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Sämmtliche Illu -
strationen von
Ernst Stöhr OM.
St. Pölten
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EINE ALTE STUBE.
ROM, 25. MÄRZ 1900.
' ~ " CH komme von Ne=
apel zurück und fin=
de hier diese Drucke
li nach Zeichnungen
von mir, die eine alte Stu=
be meiner Heimat schildern,
und die ich, mit einigen Wor=
ten eingeleitet, in die Welt
schicken soll. ©©©
© Vor meinen Augen steht
noch Pompeji. Ich sehe das
schwermüthige Bild seiner
Strassen; die Ruinen seiner
Foren, Tempel, Theater, Bä=
der; die Reste seiner Häuser.
Das römische Wohnhaus! Ich
hatte mich redlich gemüht,
aus dem Vorhandenen mir ein
klares Bild dieses Hauses, sei=
ner Wohnräume, seiner Ein=
richtung und des Lebens jener
Zeit zu schaffen. Es drängt, die
Vergleichungspunkte mit un=
serer Art zu suchen. Wie vie=
les gemeinsam und wie vieles
12,1
doch verschieden!
Und alles im Schlei=
er der Zerstörung.
Ein Leben, das sich
im Freien abspielte;
ein Haus, das ein
Stück Eigenthum
nach aussen abgür=
tete, und Wohnräu=
me, die doch nur
künstlerisch ausge=
staltete Unterschlu=
pfe zur Nachtzeit
und bei schlechtem
Wetter waren. Das
Hausgärtchen, das
Eigenste der römi=
sehen Familie, mit
all den kleinen Brun=
nen und seltsamen
Bildwerken; die of=
fenen Säulengänge;
die zierliche Wand=
decoration, Schmuck
für sich, die Wände
weisen keine Nagel=
spuren = was hätte
ich gegeben, wenn
mir einige Blätter
(
124
S“ V-
aus römischer Zeit in die
Hand gefallen wären, die
einfach und getreu einen
Wohnraum gezeigt hätten,
wie er eingerichtet und be=
lebt war. Die Malereien, so=
weit sie nicht Darstellungen
der herrlichen griechischen
Mythen sind, spielen mit
dem Gegenstände in phan=
tastischer oder decorativer
Weise. Die schlechteren er=
zählen noch das meiste, und
der Abstand vom armen
zum reichen Hause war da=
mals doch gerade so gross
wie heute. ©0©
© In diese fremde Welt
versenkt, mutheten mich
meine eigenen Zeichnungen
nun eigenthümlich an. Es
sind einfache Abbildungen
einer mir wohl vertrauten
Stube. Man findet in alten
Häusern viele dieser Art. Sie
zeigen ein Leben, das nach
innen geht. So war es mir,
als sähe ich ein liebgewor=
denes, befreundetes Antlitz.
127
© Erinnerung ist do ch alles!
Was Erinnerungen weckt,
das wirkt. Viele mögen diese
Blätter achtlos aus der Hand
legen. Ich durchwandle nun
doch im Geiste diesen kleinen
gewölbten Raum, betrachte
die Kästen mit all dem Kram,
den ein kleines Leben darauf
gehäuft, was sich an den
Wänden festgesetzt; dann die
Stühle, die Betten, den Tisch.
Ich schaue in die Stube, wenn
morgens die Sonne herein=
scheint, und wenn das Abend=
licht darinnen verdämmert.
Auch den Frieden, den das
Lampenlicht verbreitet, fühle
ich und die Stille des kleinen
Nachtlichtes. Alles ist mir ver=
traut. Die Stimmungen we=
cken mir Erinnerungen, die Ge=
genstände und die Menschen.
© Ich notiere diese Gedan=
ken, während ich in die Cam=
pagna hinausspaziere von
Ponte molle nach Prima Por=
ta, wo im Landhause der
Livia ein kellerartiger Raum
128
gezeigt wird, dessen Wände reich mit Laubwerk ge=
schmückt sind. Vögel beleben dasselbe; Granatäpfelschim=
mern aus dem Grün; Nadelhölzer und Rosensträuche
schaffen Unterbrechungen. Ein seltsamer Raum. ©0©
© Ich wende mich um. Die Kuppel von St. Peter ragt mäch=
tig empor. Ich denke an den herrlichen Innenraum und an
alles, was ihn durchlebt. Und dann denke ich an die niedern
Gewölbekappen meiner alten Stube, an den länglich kleinen
Raum und an alles, was ihn belebt. Und ich fühle die weiten
Abstände des Lebens, was V/ert hat für den Menschen, und
was neben dem Grossen ruhig besteht. Ein Gewitterguss
kommt. Ich flüchte mich in eine zeltförmige Strohhütte der
Campagna. Eine Osteria. Die Thür gibt einzig Licht. Ein klei=
nes Loch im Strohdach lässt den Rauch abziehen. Die Dun=
kelheit lässt mich anfangs nichts sehen. Dann entwirren sich
einige Stühle; Hunde; Katzen; Menschen, die mich anstarren;
eine Wirtin, die mir Wein bringt, einen Sessel säuberlich mit
weissem Tuche deckt, der nun als Tisch dient. Dann ahne
ich den gemauerten Herd in der Mitte der Hütte mit Koch=
geschirren, gegen die Wand einen Kasten, Wäsche, die die
hölzernen Rippen des Daches hinaufkriecht. Aus der dunk=
Tiefe höre ich das Schreien eines Kindes. Die alte römi=
sehe Hütte. Und nun denke ich wieder an die Hallen der
Peterskirche, an die Kuppel; zurück an die Tempeln und Pa=
laste der römischen Kaiserzeit, an die mehr als 2000jährige
Entwicklung der Stadt. Und dann schaue ich mir die Men=
sehen an, die eine Stunde weit vomThore dieser Stadt woh=
nen, wie sie vor 1000, vor 2000 Jahren hier gesiedelt haben.
© Was lässt die Menschen so treu zu ihrer Art halten?
ERNST STÖHR.
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