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Volltext: Monatszeitschrift I (1898 / Heft 9)

gut zu heissen ist oder nicht, ob die Möglichkeit vorhanden ist, dass 
der Weg schneller zum Ziele führt als die bisher begangenen. 
Will man die Erfahrung in der richtigen Weise ausnutzen, dann 
muss man zunächst die einfachen Thatsachen buchen, dieselben 
erklären, das heisst die Gründe für das Entstehen dieser Thatsachen 
aufdecken und dann erst die Schlüsse aus den Thatsachen ziehen: 
sicherlich eine überaus einfache Sache; gerade deshalb aber werden 
so gewonnene Resultate von zwingender Beweiskraft sein. 
Man nehme also, um sich über die Bedeutung eines Geschmacks- 
urtheils klar zu werden, ein Object, an dem sich der Geschmack des 
Menschengeschlechtes in ausgiebiger Weise bethätigt hat. Man 
sammle die verschiedenen Geschmacksurtheile, suche sich über die 
Motive der einzelnen Urtheile klar zu werden und erörtere erst dann 
die Probleme, die sich aus solchen Beobachtungen ergeben. 
Man könnte ein Gemälde Raffaels oder Rembrandts nehmen, man 
könnte ein berühmtes Bauwerk, ein Meisterwerk des Kunsthandwerks 
nehmen - an den verschiedenartigsten Urtheilen würde kein Mangel 
sein - aber praktischer noch dürfte es sein, die künstlerische Ge- 
sarnmtleistung eines Gemeinwesens als Demonstrationsobject zu 
wählen. Und da scheint mir Nürnberg ganz besonders geeignet zu 
sein. Nirgends wohl hat sich der Charakter des späten deutschen 
Mittelalters, der aufsteigenden Renaissance glänzender gezeigt als in 
Nürnberg. Wenn von den Zeiten kraftvollsten Bürgerstolzes ge- 
sprochen wird, denkt man noch heute unwillkürlich an das Nürnberg 
Dürers und Vischers. Und Nürnberg hat noch heute so treu das Bild 
der eigenen Vergangenheit bewahrt, dass jedem, der es gesehen, bei 
seiner blossen Erwähnung die Zeiten des XV. und XVI. Jahrhunderts 
wieder lebendig werden. Der beste Beweis dafür, dass es sich durch 
die Jahrhunderte den einheitlichen Charakter seines künstlerischen 
Wesens gewahrt hat. Halten wir also Umschau nach Geschmacks- 
urtheilen über Alt-Nürnberg! jede historische Bibliothek wird uns 
reiche Ausbeute liefern. 
Androphilus schreibt 1 7 35 in seiner „Kurieusen Reisebeschreibung" 
von Nürnberg: „Es ist ein galanter Ort, der seines Gleichen an Grösse, 
Schönheit und vortrefflichen Freyheiten wenig hat." Nürnberg mit 
seinem schweren Mauerwerk, mit seinen gewaltigen Kirchen, seinen 
winkeligen Strassen ein ,galanter Ort'? Man muss bedenken, dass 
„galant" ein Schlagwort der Zeit war, noch gerade frisch genug, um 
immer im Munde geführt zu werden. Es will nichts weiter bedeuten, 
als „liebenswiirdig", wie das abgegriffene Wort unserer Tage lautet. 
Man befand sich eben noch in einer Zeit, die gar nicht daran dachte,
	        
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