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Volltext: Monatszeitschrift I (1898 / Heft 2)

(„l-Iänsel und Gretel") und die Poesie des Winters. Wir können natürlich nicht alle 
Blätter einzeln nennen, wir bemerken bloss, dass durchwegs ein hohes künstle- 
risches Niveau festgehalten ist. Mit dem Schlendrian einer nicht ernst zu 
nehmenden „Kunst für Kinder" ist gebrochen, hoffentlich für immer. Die Rückseite 
derBogen enthält den nothwendigen Text, der jedem Volksstamme in seiner eigenen 
Sprache geboten wird. Schliesslich ist zu erwähnen, dass im Einzelverkauf ein 
Bogen der Volksausgabe schwarz zehn Heller, farbig zwanzig Heller kostet. Ausser- 
dem gibt es aber noch eine Liebhaber- und eine Luxusausgabe, letztere in hundert 
numerirten Abdrücken. Nicht bloss Kinder, Eltern und Lehrer, auch die Künstler 
haben allen Grund, dieses Unternehmen freudig zu begrüssen, denn es arbeitet 
ihnen vor und sucht im heranwachsenden Geschlecht beizeiten die Empfänglichkeit 
für gesunde Kunst zu wecken. 
WERESCHTSCHAGIN-AÜSSTELLÜNG. Nach zehnjähriger Ab- 
wesenheit war Wassili Wereschtschagin wieder im Künstlerhause er- 
schienen. Er ist der Alte geblieben, nur dass er um zehn Jahre älter geworden. 
Damals kam er von Plewna, über alle dieSchlachtfelderher; jetzt kam er von Moskau, 
durch alle die Bibliotheken. StattSkobelews istNapoleonI. sein Held geworden; jener 
negative Held, den man aus Tolstois „Krieg und Frieden" kennt. Generalissimus 
Winter den General Bonaparte besiegend, das ist - nach des Malers scherzendem 
Ausdrucke - der Inhalt seines grossen Napoleon-Cyclus, der schon in Paris und 
Berlin das Publicurn beschäftigt hat. „General Schnee", das ist der unwidersteh- 
liche Taktiker, dem die Strategie Napoleons erlag. Die confuse Strategie eines 
vom Schicksal Verblendeten, der an chronischer Genieerweichung zugrunde geht. 
Wereschtschagin malt die Pathologie Napoleons, er construirt sich einen rath- 
losen, verdutzten, gelähmten Imperator, dem das Kainszeichen auf der Stirne 
steht. Das ist nationale, politische und demokratische Malerei, wie wir sie bei dem 
Künstler kennen. Nur holt er seinen Mann diesmal aus der Vergangenheit, er hat 
ihn aus zweiter Hand und Napoleon kann nicht so echt werden, wie die hoch- 
namigen und namenlosen Helden des russisch-türkischen Krieges. Dafür berichtigt 
er ihn chronistisch und zieht ihm die heldenhafte Attitüde aus, in der die cäsa- 
rische Hofmalerei ihn einst dargestellt. Nach einer Skizze des Generals Lejeune 
trug der Kaiser auf dem Rückzuge von Moskau einen schweren Pelz und eine 
ungeheure Pelzhaube mit Ohrenklappe bis auf die Schlüsselbeine herab. Weresch- 
tschagin lässt ihn also nicht wieDavid auf dem St. Bernhard, Gerard bei Austerlitz 
und Gros bei Eylau in kokett-heroischer Unverfrorenheit selbst tief unter Null über 
alle Kälte erhaben sein, sondern recht verfroren, den Wanderstab in der Hand, 
an der Spitze seiner Truppen durch tiefen Schnee heimwärts waten. Er degradirt 
ihn vom Gott zum Menschen; auch Wereschtschagin macht, wie Victor Hugo, 
seinen „Napoleon le petit". Der Schnee des Künstlers ist auch jetzt vortrefflich, 
obgleich er ihn meist in der hellen Wintersonne glitzernd, mit hellblauen Schatten 
und rosigen Reflexen spielend zeigt. Ein lustiger Schnee, in einigen grossen 
Bildern zu decorativ sogar, ein feiertäglicher Schlittenfahrt-Winter, als jauchze 
die russische Natur über ihren Sieg. Man wird an den sonnenprächtigen Schnee 
Julian Falats (Krakau) erinnert, der ihn allerdings mit moderner Lockerheit hin- 
setzt. Wereschtschagin führt noch die Hand der älteren Historienmaler; sie ist 
aber mächtiger geworden, er trägt breiter und saftiger auf, als vor zehn Jahren, 
wo er durch die stegreifmässige Frische seiner oft dünn hingewischten Augen-
	        
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