sich in eine bewusste Opposition zur Vergangenheit zu setzen. Ja, man
bildete sich ein, dass die Schnörkel des Rococo eine geistreichere
Renaissance seien. Man fühlte sich als Enkel und stand nicht an, den
Grosseltern alle Schuldige Reverenz zu erweisen. Herr Androphilus
gibt sich sogar Mühe, nach Dingen Umschau zu halten, die er mit
ehrlicher Begeisterung für wirklich schön erklären kann. Und er findet
auch solche Dinge: „Die vortrefflichen Brunnen, welche man hie und
da auf den Plätzen siehet, dergleichen an Schönheit und Kostbarkeit
wohl wenige anzutreffen, weil sie alle springend und den Fontainen
gleichkommen, sind mehrentheils mit grossen eisernen Gegittem
künstlich ausgearbeitet und umzüngelt." Die köstlichen Dome mit
ihrem reichen Inhalt, die malerischen Erker, die vornehmen Höfe der
Reichen sieht er nicht, aber dass die Brunnen springen gleich den
Fontainen, das entzückt sein Herz und mag in seinen Gedanken die
Erinnerung an Versailles und seine Wasserkünste wecken. Wie
anders klingt es, wenn I5 Jahre später Jonas G. Keyssler in seinen
„Neuesten Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn etc." schreibt:
„Die Stadt ist wohlgebaut, indessen aber doch mit keinen solchen
Privathäusern versehen, welche den Namen von Palästen verdienen."
Wie kühl, wie kritisch, wie voreingenommen klingt das. Wir glauben
schon zwischen den Zeilen so etwas wie eine Ablehnung des künst-
lerischen Charakters der Stadt Nürnberg zu lesen. Die Reflexionen
der Zeit über ästhetische Probleme haben das kritische Vermögen
geweckt, aber haben noch keine festen Masstäbe in die I-Iand gegeben.
So erscheinen die Leistungen der eigenen Zeit relativ immer noch die
besten. Keyssler schreibt: „Die sog. neue Kirche (Egydienkirche) ist
die schönste in der Stadt, fast oval gebaut, in Ansehung ihrer Länge
aber nicht hoch genug. Die St. Sebalduskirche ist lang und dabei
finster." Das Urtheil erklärt sich, wenn man hört, dass die Egydien-
kirche in den Jahren x71 I bis I7r8 erbaut wurde, die St. Sebalduskirche
aber im XIII. Jahrhundert.
Die Negation der Zeit ging noch weiter. Als Sulzer, der später
die „Allgemeine Theorie der schönen Künste" herausgab, im Jahre
1750 mit dem jungen Klopstock Nürnberg besuchte, da schrieb er:
„Gemeine Reisende wissen in Nürnberg sehr viel Merkwürdiges zu
finden, wir fanden nichts; und dieses soll uns, wie ich hoffe, zur
grösseren Ehre gereichen als wenn wir Keysslern mit unserer
Beschreibung übertroffen hätten. Denn sich da nicht umsehen, wo
alle anderen ein rechtes Element ihrer Neugier finden, ist doch auch
für etwas zu achten." Fühlt man nicht aus diesen Worten heraus,
dass der Schreiber - ein kaum dreissiähriger Professor der Berliner