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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe II (1867 / 22)

Begabung volle Entwicklungsfreiheit. Auge, Ohr und Hand unterstützen sich gegenseitig 
in dem Bemühen, dem Werkzeug und dem Material das Beste abzugewinnen, den Rhyth- 
mus der Arbeit voll auszubilden. Temperament und Begabung wählen die Richtung der 
Betätigung. Alle Techniken und Hilfsmittel alten und neuen Handwerks dürfen benützt 
werden, sobald sie ehrlich und sinngemäß angewendet werden. Dann geht das Kunst- 
wollen als etwas Selbstverständliches in das Individuum über; dann wird der Instinkt 
geweckt und gekräftigt, der immer und überall die künstlerische Note herausfühlt, sucht 
und fordert. Wenn auch die verstandesmäßige Erziehung oft später die Kraft der ersten 
künstlerischen Betätigung lähmt, die dem ungebrochenen Trieb eigen war, so bleibt doch 
das geweckte Unterbewußtsein tätig und veredelt die Urteilsfähigkeit während des ferneren 
Lebens. An vielen und überraschenden Beispielen wurde in Lichtbildern gezeigt, wie viel- 
fältig die Wege sind, die an der Mutterschule neuer Jugenderziehung - im Jugendkurs 
des Vortragenden - begangen werden. Er erläuterte zuerst die Probleme, die er den Kindern 
gelegentlich stellt, und jene, welche die Kinder selbst wählen. Er zeigt die Nachwirkung 
des Milieus, in dem die Kinder aufwachsen, die Verschiedenartigkeit vererbter Anlagen, 
das Einwirken momentaner Eindrücke am Wege zur Schule, beim Spiele und im eigenen 
Heim. Zuerst stellte er die Vielfältigkeit der Wiedergabe nach Neigung und Begabung dar 
und wie alle graphischen, malerischen, plastischen, dann alle gewerblichen Techniken von 
dem Kindeswillen bezwungen werden können, wenn er stark genug auftritt und Gelegen- 
heit zur ungehemmten, aber zielbewußten Tätigkeit Findet. Die führende Hand soll nur 
Wege zeigen, nicht Kräfte hemmen. 
Dann führte er Einzelbegabungen in ihrer individuellen Entwicklung und Selbst- 
bestimmung vor. Die zahlreichen Überraschungen ergeben sich von selbst und schaffen ein 
ewig wechselndes Bild von der Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit des Kunsttriebes, der so 
oft im Kinde stärker und reiner ist wie im fertigen Menschen. 
UNSTAUKTION IM PALAIS AUERSPERG. Unter ungewöhnlich gün- 
stigen äußeren Bedingungen konnte eine zugunsten der Tuberkulösenfürsorge ein- 
geleitete Wohltätigkeitsaktion durchgeführt werden. Einer der vornehmsten altaristokra- 
tischen Paläste Wiens mit seinem herrlichen Park gab den äußeren Rahmen. Die Werbe- 
kraft führender Persönlichkeiten der Gesellschaft hat ihr volles Interesse eingesetzt und 
die gesamte Wiener Künstlerschaft und ein beträchtlicher Kreis wohlwollender Mäzene 
haben bereitwillig dem Ruf Folge geleistet. Dadurch wurde die Veranstaltung in gewissem 
Sinne eine Abbildung unserer gegenwärtigen Kunstinteressen und Leistungskraft. Eine Ab- 
teilung von Bilderspenden aus Privatbesitz und von alten kunstgewerblichen Gegenständen 
trug dem starken Sammeleifer weiter Kreise Rechnung und ließ in ihrer Auswahl von 
vielen Arbeiten der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts zugleich erkennen, wie sehr 
diese Zeit in der Wertschätzung gestiegen ist. Alle Künstlerverbände waren durch Bilder, 
plastische und graphische Kunstwerke vertreten, die nach diesen Gruppen zusammen- 
geschlossen ihre Aufstellung fanden, so daß auch alle Kunstrichtungen verstärkt in Er- 
scheinung traten, wie bei einer Revue. 
Was aber die Freunde unserer starken und lebenskräftigen Werkbundbewegung 
besonders erfreuen durfte, war die Tatsache, daß der schönste Raum, der ovale Mittelsaal, 
für die Aufstellung moderner kunstgewerblicher Leistungen vorbehalten blieb. 
Zum ersten Male trat hiedurch die Anerkennung dieser Leistungen durch führende 
Persönlichkeiten aus dem konservativsten Kreise der Kunstfreunde hervor". Zugleich konnte 
eine Probe darauf angestellt werden, wie die Leistungen in einem alten historischen 
Rahmen zu wirken vermögen. Trotzdem diese Arbeiten in Vitrinen verbunden, also in 
Gruppen und mit starker Wirkung auftraten, war keine Dissonanz zu fühlen. 
Das herrliche Bauwerk mit seinen prächtigen Räumen besitzt wohl nicht mehr den 
Charakter seiner Erbauungszeit, der Blütezeit Wiener Barockkunst. Die innere Ausgestal- 
tung entstammt der Empirezeit und teilweise einem noch späteren nicht glücklichen
	        
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