EMIL ORLIK OM.
ORIGINAL-LITHOGRAPHIE
EIN PRAGER KÜNSTLER.
IE giebelige, thürmige Stadt ist seltsam gebaut: die
grosse Historie kann in ihr nicht verhallen. Der
Nachklang tönender Tage schwingt in den welken=
den Mauern. Glänzende Namen liegen, wie heim=
liches Licht, auf den Stirnen stiller Paläste. Gott dunkelt in
hohen gothischen Kirchen. In silbernen Särgen sind heilige
Leiber zerfallen und liegen wie Blütenstaub in den metal=
lenen Blättern. Wachsame Thürme reden von jeder Stunde,
und in der Nacht begegnen sich ihre einsamen Stimmen.
Brücken sind über den gelblichen Strom gebogen, der, an den
letzten verhutzelten Hütten vorbei, breit wird im flachen
böhmischen Land. Dann Felder und Felder. Erst ein wenig
bange und ärmliche Felder, die der Russ noch erreicht aus
den letzten lauten Fabriken, und ihre staubigen Sommer
horchen hinein in die Stadt. Dann, an langen Alleen steil=
stämmiger Pappeln, beginnen rechts und links die immer
wogenderen Ernten. Apfelbäume, krumm von den reich=
Sämmtliche Illu -
strationen von
Emil Orlik OM.
Prag
liehen Jahren, heben sich bunt aus dem Korn. Vorn, am
Strassenrand, verstaubt ein Kartoffelfeld, und wie später
Abendschatten dunkelt ein Dreieck Kohl, blauviolett, vor
dem jungen Gehölz. Tannen dahinter beenden schweigsam
das Land. Kleine hastige Winde hoch in der Luft. Alles
andere = Himmel. So ist meine Heimat. ©0©
© Da sollte man meinen: in diesem Lande ist das Kindsein
besonders leicht. Was andere Kinder anderswo mühsam
zusammen träumen, das steht hier lebensgross und von der
Wirklichkeit bejaht, mitten in ihrem Tag. Man geht an
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keiner Kirche vorbei,
ohne die goldenen Ge=
heimnisse hinter den
Ampeln schimmern zu
sehen, und auf den
grossen Plätzen zittert
die Luft noch von stol=
zen fürstlichen Stim=
men. Alles Grosse ist
wie gestern geschehen,
und die Kinder ahnen:
es kann wiederkehren
und mit Glanz oder mit
Grausamkeit den täg=
liehen Tag verdecken,
den sie doch nur zum
Schein und ohne tiefere
Theilnahme leben. Und
aus dieser steten Erwar=
tung des bunten und
sonderbaren Schicksals,
aus diesem Horchen
nach dem Unerhörten,
müsste am Rande der
Kindheit, dort, wo die
Kräfte sich zurückzie=
hen aus den verstreuten
Dingen, um im Jüngling
selbst sich zitternd zu
vereinen, das Be=
streben entstehen,
das Fremde, ewig
Nahende und Feier=
liehe, wie ein lang=
verdientes Recht, in
die Wirklichkeit zu
reissen: zu schaffen.
