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wirkliches Talent haben. Talent ist nämlich in Wien zu jeder Kunst vorhanden, wenn
auch das musikalische das seit jeher traditionelle ist. Um bildende Kunst kümmerte man
sich nie viel, sie drang nicht ins Volk und so hielt man sich für unkünstlerisch, während
Jakob Gruber, Verschüttete Bexgknappen
sich die meisten Wiener von vornherein für musikalisch halten, schon weil sie Wiener
sind. Das scheint nun anders werden zu wollen. Diese bescheidene Gesellschaft hat
unter Leitung von Künstlern wie l-Ilavacek, Schulmeister, Darnaut, Kajetan und Anderen
seit ihrem Gründungsjahre 1887 grosse Fortschritte gemacht. Im Winter zeichnet man
ileissig Studien nach Naturgegenständen und im Sommer setzt man sich frisch vor die
lebendige Natur. Ursprünglich will man wohl nur etwas skizziren lernen, aber mit der
Zeit wird mehr daraus. Es stellt sich wirkliches Naturverständnis ein und mitunter
sogar Persönlichkeit in Auffassung und Technik. Stiiiers erstaunlich gewandte Bleistift-
zeichnungen und sein farbenkräftiges Aquarell eines Alpenglühens sind gewiss Dinge,
die nicht bald ein Dilettant macht. Die feinen, auf Grau getönten Donaubilder von Karl
Weiss, der aber auch einer sonnenwarmen Minoritenkirche in ihrer ganzen Farbigkeit
gerecht wird, dann die zierlichen Architekturen von Johann Karger, die leicht
hingewaschenen Bach- und Hügellandschaften von G. Jülke, der dann wieder im
Kaprunerthale kräftigere Töne einschlägt, die bunte Zierlichkeit Puchingers in seinem
Trebinje-Bildchen, die verschiedenen Jahreszeiten und Witterungen von Gallois, die
reichen Berglandschaften von Gandu u. s. w. zeigen eine Mannigfaltigkeit der Art und
Weise, dass man deutlich sieht, wie jeder Einzelne im Arbeiten vor der Natur erst ein
Individuum wird. Solcher Dilettantismus ist unbedingt willkommen zu heissen, weil er
eine Art nächstes Hinterland der Künstlerschaft bildet und der natürliche Vermittler
zwischen ihr und den Massen ist. Er ist auf dem Gebiete der bildenden Kunst, was in der
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