AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN Sie
VON LUDWIG HEVESI-WIENSW
DIE JUBILÄUMSKIRCHE FÜR WIEN. Der Wettbewerb um die
Wiener Jubiläumskirche an der Reichsbrücke, unter dem Protectorate
Ihrer k. und k. Hoheit der Frau Erzherzogin Maria Theresia, hat eine rege
Bethätigung namentlich der jüngeren Kräfte hervorgerufen. Die Ausstellung der
Entwürfe im Österreichischen Museum zählte achtundvierzig Nummern. Die
meisten bewegten sich in den historischen Stilen, suchten jedoch deren inter-
essantere Formen, irgend einen Übergangsstil zu verwerten. Sogar der Übergang
von italienischer Spätrenaissance zur - Secession kam wiederholt vor, indem
die Barockdetails sich „moderne" Varianten gefallen lassen mussten. Das Hybride
dieses Verfahrens liegt auf der Hand. Es zeigten sich aber auch durchgreifendere
Einfälle, z. B. eine Kuppel mit Verglasung. Die Wagner-Schule brachte natür-
lich mancherlei; einer der Herren machte sogar einen Seitensprung und reichte
einen gothischen Entwurf ein, der thatsächlich zum Ankauf empfohlen wurde.
Sehr beliebt waren Anlehnungen an ältere Wiener Kirchenbauten: die Peters-
kirche meldete sieh wiederholt und von kleinen Karlskirchen, mit oder ohne
Durchfahrt unter den Seitenthürmen, wimmelte es förmlich. Der erste Preis fiel
dem Entwurfe des Professors Victor Luntz zu. Er hatte die romanisch-gothischen
Mischformen gewählt und sie im Sinne der Schule gestaltet. Facade stark
rornanisch, mit Säulengalerien, grosser Fensterrose und niederem Giebel zwischen
zwei Eckthürmchen; auf der Vierung ein Thurm in Eisenconstruction mit hohem
undurchbrochenem Helm; dem halbrund geschlossenen Chor zur Seite rechts
Sacristei und Pfarrhaus, links die (in der Preisausschreibung vorgesehene)
Kaiserin Elisabeth-Gedächtniskapelle mit halbrunder Apsis. Die Detailausführung
sorgfältig, allerdings auf Kosten eines frischeren, freieren Zuges. Es gab dann
noch vier zweite und vier dritte Preise. Der eigentliche zweite Preisträger ist
Max Freiherr von Ferstel, dessen Entwurf wir Ä wenn wir uns ja doch inner-
halb des Historischen bequemen sollen - für den lohnendsten halten. Er stellt
eine ungewöhnlich mannigfaltige Baugruppe hin, die mit ihrem Gemisch von
stämmigen, burg- und cottagernässigen Elementen, tief heruntergehenden rothen
Dächern und der mehr in die Breite, als in die Höhe wachsenden Anlage an
englische Landgothik erinnert. An der Facade tritt gleich über dem Portal die
grosse Schräge eines rothen Daches hervor; darüber folgt eine Rose, dann eine
Galerie, dann ein gestufter Giebel von geistreicher Ausbildung zwischen Thürm-
chen. Links steigt der viereckige Thurm auf, oben von dreifachen Schmalfenstern
durchbrochen, mit festem Helm. Das dreischifiige Langhaus ist einfach und
geräumig, das angedeutete Querschiff endet in polygonen Ausbauten (Marien-
kapelle und Sacristei). Jeder solche Ausbau besteht aus drei Sechsecken, und
zwischen diesen beiden Systemen hat man den Einblick in den interessanten
polygonen Chorabschluss, mit einem Halbkreis von sechs freien Säulen, hinter
dem noch als polygoner Ausbau die Gedächtniskapelle folgt. Diese sehr reiche,
sogar zu complicirte Gestaltung, die den Innenraum aus zu vielen kleinen Werten
zusammensetzt, wendet sich der Donau zu, deren Uferbild dadurch eine effeöt-
volle Bereicherung erfährt. Zweite Preise erhielten noch Hugo Heger (romanisch),
Emil Artmann (vernünftiger, sehr central zusammengefasster Kuppelbau) und
Alfred Wildhack (eine jener Karlskirchen mit modernen Anwandlungen). Dritte