge=
lehnten Ziegel, oft mehrmals
übereinander geschichtet, ähn=
lieh einem Kartenhause. Andere
dagegen, deren Luftzug nicht
stark genug gewesen, sind mit
Röhren versehen, welche je nach
Bedarf und Neigung gerade oder
krumm, lang oder kurz sind. ©
© Der Aufbau von Gruppen ist
mitunter kühn und monumental,
immer strebt noch einer höher, und dennoch werden sie
von riesigen Fabrikschloten überragt. ©©©
© Der alte Wiener Rauchfang bildet oft den einzigen
Schmuck des Hauses, aus welchem er wächst, die einzige
kräftigere Ausladung, und ist oft zugleich die einzige freiere
Regung des Baumeisters; zuweilen ist er ein Scherz, in vie=
len Fällen aber, so scheint es mir, der gesteigertste Ausdruck
von Lebenslust, deren sein Erbauer fähig war. In der inneren
Stadt besonders, wo der Platz zum Bauen so beschränkt
war, und sich die Häuser in die Höhe entwickeln mussten,
sind infolge dessen die merkwürdigsten Gebilde entstanden.
© Immer, wenn in einer unserer Strassen ein Gebäude
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niedergerissen wird, enthüllen
sich uns neue, in ihrem Um=
fange noch nie gesehene Dä=
eher mit kühner Silhouette. ©
© Auf kurze Zeit dem stau=
nenden Blicke blossgelegt, wer=
den sie meist wieder verbaut
oder ebenfalls demoliert, um
einem der schablonenhaften,
langweiligen oder modern thu=
enden Häuser Platz zu machen,
welche bereits interessante ©
Theile der Stadt in uninter=
essante verwandelt haben. ©
© Mit den alten Stadtvierteln
verschwindet auch der immer
eigenartige Rauchfang, ohne
dass für ihn ein vollwertiger Ersatz geschaffen würde; denn
von seinen jüngeren Brüdern kann man nicht behaupten,
dass sie originell sind. In der Regel weiss der Baumeister mit
ihm künstlerisch nichts anzufangen, er ist für ihn oft eine
Verlegenheit, in der er sich keinen anderen Ausweg weiss,
als ihn nach Möglichkeit zu verstecken. Ein temperament=
voller Architekt würde mit Freuden diese so günstige Ge=
legenheit ergreifen, um seine Lust an der Bildung schöner
Formen zu befriedigen. = Zum Tröste kann gesagt werden,
dass in jüngster Zeit Anzeichen vorhanden sind, als ob dem
Rauchfange wieder sein Recht würde. ©©©
Wien. CHARLOTTE ANDRI=HAMPEL.
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