W. LIST
APHRODITE ANDROPHONOS
WIENER GÄRTEN.
O dachten sie die Künstler wohl, die sie schufen: als geschmack -
volle Scenerie für den höfischen Prunk, als wohldisciplinierte
Coulissen für das Ceremoniell der Zeit, als heiteren Hintergrund
für die goldglitzernde Farbenpracht der seidenen und samm-
Jtenen Gewänder, belebt von sprudelnden Brunnen und jubeln -
den Göttern. ©0©
© Andere Menschen kamen und damit andere Weisen. Der Freiheits -
drang verfehmte jenen gekünstelten Zwang. Man liebte das „NATÜR -
LICHE”. Das kleinste Stück Garten sollte einen Ausschnitt wilden Waldes
oder freier Wiese vorzaubern. Man schuf Natur = künstlich. Und so ver -
loren jene Gärten das Verständnis und die Liebe der Menschen und galten
als blosse Spielerei vergangener Mode. ©Q©
© Und doch sprechen diese uns entfremdeten Formen auch eine NEUE
Sprache zu den NEUEN Menschen, und in anderen Tönen klingt ihre
Seele harmonisch an das feinere Ohr. An den langen geraden Alleen gleitet
ungehindert der Blick weithin zum sonnigen Rundplatz; die zusammen -
strebenden Linien leiten das Auge lockend zum fernen Ziel der Sehnsucht.
= In erhabener Ruhe wie in tiefinneren Träumen ragen dunkel die fest -
geschlossenen Formen der hohen Bäume; nach aussenhin sich abschlies -
send, drängt ihre Kraft ins Innere. = Unermüdlich, gleich unserer Seele,
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streben die Fontainen zum
reineren Himmel, und ge -
brochen sinken ihre Wasser
zerstäubend zurück ins mar -
morne Becken. == Steinerne
Treppen ruhen erwartungs -
voll vor dem schweigenden
Schlosse, dort, wo die ge -
heimnisvollen Sphinxe, räth-
selbergend, lagern, ein kaltes
Lächeln auf den Lippen als
höhnische Antwort dem Fra -
genden. == Gleich schwarzen
Märchenblüten ranken sich
die üppigen Zieraten an den
eisernen Gitterthoren, der
Stunde harrend, wo eine
mächtige Hand sie endlich
wieder öffnet.=Die steiner -
nen Götter baden sich im
Frühlingslicht, verlangend
nach neuer Jugend. = Sie
schauern, wenn des Herb -
stes welke Blätter sie um -
rauschen. = Schneebedeckt
friert der Gott des Lichtes.
Seine steinerne Sonne hebt
er aufwärts zum frostigen
Himmel=machtlos! ©0©
© So ertönen uns aus den
alten Gärten statt heiterer
Festklänge leiseElegien von
tiefer Schönheit. © © ©
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DER SCHWAN
DIE MASKE.
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© Schon tönt das Lied
der Schwermuth von
deiner Harfe, wonnige
Dämmrung, sehnsüch=
tig nach dunklen Träu=
men. ©©©
© Doch will ich heute
nicht träumen: das la=
chende Leben draussen
lockt mich an; verlassen
sei die Werkstatt, das
Tagewerk vollbracht.
© Seltsam schimmert
dort von ihrer Wand
jene stille Maske mir
entgegen. Ein stummes
Lächeln spielt auf ihren
Lippen. = Sie spottet
wohl über mich, dass ich
zu früh dem Abend wei=
che, zu bald schon feire!
© Gut denn! sie habe
Recht! Noch nicht ru=
hen will ich; doch auch
sie soll nicht ruhen:
von ihrer Wand hebe
ich sie weg, auf den
Tisch lehne ich sie und
will es versuchen, ihr ge=
heimnisvolles Lächeln
nachzufühlen mit der
flüchtigen Kohle. © ©
© Friedlich wölben
sich die Brauen unter
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der glatten Stirne: da
wohnet göttliche Ruhe,
ewiges Vergessen. Die
breiten Scheitel der ©
Haare umhüllen weich
die Schläfen und um=
kränzen die Träume. =
Leicht geschlossen sind
die Lider: auch auf
ihnen stiller Friede, und
nur ein leiser Zug darin
kündet von vergang=
nem Weinen, fernem
Leiden. = Die Nüstern
blähen sich wie ath=
mend = sind es Düfte
der dunklen Traumes=
blumen, die sie sehn=
süchtig saugen? = ©
Lieblich rundet sich die
Wange herab = hinein
= zum Mund. ©©©
© Wie süss der lä=
chelt! Leise schwellend
wölbt sich die Oberlippe
vor, beseligt weicht die
untere zurück. ©©©
© Dass ich es bannen
könnte, dieses Lächeln,
das unergründliche, das
Geheimnis erlösen, das
auf deinen Lippen ©
schwebt, deine ver=
schwiegenen Räthsel
errathen, hervorküssen
deine Träume, zu ©
I
glühendem Leben sie
wecken! ©0©
© Du Lächeln voll
Sehnsucht, oftmals gieng
ich an dir vorüber und
verstand dich nicht:
todt war mein Herz und
stumm. Doch heute er=
kenne ich dein Schwei=
gen, deine Schleier fal=
len; meine Seele flammt
auf in dir, meine Träu=
me lohen in deinem
Zauber, meine Pulse
zittern dir entgegen: ge=
offenbart ist mir dein
tiefstes Sein! ©0©
© Wie? = Lösen sich
nicht die Lippen? =
Athmet er nicht, der
Mund? = Flüstert er
mir nicht süssen Hauch,
sehnende W eisen ? ©
© Schwellen sie nicht,
diese Lippen, wie zum
Kuss mir entgegen, =
erlösend = erlöst? ©
© Ja! dich versteh ich,
alles begreife ich: mein
ist dein tiefes Geheim=
nis, dein Lächeln ist
mein und trunken da=
von ist meine Seele. =
O wonnigste Stunde!
seliges Heute! ©0©
© Gibt es ein Morgen
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dafür? = Wie heute
du mir gelächelt, nie
wieder wirst du mir
lächeln! Einmal nur
war es, ein einziges=
mal wird es sein; sei
es das letztemal! =
Was heute mir lebte,
auf ewig sei es todt!
0 = = — —? ©©©
© Ein Ruck! ein Sturz!
= In Stücken liegt sie
auf der Erde! = Hat sie
mein frevler Wunsch
gemordet? = Ueber die
Trümmer werfe ich ©
mich, = taste = suche:
Hier die Stirne! = da =
Mit tu »1*
die Haare! = weiter! =
ein Stück der Wange! =
Wo = wo ist der ©
Mund? = der Mund,
der mir so gelächelt =
wo? = ah! hier = end=
lieh! = die eine Lippe;
darunter grausam der
Sprung! = Wo dann
die andere? = Find’ ich
sie nimmer ? = zersprun=
gen? = zersplittert?! =
© Doch = endlich! =
da = da! = Aneinander
halte ich beide Stücke
mit zitternder Hand: =
wohl lächelt sie mir
wieder = wehmütig!