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Volltext: Monatszeitschrift II (1899 / Heft 3)

RANCESCQ PAOLO MICHETTI. Im Künstlerhause war kürzlich 
wochenlang eine Sammlung Michettiana ausgestellt, nicht weniger als 276 
Bilder und Studien. Michetti kann man den geographischen Antipoden Seganünis 
nennen. Wie dieser im Nordosten der italienischen Alpenwelt, im Val Bregaglia 
bis nach Maloja hinauf einsiedelt, so Michetti im Südosten, wo die Abruzzen 
hinter Chieti zur blauen Adria niedersteigen. Bei Chieti ist er auch geboren 
(185x), zu Tocca da Casauria, als Sohn eines Taglöhners; dort hütete er die 
Ziegen, wie Segantini im Norden. Sie sind auch beide Volk geblieben, aber 
Segantini mehr als Michetti. Segantini hat sich seine eigene Malerei gemacht, 
Michetti hat sie denn doch in den Städten der Menschen gelernt. Erst ein 
Bischen in Neapel auf der Akademie, dann ein Bischen in Paris und wieder ein 
Bischen in London. Nun lebt er seit x 5 Jahren in Francavilla a Mare, wiederum 
bei Chieti, am Meer. Er malt das Land und das Volk. Östliche Lüfte spielen da 
schon herein; Segantini dort oben malt die Krystallklarheit einer dünneren Luft, 
Michetti da unten den Sonnendunst adriatischer Seelüfte, mit weichen Ölbäumen 
und brütenden Waldthälem. Schockweise schüttelt er die Landschaftsstudien aus 
dem Ärmel; sie sind weit besser, als die überlebensgrossen Volksköpfe, die er im 
Freien malt, ganz sachlich, wie ein Ethnograph, und nicht gerade malerisch 
interessant. Pastell ist seine Lieblingstechnik. In den Ölbildern, wo er das Klein- 
leben von „Abruzzo citra" schildert, erinnert er deutlich an Bastien-Lepage, der 
der Pariser Bauemmalerei eine solide Stimmung gab und die Töne der sonnen- 
gegerbten Gesichter und des gemähten Heues auf der Palette festlegte. Dafür 
erinnert so manches schwimmende Dämmerungsbild mit grünlichbleiehen 
Menschengesichtern und grossen Schattenknäueln an damalige Londoner und 
Schotten. Das Schwimmende liegt ihm überhaupt; bei Segantini ist Alles von 
einer scharfen Sonne geheizt, bei Michetti von einer milden Sonne (oder ihrem 
warmen Schatten) durchtränkt. Moderne werden ihn sogar etwas siiss finden. In den 
Siebziger-Jahren malte er, wie alle Welt, die absolute Farbe und liess das Auge im 
Sinnenreiz an sich schwelgen. Damals erregte sein „Primavera con amore" auf 
der Pariser Weltausstellung von r878 einen Sturm von Bewunderung. Die grosse 
Farbenstudie dazu war hier ausgestellt. Hellgrüner Strand, Meer und Himmel hell- 
blau, ein heller Teppich aufs Gras gebreitet, bunte Kinder umher, bis in die 
blühenden Mandelbäume hinauf, Alles in einem farbigen Blühen aufgehend. In 
Paris war es aber sorgfältig ausgeführt. Sonderbarerweise wurde das bewunderte 
Bild erst vier Jahre später auf einer Versteigerung in Berlin verkauft, um 
6470 Mark. Der Ruhm Michettis datirte aber schon von 1877, als er das grosse 
„Corpus Domini in den Abruzzen" malte. Solche Frohnleichnams- und andere 
Kirchenscenen liebte er sehr. Auch in der hiesigen Ausstellung sah man 
dergleichen, oder Studien dazu. Jenes „Corpus domini" wurde erst auf der 
Berliner „Internationalen" x89: angekauft, aber von Kaiser Wilhelm. r894 
erschien er dann auf der Weltausstellung zu Antwerpen. In der römischen 
Nationalgalerie hängt sein Riesenbild: „Il voto", mit den vielen knieenden und 
bäuchlings verehrenden Figuren, zu denen man hier eine Anzahl Studien sah. 
König Umberto ist ein besonderer Schätzer des Künstlers und hat in Monza viel 
von ihm hängen. Es ist Alles als Kabinetstück sorgfältig ausgeführt. Einiges davon 
sah man hier ausgestellt, darunter zwei seltsame Porträts von 1890, der König 
und die Königin, jede Figur einzeln in eine Unmasse Karmoisinroth hineingestellt, 
die Königin in weisser Festtoilette, von puppenhafter Starrheit, dabei die Figuren
	        
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