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Volltext: Monatszeitschrift I (1898 / Heft 9)

Und je mehr nun der deutsche Gedanke um sich griff, je 
hoffnungsfreudiger die Deutschen einer schöneren Zukunft entgegen- 
sahen, desto mehr nahm die Begeisterung für Nürnberg zu. Gleich- 
zeitig mit den kecken Liedern der Freiheitskriege erklangen die Worte 
Max von Schenkendorfs: 
„Wenn einer Deutschland kennen 
Und Deutschland lieben soll, 
Wird man ihm Nürnberg nennen, 
Der edlen Künste voll. 
Dich, nimmer noch veraltet, 
Du treue, iieissige Stadt, 
Wo Dürers Kunst gewaltet 
Und Sachs gesungen hat." 
Es mag genug sein mit dieser Auslese von Urtheilen über Nüm- 
berg. Unverständlich dürfte von ihnen allen - so gegensätzlich sie 
sind - kein einziges Urtheil sein. 
Welches sind nun die Schlüsse, die wir aus ihnen ziehen können? 
Das erste, sich sofort dem Beobachter aufzwingende Resultat ist doch 
wohl: Die Urtheile sind von den allgemeinen Gedanken und Empfin- 
dungen der Zeit, in der sie ausgesprochen werden, abhängig. Daraus 
ergibt sich das zweite Resultat: Geschmacksurtheile von allgemeiner, 
zeitlich nicht begrenzter Giltigkeit gibt es nicht; was eine Generation 
für schön erklärt, erklärt eine zweite Generation - mit anscheinend 
der gleichen inneren Berechtigung - für hässlich. Somit sind ästhe- 
tische Urtheile nicht für das Beurtheilte von irgend welchem Gewicht, 
sondern lediglich für die Beurtheiler, für die Kenntnis ihrer Persönlich- 
keit und der Bedingungen ihres geistigen Menschen. 
Mit anderen Worten: es gibt keine objectiven ästhetischen 
Urtheile, es gibt nur subjective, und auch diese subjectiven Urtheile 
sind keine freien, unbeeinflussten Meinungsäusserungen, sondern sie 
sind abhängig von ldeenströmungen, von der Temperatur, den Winden 
und Wolken eines Zeitalters. 
Gibt es denn gar keine Möglichkeit, den künstlerischen Äusserun- 
gen einer Zeit gerecht zu werden, sich über ihren Wert oder Unwert 
klar zu werden? 
Es gibt nur einen einzigen Weg: die ruhige Prüfung der zeitlichen 
und örtlichen Bedingungen, aus denen heraus das betreffende Werk 
entstanden ist; solche Prüfung führt zur kunstgeschichtlichen Würdi- 
gung. Wie der Botaniker sich nicht tmehr mit dem Zählen der Staub- 
fäden begnügt, sondern die Erde untersucht, in die hinein die Pflanze 
ihre Wurzeln getrieben, Temperatur und Feuchtigkeit der Luft 
beobachtet und dann nach zahllosen Beobachtungen erklärt, dieses
	        
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