Das heisst aus die=
ser PRAGER Kind=
heit müsste eine
PRAGER Kunst
entstehen, wie ei=
ne natürliche Fort=
Setzung, wie ein
zweiter Band jenes
wundervollen Mär=
chenbuches, der den
ersten erfüllt, bestä=
tigt und in strahlen=
den Apotheosen zu=
sammenfasst. ©©
© Aber es scheint,
dass die Kinder
nicht unwillkürlich,
nicht offen genug
sind gegen ihrKind=
sein. Es liegt viel=
leicht auch an der
Zeit, welche so viele Verlockungen hat, und an der noch
ganz jungen Vergangenheit, welche neben der reifen
Historie zu ihren Sinnen spricht, so dass sie darüber ihre
Phantasie vergessen und den Tag leben und alle seine
Kleinheiten und Beklemmungen auch. Denn der Tag ist
gar laut und wichtig in der Stadt der vielen Feindschaf=
ten und Falschheiten, und es gehen allmorgentlich zwei
Sonnen auf über dem Hradschin: eine deutsche und eine =
andere. Diese andere Sonne liebt das Land, und (was noch
nothwendiger ist) sie begreift es. In ihrer Wärme entsteht
eine innige und intime Kunst mit gutem (nur etwas stark
von den Franzosen beeinflusstem) Nachwuchs, von der ich
hier nicht zu sprechen habe. Unter der ersteren Sonne, der
deutschen, schliessen sich verschiedene Künstlervereine =
wie um grösserer Wärme willen = zusammen und ihre
Mitglieder sind die Vertreter einer unnationalen, überall
möglichen Kunst, die durch nichts auffällt und dem kaufen=
den Publicum selten Aergernis gibt. So fliesst in den jährli=
chen Weihnachtsausstellungen des „Vereines der deutschen
bildenden Künstler in Böhmen” jene Mussestundenkunst
alternder lediger Damen fast unmerklich mit den anderen
Ausstellungsgegenständen zusammen. Einzelne tüchtige
Arbeiten können kaum zu ihrem Rechte kommen, wo die
Mittelmässigkeit sich so behaglich und so sehr anerkannt
von der öffentlichen Meinung breit macht. Im deutschen
Böhmen ist die Literatur = Zeitungsschreiberei und die bil=
dende Kunst ihrerseits das geworden, was dem Journalis=
mus entspricht. Es gibt nur zwei Wege, diesen Zustand
irgendwie zu überdauern: entweder sich auf sich selbst
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zurückzuziehen, sich enger an das Land, seine Art und An=
muth anzuschliessen, als den einzigen Verkehr, der fördern
und festigen kann, = so wie es etwa Hans Schwaiger in
seinem mährischen Dörfchen thut, = oder in die Fremde zu
ziehen, wo sich so viel Grosses und Verheissungsvolles be=
gibt, mit einem freudigen Willen, alles anzuerkennen und
zu lernen, und mit der stillen Hoffnung im Herzen, als
Könner in die Heimat wiederzukehren, um sie neu und
würdig und reif auszusprechen mit echtgoldenen Worten.
© So zog Emil Orlik aus. So wird er noch einigemal aus=
ziehen, irgend einer rufenden Schönheit nach oder, um vor
irgend einer Grösse sich zu verneigen, wie er es in diesem
Jahre that, wo seine Fahrt bis nach Japan geht. Aber
immer, auch von dort, wird er in sein Heimatland, Böhmen,
zurückkommen, immer tiefer in dieses Land wird seine
Wiederkehr reichen, und immer umfassender und breiter
wird das Wiedersehen sein mit den wartenden Dingen, die
auf seine stille und ernste Kunst hoffen. © © ©
© Diese Kunst ist von allem Anfang streng gegen sich
selbst gewesen, und für den, der sie verfolgt hat, ist dieses
Unerbittlichsein gegen sich selbst, dieses stete sich bilden,
glätten, ründen zum einfachsten und kürzesten Ausdruck
hin, ihr vorzüglichstes Merkmal geblieben. Bei der überaus
offenen, gegen jede Freude freien Natur Orliks kann ich
mir sein frühzeitiges Abwenden von der Farbe nur durch
eine Art von Selbsterziehung erklären. Sein malerisches
Auge bringt von jedem Spaziergang tausend Eindrücke
mit, von kleinen Notizen über einen bewegten Zweig bis
zur breiten Wirkung flacher Landschaften oder belebter
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Plätze, und seine bereite und tüchtige Hand wäre jedem
dieser Eindrücke willig. Daraus könnte eine Menge inter=
essanter Skizzen entstehen, = aber es ist auch Gefahr vor=
handen, dass mit der Zeit eine gewisse Hast und Flüchtig=
keit dem Bestreben, Alles Geschaute darzustellen, ent=
springt, besonders, da der Pinsel so leicht und scheinbar
mühelos allen Impulsen folgt. Und dann auch, weil die
Farbe, diese feine Schmeichlerin, die die Dinge so oft schön
verschweigt, den Künstler zu schnell und zu laut lobt, so
dass mancher, an sie hingegeben, seiner eigensten Ziele
vergass. Auch ist sie, die Farbe, wie schon Klinger in
seiner Schrift über Malerei und Zeichnung fand, in ihrem
besten Sinn immer Freude, Schönheit, Erhabenheit und
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EMIL ORLIK OM.
