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Valerij Gerlovin und Rimma Gerlovina, Zoo, 1976
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CAMEUHCAMKA
male AND FEMALE
sionen des stalinistischen Apparates in den fünfziger und
sechziger Jahren ursprünglich, wie beispielsweise im Werk
von Dmitrij Krasnopevcev, zu extremen Formen des Rück
zugs in subjektiv schwärmerische Traditionsbeschwörungen
und in eine persönliche Isolation geführt, so entwickelten sich
vor allem in den siebziger Jahren Positionen, die heute allge
mein mit der von Boris Groys eingeführten Bezeichnung
»Moskauer Romantischer Konzeptualismus« beschrieben
werden. Dieser Kreis ging in bezug auf das beharrende Unter
drückungssystem in einer subtilen Weise zum Gegenangriff
über, indem sich die Künstler von den herrschenden Normen
distanzierten und deren Symbole und Alltäglichkeiten aus der
Entfremdung heraus formulierten und ästhetisierten. Dies war
in der Situation der russischen Staatskultur nach Breschnews
Tod eine logische Reaktion auf die Tatsache, daß man in der
darauffolgenden Phase plötzlich von einer Entfremdung,
einem Sinnverlust und einer damit einhergehenden Ästheti-
sierung und Musealisierung der Ideologie und der durch sie
bestimmten Wirklichkeit umgeben war. Eine Entwicklung, die
infolge der durch Perestroika und Glasnost eingeleiteten Ver
änderungen im Leben und den Systemen des Sowjetbürgers
bestätigt, beschleunigt und letztlich gestoppt wurde. Heute
befindet sich die russische Kunst in einer noch radikaleren
transitorischen Phase. Während sich die Generation der
Moskauer Konzeptualisten zumindest einem gerade noch
funktionierenden ideologischen Apparat gegenübersahen,
dessen bedauernswerter Zustand ihnen Mut machte, befin
den sich die heutigen Künstler in einem Raum zwischen Exil
und ideologischer Leere, der durch einen noch viel intensi
veren Angstzustand geprägt ist. Viele Konzeptualisten, wie
beispielsweise Kabakov oder Bulatov, leben längst in West
europa oder den USA, und ihre Kunst wird im internationalen
Kontext präsentiert und interpretiert. Die neue Generation der
russischen Künstler sieht sich mit einer beliebigen Situation
konfrontiert und thematisiert die kollektiven und subjektiven
Zustände eines sich auflösenden Systems nicht mehr aus der
letztlich überlegenen Position des agierenden Oppositionel
len, sondern ist nun mit der tatsächlichen Identitätsleere nach
dem tatsächlichen Zusammenbruch des Systems kon
frontiert. Dies ist ein bedeutender Qualitätsunterschied
im Zustand des gesellschaftlichen Kontextes, mit dem die
russische Kunst konfrontiert ist. Das Resultat ist eine
kontroversielle, spontane und authentische Kunst mit stark
performativem Gestus. Einer der radikalsten Vertreter des
heutigen russischen Aktionismus ist beispielsweise Alexander
Brener, der stellvertretend für den russischen Bürger das
Koordinatensystem seiner Lebenswirklichkeit schlagwortartig
mit »sex, violence and helplessness« beschreibt." Brener
wurde Anfang 1997 in Amsterdam zu mehreren Monaten
Gefängnis verurteilt, nachdem er im Stedelijk Museum ein
Bild Malewitschs mit einem Andy Warhol zitierenden Dollar
signet übersprüht hatte. Vor einer grundsätzlichen
Verurteilung einer solchen Geste ist es aber gut zu wissen,
daß Malewitsch selbst in einem Text über das Museum vor
geschlagen hat, die alte Kunst zu verbrennen, um den Anblick
ihrer Asche genießen zu können.“ Groys weist darauf hin, daß
vor dem Hintergrund dieser Aussage das Schwarze Quadrat
Malewitschs als »Produkt der Verbrennung aller anderen Bil-
der<‘ und als »lebendiger Ursprung der Welt« interpretiert
werden kann. Diese Analogie der Leere gilt auch für sein
Weißes Quadrat als Zitat, das, wie wir sehen werden, in der
neueren russischen Kunst immer wieder vorkommt. Der
13 Brener in einem Videointerview mit Joseph Bakstejn, das in der 14 Kasimir Malewitsch, »On the Museum«, in: Essays on Art,
Ausstellung >»For a better worid - Aktionismus in Moskau« in der New York 1971, S. 68-72.
Wiener Secession 1997 gezeigt wurde.