AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN S0 VON
LUDWIG HEVESI-VVIEN St.
SECESSION. Die Frühjahrsausstellung der Secession ist zur Abwechslung fast ganz
der Malerei gewidmet. Nur eine Insel darin ist Plastik, allerdings von der besten, die
es heute gibt. Die Anordnung ist schon an sich ein Kunstwerk, manche Wand ein Muster
harmonischer Stimmung. Die Ausstattung hat diesmal Adolf Böhm mit Geschmack
besorgt. Der allgemeine Eindruck, soweit er die Mitglieder der Vereinigung betrifft, ist der
des grössten künstlerischen Ernstes, ein Wachsen und Gedeihen, bei dem sich sogar
wirkliche Überraschungen ergeben. Auch einige junge Nichtmitglieder sind zu Gaste und
verdienen diese Gastfreundschaft. Das Ausland aber ist durch ganze Sendungen der
schönsten Sachen vertreten.
An der Spitze der Ausstellung steht Rudolf von Alt, der Achtundachtzigjährige,
rnit seinen neuesten Aquarellen. Es ist darunter ein meterhoher Stephansthurm mit dem
Niederblick gegen das Churhaus hin, und eine ganz gewaltige Gasteiner Landschaft von
tiefer Farbigkeit, mit dem kleinen Kirchhof und einem energisch gemengten Augusthimmel.
Solchen Kraftleistungen gegenüber herrscht nur ein Gefühl: der Glückwunsch. Das Haupt-
bild des I-Iauptsaales ist Gustav Klimts Deckengemälde „Die Philosophie", für die Aula der
Universität. Er wird auch noch die Medicin und die jurisprudenz malen, während
Franz Matsch mit der Theologie als viertem Eckbilde und dem viermal so grossen Mittel-
bilde („Sieg des Lichtes über die Finsternis") betraut ist. Die „Philosophie" geht in drei
Wochen nach Paris. In diesem überaus eigenthümlichen, genialen Gemälde zeigt sich
wieder einmal, wie wenig der Künstler den Bedenklichkeiten des Publicums entgegen-
kommt. Er horcht nur nach innen und gestaltet die eigene Seele. Der Streit von Lob und
Tadel, von Verständnis und Unverstand rührt nicht an seine Gesichte. Er hatte eine
Allegorie auf die geheimnisvollste der Wissenschaften zu malen, und so malte er das
Geheimnis, aber nicht in speculativen Symbolen aus dem herkömmlichen Formenschatz
heraus, sondern vom Gesichtssinn aus, als das Geheimnis der Farben, das mit dem Auge
errathen werden will. Der allgemeine farbige Eindruck der grossen Tafel ist dieser: Unten,
gegen die linke Ecke hin, leuchtet in mächtiger Schönheit, vom Purpurschein inneren
Lebens verklärt, das Antlitz einer Seherin. Die schauenden Augen weit offen, einen Finger
an das Kinn gehoben, . . . favete linguis. Hinter diesem feurigen Farbeniieck dunkelt
alles übrige als Vision dieses Sibyllenhauptes, der „Philosophie". Es ist ein wirrer, bunter,
nebelhafter Vorgang, in dem sich aber das Auge doch zurechtiindet. Die purpurne
Finsternis des Weltraumes spielt in allen Farben, echtes Gold mit inbegriffen. Dieses
Ineinanderspielen der Farben ist, schon als blosse Fleckenvertheilung betrachtet, ein
Meisterwerk. Stemenschwärme in allen Farben, auch in hellem Gold, sprühen vorüber;
Wolken von Stoff, für den man keinen Namen hat, suchen Gestalt zu gewinnen. Es ist eine
kosmische Phantasie, deren Grenzen nur die der Palette sind. An einer Stelle ballt sich
grüner, goldschimmernder Nebel zu einer Sphinx, von der man nur einzelne Theile
unterscheidet. Man mag sie das Welträthsel oder sonst irgendwie nennen, sie ist eine
unüberschaubare Kraft, von der die Philosophie nur Einzelheiten erräth. Und an diesem
Kraftherde vorbei wälzt sich durch den formlosen Raum ein bleicher Streifen aus geformten
Gestalten. Menschliche Körper jeder Art; zarte Kinder, kräftige Männer und Frauen, in
Liebe, Arbeit und Kampf umschlungen, Entstehendes, Schaffendes und Vergehendes, bis
zu dem weisshaarigen Greis hinab, der kraftlos, eine Hülle ohne Inhalt, ins Nichts hinab-
sinkt. Auch dieser helle Streifen von schemenhafter Carnation ist mit ungewöhnlichem
Feingefühl durch das Dunkel hinmodulirt. Die ganze visionäre Scene ist voll Sinn und
dabei ein decorativer Fleck von vornehmster Eigenart.
Auch drei feine Landschaften hat Klimt gebracht; eine mit viel Himmel in wenig
Wasser, eine mit allem Gewisper und Geflüster der Dämmerung, die dritte eine zierliche