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Volltext: Monatszeitschrift III (1900 / Heft 1)

der Mutterliebe kommt zu feierlich 
würdigem Ausdruck. Gleich da- 
neben raunt ein junges Paar die 
ersten Worte der Liebe; eine ent- 
zückende Gruppe, zu der noch 
eine Variante vorhanden ist. Über 
diesen beiden Episoden baut sich 
eine der Hauptgruppen auf: der 
Tanz. Ein Reigen üppigster Art, 
in dem alle Lockungen des Flei- 
sches ihren Sabbath feiern, einen 
wirklichen Sabbath voll Hexenkraft, 
denn über ihm im Gewölk sitzt 
schemenhaft Satan und comman- 
dirt seine eigenen höllischen Tän- 
zerinnen. Von ihm augenscheinlich 
strömt das Fluidum nieder, das 
alle Muskeln und Gelenke dieser 
Evastöchter in Wonnetaumel ver- 
setzt, in den „spasme", um das 
jetzige Lieblingswort der fran- 
zösischen Naturalisten zu gebrau- 
chen. Diese Tanzgruppe ist für 
den Beschauer der grösste Effect 
der Darstellung; sie ist von einer 
unwiderstehlichen Animalität, die 
ganze Anatomie löst sich zusehends 
in Temperament auf. Selbst die 
Nebenrnotive der Gruppe sind noch 
ungewöhnlich stark, so der backen- 
bärtige Lüstling, auf dem eine 
echte Jordaenstochter förmlich aus 
F?" der Scene hinausreitet. Rechts der 
Portois äFix. Salonschrauk, Mahagoni Tanzgruppe folgt, als Herzstück 
der Composition, eine der geist- 
vollsten Gruppen: der Augenblick der Vergewaltigung. Sie ist mit einer stürmischen 
Hast hinrnodellin und voll plastischer Kühnheiten, deren Pointe das Knie eines 
prächtig verkürzten Beines bildet. Trotzdem tritt diese Gruppe mehr zurück, als 
blosses Verbindungsglied jener Tanzgruppe mit der Mordgruppe, die ihr in der rechten 
Bildhälfte als Gegengewicht dient. Der Mord ist eine Kain-Abel-Scene, die von der 
mächtig emporsteigenden und das Opfer mit dem Speer niederbohrenden Figur des 
ersten Mörders beherrscht wird. Unter diesem gewaltig aufgereckten Titanen kugelt 
eine Gruppe stürzender Leiber durcheinander, von Schlangen umwunden, in Pein büssend. 
Und ganz rechts ergänzt sich der Cyklus durch neue Scenen des Duldens. Ein Märtyrer 
macht am Kreuze seine Passion durch, auch eine „passion hurnaine", und ganz rechts, am 
Rande, gehen Adam und Eva aus dem Paradiese. Aber den Gekreuzigten umschweben 
stille, selige Häupter, die von Erlösung träumen. Er selbst ist nicht der herkömmliche 
Christus, sondern der leidende Mensch, sogar einer aus Meuniers Sippschaft, homo patiens, 
der in Qual geläutert, sterbend den Tod besiegt. Den nämlichen Tod, der hoch über 
diesem ganzen Getriebe mitten in der Luft schwebt, ein lemurenhaftes Ungethüm auf 
Fledermausiiügeln, vom Grabtuch umweht. Er ist das gemeinsame Schicksal, in das alle 
dies Leidenschaftene münden; aber nur das äussere Schicksal - ein Blick ins Gesicht
	        
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