Doch Rosetti ging in der Anlehnung an die Kunst des alten Florenz
lange nicht so weit, als sein ihm ebenbürtiger Schüler Edward Burne-Jones
(1833-1898). In diesem verkörperte sich erst recht der Geist der Prac-
raphaeliten. Alles, was aus dessen Hand hervorging, ist archaisirend in
Form und Composition, Farbe und Zeichnung. Richard Muther sagt in seiner
Geschichte der Malerei: „Burne-Jones verhält sich zu Botticelli ebenso, wie
dieser selbst der Antike gegenüberstand." Doch nicht Botticelli allein, sondern
auch Meister anderer italienischer Schulen, wie Crivelli, Mantegna, Lionardo
da Vinci übten einen bezaubernden Einfluss auf Burne-Jones aus, und fast
bei allen seinen Werken sind wir imstande, diesen oder jenen Meister
herauszufühlen.
Aber trotz allem bleibt Burne-Jones seiner Nation getreu; welche Stoffe
er immer malerisch oder zeichnerisch behandelt, sie zeigen insgesammt
neben äusseren italienischen Einflüssen echt nationale Auffassung. Seine
überschlanken, in stets gemessener Bewegung sich haltenden Mädchen-
gestalten, welche als Engel, mythologische oder allegorische Figuren alle
seine Darstellungen beleben, sind, wiewohl nach Botticellischem Canon
geschaffen, dennoch englische Mädchen. Ihr Ausdruck zeigt nordischen
Ernst, oft tiefe Schwermuth, ihr Blick ist in sich gekehrt oder in endloser
Ferne verloren. Das Kinn und Wangenbein laden stark aus und formen das
Gesicht zu einem nach unten scharf zulaufenden Oval, so wie wir es häufig
bei jungen, doch leidenden Frauen finden. Der Mund, klein, mit
schmaler Unterlippe, nähert sich mehr der Nase und verlängert dadurch
noch mehr das Kinn. Der Haarwuchs ist reich und den Kopf umwallend.
So begegnen sie uns auf allen seinen Gemälden und bilden deren
seltsamen Reiz.
Kunstvolle antike Drapirung dieser lieblichen Geschöpfe ist ein weiteres
Charakteristicum Burne-Jones. Was er hierin von den alten Meistern gelernt,
das sucht er unermüdlich zu vervollkommnen. So viele Figuren ein Gemälde
beleben, so viele Abwechslung erfreut uns in den zarten dünnflüssigen
Gewändern, welche sich um die schlanken Glieder schmiegen. „Sehr zahlreiche,
gewöhnlich horizontale Falten umgeben den Körper, umwinden, umspinnen
ihn wie Fäden, hie und da entrollen sich Schärpen, von phantastischen
Stürmen bewegt, in die Lüfte" (Sizeranne). Und für alle diese Fülle macht
er strenge Studien, nicht gerade auf das erste beste Papier, sondern mit
Vorbedacht auf farbig grundirte Unterlage. Er will nicht blos den Falten-
fluss, sondern zugleich die malerische Wirkung sehen.
Bald grundirt er licht, bald dunkel, selbst schwarz, um darauf mit
halbtrockenem Pinsel die Zeichnung in lichteren Farben zu setzen. Die
Zeichnung selbst wird von ihm wieder zum Kunstwerke erhoben. Rosetti
erkannte früh diese Eigenart in seinem Schüler und schrieb 1857 Folgendes
an seinen Freund Mr. William Bell Scott: „Die Zeichnungen Burne-Jones
sind Wunderwerke an Vollendung und voll Einbildungskraft; vielleicht nur
Dürers feinste Werke kommen an sie heran." Dieses uneingeschränkte Lob