MAK

Volltext: Monatszeitschrift I (1898 / Heft 4 und 5)

Zur architektonischen Durchbildung dieses, wie alles übrigen, 
vom Bauherrn selbst concipirten Ensembles war der Architekt Karl 
Gangolph Kaiser ausersehen und es ist dies jedenfalls seine 
bedeutendste Leistung auf Burg Kreuzenstein. An dieser Stelle 
erscheint es nothwendig, das ganz eigenartige Verhältnis des Bau- 
herrn zu seinem Architekten zu erörtern, denn es handelt sich hier 
um nichts geringeres, als um die Scheidung des geistigen Eigenthums- 
rechtes an einer hervorragenden Kunstschöpfung. 
Es hat sich schon im Vorhergehenden einigemale die Gelegenheit 
ergeben, zu betonen, dass Graf Wilczek nicht blos die Ideen angab 
oder dem Künstler blos auftrug, was gemacht werden solle, sondern 
dass er auch selbst die Entwürfe zeichnerisch herstellt, ja selbst die 
Naturdetaile regelrecht in allen Ansichten mit allen constructiven 
Angaben eigenhändig ausführt und persönlich eingreift bei Herstellung 
von Maquetten und von Modellen. Auch am Bauplatz trifft Graf 
Wilczek selbst die wichtigsten Anordnungen; kurz er ist sein eigener 
Architekt, sein eigener Bauleiter. Das ist auch geradezu noth- 
wendig, wenn ein Bau wie dieser gelingen soll; denn die innere 
Conception des Baues begann ja schon mit dem Ankaufe all der 
ungezählten Bautheile und Einzelkunstwerke, die hier ihre Verwendung 
finden. Die einheitliche Stimmung des Ganzen muss aber gleichfalls 
von hier aus schon ihren Ausgangspunkt nehmen. Dazu kommt aber 
noch, dass Graf Wilczek infolge seiner umfassenden litterarischen und 
Museumsstudien, seiner vielen Reisen und steten Beobachtungen 
thatsächlich eine solche Kennerschaft mittelalterlicher Kunst und 
Kunsttechnik und insbesondere des mittelalterlichen Burgenbaues 
nach jeder Richtung hin sich erworben hat, dass ihm hierin nur 
Specialisten wie Viollet le Duc oder Essenwein zur Seite gestellt 
werden können. In der intimsten Kennerschaft des mittelalterlichen 
Burgenbaues überragt Graf Wilczek ohne Zweifel alle lebenden 
Architekten und was die regelrechte Erlernung der Baukunst als 
besonderen Beruf betrifft, so wurde das bischen Schulbildung und 
Atelierpraxis reichlich ersetzt durch decennienlange Übung im Bauen 
selbst. So ist Graf Wilczek gleichsam ein Architekt und Baumeister 
von dem Schlage früherer Zeiten, als derjenige, der Kathedralen und 
Schlösser zu bauen wusste, noch nichts verstand von Graphostatik 
und Geometrie der Lage. 
Trotzdem war für die Ausführung des Werkes ein Berufsarchitekt 
noch erforderlich, als dasjenige stetig ziehende Gewicht im Uhr- 
werk, das immer da ist, immer anordnet, immer alles überwacht, 
damit die Arbeit nicht stille steht und alles klappt. Dieser Architekt
	        
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