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ein Goethe grollend in Weimar sass und sehnsuchtsvoll auf seine
italienische Zeit zurücksah, die brennende Sehnsucht im Herzen, seine
Deutschen zur südländischen Kunst zu erziehen.
Umsomehr werden wir erstaunen, wenn wir im Jahre 1797 in
Wackenroders „I-Ierzensergiessungen eines kunstliebenden Kloster-
bruders" die Worte lesen: „Nürnberg, du vormals weltberühmte
Stadt! Wie gerne durchwandere ich deine krummen Gassen; mit
welcher kindlichen Liebe betrachte ich deine altväterischen I-Iäuser
und Kirchen, denen die feste Spur von unserer alten Vaterländischen
Kunst eingedrückt ist. Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit, die
eine soderbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie
mich zurück in jenes graue Jahrhundert! Gesegnet sei mir deine
goldene Zeit, Nürnberg!" Unwillkürlich fragen wir: was ist passirt?
Wie war es möglich, dass so schnell und so gründlich sich das Urtheil
änderte? Wenn wir uns aber erinnern, was alles an gewaltigen, welt-
geschichtlichen Ereignissen sich in die kurze Spanne Zeit zusammen-
drängte, die zwischen den Jahren 1790 und 1797 lag, wenn wir uns
die Wirkungen vergegenwärtigen, die der Erfolg der französischen
Waffen in den Rheinprovinzen für die ganze deutsche Nation mit sich
brachte, dann kommt uns der Wechsel des Empfindens jenem Wahr-
zeichen deutscher Vergangenheit gegenüber kaum erstaunlich vor.
In dem Schmerz um den Verlust des linken Rheinufers, in dem
Schmerz über die innere und äussere Zerrissenheit der Nation, die
dieser traurige Krieg aller Welt aufdeckte, wuchs das Interesse an
Deutschlands grösserer, stolzerer Vergangenheit. Und je mehr man
die eigene Zeit klein und erbärmlich fand, desto gewaltiger wuchs das
Ansehen der Vergangenheit empor.
Das war die Zeit, da Schiller an Fichte schrieb (3. August 1795):
„Es gibt nichts roheres als den Geschmack des jetzigen deutschen
Publicums. An der Veränderung dieses elenden Geschmackes zu
arbeiten, ist der emstliche Plan meines Lebens." Ist es ein Wunder,
wenn da den Leuten, die mit stillem Neid an Deutschlands Mittelalter
dachten und denen man seit einem halben Jahrhundert von dem
Jungbrunnen der antiken Kunst erzählt hatte, ohne dass sie Proben
seiner Kraft kennen gelernt, ist es ein Wunder, wenn denen der
Gedanke kam, dass die Kunst der eigenen Vergangenheit vielleicht
zweckmässiger als Vorbild dienen könne, als die ferne Kunst eines
fremden Volkes? Ist es ein Wunder, wenn man aus solchen Gedanken
heraus sich vertiefte in die künstlerische Welt Alt-Nümbergs, wenn
man zu schwärmen anhub, ehe man die Dinge noch recht verstanden
hatte?