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Volltext: Monatszeitschrift I (1898 / Heft 9)

Universität - vollgestopft ist mit dem ganzen Dünkel des soeben 
Mode gewordenen Classicismus? Was sich nicht an römischen Ellen 
messen liess, das war überhaupt keiner Berücksichtigung wert. 
So waren die Anfänge des neuen Zeitalters, deren leuchtendste 
Sterne Winckelmann und Lessing hiessen. Aber es war auf die Dauer 
unmöglich, sich schlechthin ablehnend zu verhalten. Ganz übersehen 
liessen sich schliesslich die nichtclassischen Äusserungen der Kunst 
doch nicht. Man beschäftigte sich denn auch oberflächlich mit ihnen, 
aber ohne Herz, ohne Interesse. Lessings Freund, der kühle, verstän- 
dige, allzu verständige Nicolai konnte 1781 durch Nürnberg reisen 
und konnte über diese Reise schreiben ohne das leiseste Wort der 
Freude oder der Anerkennung über die Lippen zu bringen, freilich 
auch ohne ein Wort des Tadels über die Kunst Nürnbergs, über den 
architektonischen Charakter der Stadt auszusprechen. Er registrirte 
die Eindrücke wie man Büchertitel registrirt, ohne jede Spur eines 
lebendigen Interesses. 
Da sind andere Grössen des Zeitalters offener. Wilhelm Heinse, 
der treflliche Schöpfer des Ardinghello, nennt im _]ahre 1772 Nürnberg 
„betrübt und weinerlich" und Mozart gar schreibt 1790: „In Nürnberg 
frühstückten wir - eine hässliche Stadt." So war aus der kühlen 
Ablehnung eine herbe Verurtheilung geworden: Der Classicismus 
hatte alles und jedes Verständnis für die künstlerische Kraft der 
eigenen Vergangenheit bei dem Gros der Gebildeten vernichtet. 
Man glaube nicht etwa, dass Heinse und Mozart zufällig einen 
Regentag in Nürnberg durchlebten oder dass ihre Aussprüche 
Stimmungsurtheile seien: ihr Urtheil war das Urtheil der Allgemein- 
heit und sie selbst hätten so wenig wie irgend einer ihrer Zeitgenossen 
gezögert, es eingehend zu motiviren. 
Den Beweis erbringt das Tagebuch eines sächsischen Pfarrers 
Schmidt, aus dem Erich Schmidt uns berichtet hat. Es heisst dort 
über Nürnberg (ums Jahr 1790): „Die Gassen sind fast alle winklicht, 
finster, die Häuser hoch, bunt und mit abgeschmackten Figuren 
bemalt, sehr häufig mit I-Ieiligenbildem garnirt und innewendig oft 
widersinnig angelegt . . . Das Rathhaus, die Sebald-, Lorenz- und 
Egydienkirche, das deutsche Ordenshaus, die Reichsfeste, das grosse 
Spital mit der Heiligengeist-Kirche u. s. w., welche entsetzlich auf- 
gethürrnte Massen von Steinen sind es nicht! Die Kühnheit und 
Sonderbarkeit der alten, besonders gothischen Bauart setzte mich in 
Erstaunen, aber einen angenehmen Eindruck machte es mir nirgends." 
An Klarheit lässt dies Urtheil nichts zu wünschen übrig. Und 
wir verstehen es sogar, wenn wir bedenken, dass um diese Zeit selbst
	        
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