RANCESCQ PAOLO MICHETTI. Im Künstlerhause war kürzlich
wochenlang eine Sammlung Michettiana ausgestellt, nicht weniger als 276
Bilder und Studien. Michetti kann man den geographischen Antipoden Seganünis
nennen. Wie dieser im Nordosten der italienischen Alpenwelt, im Val Bregaglia
bis nach Maloja hinauf einsiedelt, so Michetti im Südosten, wo die Abruzzen
hinter Chieti zur blauen Adria niedersteigen. Bei Chieti ist er auch geboren
(185x), zu Tocca da Casauria, als Sohn eines Taglöhners; dort hütete er die
Ziegen, wie Segantini im Norden. Sie sind auch beide Volk geblieben, aber
Segantini mehr als Michetti. Segantini hat sich seine eigene Malerei gemacht,
Michetti hat sie denn doch in den Städten der Menschen gelernt. Erst ein
Bischen in Neapel auf der Akademie, dann ein Bischen in Paris und wieder ein
Bischen in London. Nun lebt er seit x 5 Jahren in Francavilla a Mare, wiederum
bei Chieti, am Meer. Er malt das Land und das Volk. Östliche Lüfte spielen da
schon herein; Segantini dort oben malt die Krystallklarheit einer dünneren Luft,
Michetti da unten den Sonnendunst adriatischer Seelüfte, mit weichen Ölbäumen
und brütenden Waldthälem. Schockweise schüttelt er die Landschaftsstudien aus
dem Ärmel; sie sind weit besser, als die überlebensgrossen Volksköpfe, die er im
Freien malt, ganz sachlich, wie ein Ethnograph, und nicht gerade malerisch
interessant. Pastell ist seine Lieblingstechnik. In den Ölbildern, wo er das Klein-
leben von „Abruzzo citra" schildert, erinnert er deutlich an Bastien-Lepage, der
der Pariser Bauemmalerei eine solide Stimmung gab und die Töne der sonnen-
gegerbten Gesichter und des gemähten Heues auf der Palette festlegte. Dafür
erinnert so manches schwimmende Dämmerungsbild mit grünlichbleiehen
Menschengesichtern und grossen Schattenknäueln an damalige Londoner und
Schotten. Das Schwimmende liegt ihm überhaupt; bei Segantini ist Alles von
einer scharfen Sonne geheizt, bei Michetti von einer milden Sonne (oder ihrem
warmen Schatten) durchtränkt. Moderne werden ihn sogar etwas siiss finden. In den
Siebziger-Jahren malte er, wie alle Welt, die absolute Farbe und liess das Auge im
Sinnenreiz an sich schwelgen. Damals erregte sein „Primavera con amore" auf
der Pariser Weltausstellung von r878 einen Sturm von Bewunderung. Die grosse
Farbenstudie dazu war hier ausgestellt. Hellgrüner Strand, Meer und Himmel hell-
blau, ein heller Teppich aufs Gras gebreitet, bunte Kinder umher, bis in die
blühenden Mandelbäume hinauf, Alles in einem farbigen Blühen aufgehend. In
Paris war es aber sorgfältig ausgeführt. Sonderbarerweise wurde das bewunderte
Bild erst vier Jahre später auf einer Versteigerung in Berlin verkauft, um
6470 Mark. Der Ruhm Michettis datirte aber schon von 1877, als er das grosse
„Corpus Domini in den Abruzzen" malte. Solche Frohnleichnams- und andere
Kirchenscenen liebte er sehr. Auch in der hiesigen Ausstellung sah man
dergleichen, oder Studien dazu. Jenes „Corpus domini" wurde erst auf der
Berliner „Internationalen" x89: angekauft, aber von Kaiser Wilhelm. r894
erschien er dann auf der Weltausstellung zu Antwerpen. In der römischen
Nationalgalerie hängt sein Riesenbild: „Il voto", mit den vielen knieenden und
bäuchlings verehrenden Figuren, zu denen man hier eine Anzahl Studien sah.
König Umberto ist ein besonderer Schätzer des Künstlers und hat in Monza viel
von ihm hängen. Es ist Alles als Kabinetstück sorgfältig ausgeführt. Einiges davon
sah man hier ausgestellt, darunter zwei seltsame Porträts von 1890, der König
und die Königin, jede Figur einzeln in eine Unmasse Karmoisinroth hineingestellt,
die Königin in weisser Festtoilette, von puppenhafter Starrheit, dabei die Figuren