ist. Schäffle behauptet, wie es einst I-Ierder mit anderen Worten behauptet
hatte: „Auch die erhabenste Kunst ist in das ganze Gewebe socialer
Beziehungen eingelassen, sie ist von dem Zustande und von dem
Entwicklungsgrade jedes der sonstigen Organsysteme der Volksgesittung
bedingt und von dem Gesammtzustande und von der historisch gegebenen
I-Iauptrichtung der Entwicklung der ganzen Gesellschaft abhängig".
Wenn das in der That der Fall ist _ und wer würde es leugnen
wollen? - dann liegt doch die Reflexion überaus nahe, dass gleichen oder
verwandten Ursachen in der Regel die gleichen oder verwandte Resultate
entsprechen. Dann müssten aber die Kunst des XVI. und die Kunst des
XIX. Jahrhunderts sehr wichtige Züge gemeinsam haben, sie müssten
wesensverwandt sein.
Wird dieser Annahme mit sachlichen Gründen widersprochen, dann
hat entweder die Volkswirtschaftslehre, die jene „gemeinsame Signatur" zu
sehen glaubte, geirrt, oder alle Völkerpsychologen der letzten anderthalb
Jahrhunderte haben sich geirrt. Eine dritte Möglichkeit existirt nicht.
Ist es kein Irrthum, dass alle „Organsysteme der Volksgesittung"
im XVI. Jahrhundert
ähnliche Krisen und
ähnliche Entwicklungs-
reihen durchzumachen
hatten wie im XIX. Jahr-
hundert, und ist es kein
Irrthum, dass die Kunst
die natürliche Blüte am
Baume der jeweiligen
ideellen und materiellen
Cultur eines Volkes ist,
dann muss die Kunst
des XIX. Jahrhunderts
sich keck neben die
Kunst des XVI. Jahr-
hunderts als gleich-
berechtigte Schwester
stellen dürfen, denn
dann ist es unmöglich,
dass sie ihr in geistiger
und physischer Bezie-
hung so unendlich nach-
steht, wie man es uns
glauben machen will.
Die Lage der Dinge
ist interessant genug, um
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