„BERNARD PANKOK”
ORIGINAL-HOLZSCHNITT
Ruhe, = ein Resultat, etwas Endgiltiges und Zuständ=
liches; = wo aber finden sich unter dem Drängen der Bilder
und Geberden Motive, dauernd genug, diese höchste Farbe
wie einen purpurnen Mantel zu tragen? So kam es, dass
Orlik aus Furcht vor billigen Erfolgen (auch solchen Er=
folgen vor sich selbst) sich der Farbe, nach welcher vieles
in seinem Gefühle drängt, entschlug und seinem schnellen
Schaffen eine doppelte Verzögerung auferlegte: eine stoff=
liehe und eine technische. Stofflich: Indem er sich von dem
Vielen, das, nach Darstellung verlangend, in ihm wuchs,
immer an das Allereinfachste schloss, an das, welches ihn
am leisesten rief und
mit der zagendsten
Stimme; die Kraft der
anderen unterdrücke
ten Stoffe musste
endlich dem einen,
sieghaften dienen,
und von ihr kommt
diese grosse Wärme
in seinen Blättern
her. Diese Stoffe
selbst aber führten
seine Liebe zu den
Meistern von Barbi=
zon; und er lernte
von ihnen, sie gaben
ihm das Recht, so zu
arbeiten. = Die tech=
nische Verzögerung
stellt die Radierung
dar, dieser ganze
schwere Kampf mit
dem härteren Mate=
rial, das geduldige
Erwarten der fertig=
geätzten Platte, ihre
mühsame, immer ©
wieder unterbroche=
ne Vollendung. Der
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Holzschnitt, der ge=
naue Kenntnis des
Mittels, seiner Struc=
tur, Dichtigkeit und
Weiche erfordert,
und der besonders
in jedem einzelnen
Fall, der betreffen=
den Eigenart des
Holzes gemäss, be=
handelt sein will,
lehrte ihn zunächst
das Material aus=
nützen, seine Tu=
genden und Fehler
zu Gunsten der Ar=
beit verwerten, und
führte seine bereit=
willige Verehrung
zu den Schotten hin,
zu Whistler beson=
ders, und zu den
englischen Meistern.
Der Originalholz=
schnitt mit mehreren
Platten, dem seine
jüngsten Versuche
gehören, führt in
weitem Kreis wie=
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der zur Farbe, d. h. zu einer anderen Farbigkeit, zurück. Zu
jenen ruhigsten, kürzesten, schlagworthaften Ton werten,
welche allein der Einfachheit der Darstellung, wie Orlik sie
anstrebt, entsprechen. ©0©
© So war sein bisheriger Weg eine beständige unermüd=
liehe Annäherung an die Dinge, ein Sich=vertraut=machen
mit ihren Wünschen und Eigenheiten und ein Bestreben,
nichts Bedeutendes an ihnen zu übersehen und sich durch
nichts Zufälliges beirren zu lassen. ©©©
© Aus allen Wandlungen und Wirrnissen und Ueber=
gängen soll die Kunst den „Extract der Dinge”, welcher
ihre Seele ist, retten; sie soll jedes einzelne Ding isolieren
aus dem zufälligen Nebeneinander heraus, um es in die
grösseren Zusammenhänge einzuschalten, längs welcher
die Ereignisse, die wirklichen Ereignisse, sich vollziehen.
Dies ist der Inhalt von Orliks Streben auch, und es scheint
mir eine ernste Künstlerabsicht zu sein. Wenn ich in die=
sem Fall zu ihrem Verständnis gefunden haben sollte, so
kommt es von der gemeinsamen Heimat her, zu welcher
Orlik mit jedem neuen Werke inniger und dankbarer
wiederkehrt. Und jede fernere Fremde, welche er auf=
sucht, ist nur Raum für den Anlauf, dessen er braucht, zu
dem grossen Sprung bis in den innersten Kreis ihres unver=
rathenen Wesens. ©©©
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Schmargendorf.
RAINER MARIA RILKE.