Producten unserer Zeit - litterarische nicht ausgenommen, denn auch
da spielte die photographische Wiedergabe ihre Rolle - einen ganz
bestimmten Stempel aufdrückt. Man sehe illustrirte Zeitschriften der
Fünfziger- und Sechziger-Jahre gegenüber den Leistungen unserer
Tage an. Der Unterschied im Sehen und in der Wiedergabe des
Gesehenen muss dem schlichtesten Verstande auffallen. Was für
wesentlich andere Anschauungen über die Bewegungen von Mensch
und Thier haben sich entwickelt gegenüber den früheren! Es sei nur
an das eine Factum erinnert, dass manche neuere Reiterstatuen
Bewegungen zeigen, die sich an der Hand fortlaufender Moment-
aufnahmen, wie sie z. B. Anschütz machte, als durchaus falsch
erwiesen, so dass wenn z. B. eine Schrittbewegung dargestellt werden
sollte, sie in der That einen bestimmten Moment des Galoppes
- freilich unfreiwilligerweise - darstelltf") So wenig nützlich die
Photographie dem Unerfahrenen ist, der in erster Linie Zeichnen
lernen sollte, ein so vortreffliches Erinnerungsmittel ist sie für den
reifen Künstler geworden, der seine Erinnerung mit ihrer Hilfe
wesentlich zu beleben imstande ist, sofern ihm nicht ein geradezu
phänomenales Erinnerungsvermögen, wie es z. B. Böcklin besitzt,
beschert wurde.
Es wurde vorhin gesagt, die Anwendung photographischer Pro-
ceduren gebe in manchem Falle trotz der Facsimile-Reproduction
ein etwas abgeschwächtes Bild des Originals. Das ist in erster Linie
da der Fall, wo tonige Zeichnungen in Tonwerte für Reproduction
maschinell umgesetzt werden. Die manuelle Umsetzung, durch Holz-
schnitt, erlaubt die Wiedergabe aller Tonwerte, vom tiefsten sammt-
artigen Schwarz bis zum höchsten Licht. Das thut die Autotypie nicht,
kann es nicht thun, aus rein technischen Gründen. Selbst ihr höchstes
Licht bleibt, sofeme nicht geschabt wird, Ton; ihre Tiefen aber be-
kommen nie die saftige Sattheit des mit Tusche oder Schwarz behan-
delten Originals. Ähnlich verhält es sich mit der Heliogravure, die
ohne manuelle Nachhilfe selten ganz gute Resultate liefert. Das sind
Schattenseiten der Reproductionsverfahren, ohne Zweifel. Indes hat
') Der Amerikaner Muybridge hat nach dieser Seite hin eine ganze Reihe antiker Momente
untersucht. Durch seine Feststellungen an der Hand solcher Suiten von Momentphotographien ist
dargethan, dass hier die Thierbewegungen durchwegs richtig aufgefasst sind. Er sagt in einem seiner
Vorträge: „Von all den antiken Reiterüguren, die ich in Bezug auf die Richtigkeit des Bewegungs-
mcrnents, zu controliren imstande war, hat sich keine als fehlerhaft erwiesen, ebenso wenig jene der
grossen Renaissance-Meister, wogegen die neueren Reiterstandbilder in dieser Hinsicht fast durch-
wegs grobe Fehler aufweisen. Das Reiterstandhild König Ludwig I. zu München z. B., das scheinbar
eine ruhige Gangart des Pferdes zeigt, ist, wenn man der Sache auf den Leib rückt, eigentlich in einem
Moment schärfster Carriere dargestellt - unfreiwillig, denn der Bildhauer wusste ganz einfach nicht,
was er machte. Die beiden ruhig neben dem reitenden König hergehenden Pagen müssten, wenn sie
wirklich Schritt mit dem Pferde halten wollten, rennen „wie besessen". Dies nur ein Beispiel.
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