gut zu heissen ist oder nicht, ob die Möglichkeit vorhanden ist, dass
der Weg schneller zum Ziele führt als die bisher begangenen.
Will man die Erfahrung in der richtigen Weise ausnutzen, dann
muss man zunächst die einfachen Thatsachen buchen, dieselben
erklären, das heisst die Gründe für das Entstehen dieser Thatsachen
aufdecken und dann erst die Schlüsse aus den Thatsachen ziehen:
sicherlich eine überaus einfache Sache; gerade deshalb aber werden
so gewonnene Resultate von zwingender Beweiskraft sein.
Man nehme also, um sich über die Bedeutung eines Geschmacks-
urtheils klar zu werden, ein Object, an dem sich der Geschmack des
Menschengeschlechtes in ausgiebiger Weise bethätigt hat. Man
sammle die verschiedenen Geschmacksurtheile, suche sich über die
Motive der einzelnen Urtheile klar zu werden und erörtere erst dann
die Probleme, die sich aus solchen Beobachtungen ergeben.
Man könnte ein Gemälde Raffaels oder Rembrandts nehmen, man
könnte ein berühmtes Bauwerk, ein Meisterwerk des Kunsthandwerks
nehmen - an den verschiedenartigsten Urtheilen würde kein Mangel
sein - aber praktischer noch dürfte es sein, die künstlerische Ge-
sarnmtleistung eines Gemeinwesens als Demonstrationsobject zu
wählen. Und da scheint mir Nürnberg ganz besonders geeignet zu
sein. Nirgends wohl hat sich der Charakter des späten deutschen
Mittelalters, der aufsteigenden Renaissance glänzender gezeigt als in
Nürnberg. Wenn von den Zeiten kraftvollsten Bürgerstolzes ge-
sprochen wird, denkt man noch heute unwillkürlich an das Nürnberg
Dürers und Vischers. Und Nürnberg hat noch heute so treu das Bild
der eigenen Vergangenheit bewahrt, dass jedem, der es gesehen, bei
seiner blossen Erwähnung die Zeiten des XV. und XVI. Jahrhunderts
wieder lebendig werden. Der beste Beweis dafür, dass es sich durch
die Jahrhunderte den einheitlichen Charakter seines künstlerischen
Wesens gewahrt hat. Halten wir also Umschau nach Geschmacks-
urtheilen über Alt-Nürnberg! jede historische Bibliothek wird uns
reiche Ausbeute liefern.
Androphilus schreibt 1 7 35 in seiner „Kurieusen Reisebeschreibung"
von Nürnberg: „Es ist ein galanter Ort, der seines Gleichen an Grösse,
Schönheit und vortrefflichen Freyheiten wenig hat." Nürnberg mit
seinem schweren Mauerwerk, mit seinen gewaltigen Kirchen, seinen
winkeligen Strassen ein ,galanter Ort'? Man muss bedenken, dass
„galant" ein Schlagwort der Zeit war, noch gerade frisch genug, um
immer im Munde geführt zu werden. Es will nichts weiter bedeuten,
als „liebenswiirdig", wie das abgegriffene Wort unserer Tage lautet.
Man befand sich eben noch in einer Zeit, die gar nicht daran dachte,