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AUS DER BURG KREUZENSTEIN (1.) Sie
VON CAMILLO SITTE-WIEN E4-
TÜNDE diese Burg mit ihren Kunst-
schätzen in Spanien oder England, so
müsste man eigens dorthin reisen, um
das alles zu sehen; umso erfreulicher ist
es, dass ein solches Werk bei uns ent-
steht in nächster Nähe von Wien."
In diese Worte fasste Seine kaiserliche
Hoheit der kunstsinnige Erzherzog Franz
Ferdinand sein Urtheil zusammen, nach
eingehender mehrstündiger Besichtigung.
Was ist nun dieses merkwürdige Bauwerk?
Die erste Anregung zum Beginn des Baues gab die Absicht zur
Errichtung einer neuen Familiengruft. Hiezu wählte der Erbauer
Graf Hans Wilczek den Ort der eine Stunde nordwestlich von
Korneuburg gelegenen, in altem Familienbesitz befindlichen Burgruine
Kreuzenstein, wegen ihrer eigenen Denkwürdigkeit und auch wegen
ihrer herrlichen Höhenlage mit prächtiger Aussicht über die ganze
Donaugegend, wie sie sich zu Füssen des Kahlenberges ausbreitet.
Die Gruft selbst wurde der Lage nach kryptenartig angelegt,
unter der ehemaligen Burgkapelle, deren Fundamente mit deutlich
gothischem Achteck-Chor noch vorhanden waren. Darüber erhob sich
in neuer Gestalt, aber im Grundrisse verschiedene Unregelmässig-
keiten der alten Anlage beibehaltend, eine gothische Kapelle von so
eigenartigerErtindung undDurchführung, dass man es nicht empfindet,
hier einem Werke neuester Zeit gegenüber zu stehen.
Schon die Unregelmässigkeiten in der Haupteintheilung wider-
sprechen der starr symmetrischen Reissbrettarchitektur unserer Zeit,
noch viel mehr aber die naturwüchsige Art des Aufbaues, die reiche
ungemein feine Farbenstimmung, die Gliederung der Einzelheiten und
die Fülle von merkwürdigen Kunstwerken, welche allenthalben immer
neu entdeckt werden, je länger, je öfter man irgend einen Theil
des Ganzen betrachtet.
Nirgends eine Wiederholung, nirgends blosse Raumfüllung oder
blosse architektonische Gemeinplätze; nirgends ist auch nur eine
Spur von jener hastigen Eile zu sehen, mit der gegenwärtig selbst
Monumentalbauten höchster Bedeutsamkeit emporgejagt werden. Im
Banne dieses so eigenartig dastehenden Kunstwerkes überkommt
jeden Beschauer eine seltene weihevolle Stimmung, wie sie nur von