(„l-Iänsel und Gretel") und die Poesie des Winters. Wir können natürlich nicht alle
Blätter einzeln nennen, wir bemerken bloss, dass durchwegs ein hohes künstle-
risches Niveau festgehalten ist. Mit dem Schlendrian einer nicht ernst zu
nehmenden „Kunst für Kinder" ist gebrochen, hoffentlich für immer. Die Rückseite
derBogen enthält den nothwendigen Text, der jedem Volksstamme in seiner eigenen
Sprache geboten wird. Schliesslich ist zu erwähnen, dass im Einzelverkauf ein
Bogen der Volksausgabe schwarz zehn Heller, farbig zwanzig Heller kostet. Ausser-
dem gibt es aber noch eine Liebhaber- und eine Luxusausgabe, letztere in hundert
numerirten Abdrücken. Nicht bloss Kinder, Eltern und Lehrer, auch die Künstler
haben allen Grund, dieses Unternehmen freudig zu begrüssen, denn es arbeitet
ihnen vor und sucht im heranwachsenden Geschlecht beizeiten die Empfänglichkeit
für gesunde Kunst zu wecken.
WERESCHTSCHAGIN-AÜSSTELLÜNG. Nach zehnjähriger Ab-
wesenheit war Wassili Wereschtschagin wieder im Künstlerhause er-
schienen. Er ist der Alte geblieben, nur dass er um zehn Jahre älter geworden.
Damals kam er von Plewna, über alle dieSchlachtfelderher; jetzt kam er von Moskau,
durch alle die Bibliotheken. StattSkobelews istNapoleonI. sein Held geworden; jener
negative Held, den man aus Tolstois „Krieg und Frieden" kennt. Generalissimus
Winter den General Bonaparte besiegend, das ist - nach des Malers scherzendem
Ausdrucke - der Inhalt seines grossen Napoleon-Cyclus, der schon in Paris und
Berlin das Publicurn beschäftigt hat. „General Schnee", das ist der unwidersteh-
liche Taktiker, dem die Strategie Napoleons erlag. Die confuse Strategie eines
vom Schicksal Verblendeten, der an chronischer Genieerweichung zugrunde geht.
Wereschtschagin malt die Pathologie Napoleons, er construirt sich einen rath-
losen, verdutzten, gelähmten Imperator, dem das Kainszeichen auf der Stirne
steht. Das ist nationale, politische und demokratische Malerei, wie wir sie bei dem
Künstler kennen. Nur holt er seinen Mann diesmal aus der Vergangenheit, er hat
ihn aus zweiter Hand und Napoleon kann nicht so echt werden, wie die hoch-
namigen und namenlosen Helden des russisch-türkischen Krieges. Dafür berichtigt
er ihn chronistisch und zieht ihm die heldenhafte Attitüde aus, in der die cäsa-
rische Hofmalerei ihn einst dargestellt. Nach einer Skizze des Generals Lejeune
trug der Kaiser auf dem Rückzuge von Moskau einen schweren Pelz und eine
ungeheure Pelzhaube mit Ohrenklappe bis auf die Schlüsselbeine herab. Weresch-
tschagin lässt ihn also nicht wieDavid auf dem St. Bernhard, Gerard bei Austerlitz
und Gros bei Eylau in kokett-heroischer Unverfrorenheit selbst tief unter Null über
alle Kälte erhaben sein, sondern recht verfroren, den Wanderstab in der Hand,
an der Spitze seiner Truppen durch tiefen Schnee heimwärts waten. Er degradirt
ihn vom Gott zum Menschen; auch Wereschtschagin macht, wie Victor Hugo,
seinen „Napoleon le petit". Der Schnee des Künstlers ist auch jetzt vortrefflich,
obgleich er ihn meist in der hellen Wintersonne glitzernd, mit hellblauen Schatten
und rosigen Reflexen spielend zeigt. Ein lustiger Schnee, in einigen grossen
Bildern zu decorativ sogar, ein feiertäglicher Schlittenfahrt-Winter, als jauchze
die russische Natur über ihren Sieg. Man wird an den sonnenprächtigen Schnee
Julian Falats (Krakau) erinnert, der ihn allerdings mit moderner Lockerheit hin-
setzt. Wereschtschagin führt noch die Hand der älteren Historienmaler; sie ist
aber mächtiger geworden, er trägt breiter und saftiger auf, als vor zehn Jahren,
wo er durch die stegreifmässige Frische seiner oft dünn hingewischten Augen-