Im Jahre 1812 schreibt
der berühmte Göttinger Phi-
lologe Chr. G. Heyne an V
Tischbein, den verehrten
Freund und Künstler: „Seit
den Zeiten, da Sie hier
waren, zumal in den Jahren
des Umsturzes der Dinge,
ist nach und nach alle Kunst-
liebe erloschen. Unter den
Studirenden ist kein Ge-
danke mehr daran, seitdem
die Reisen nach Rom ganz
aus dem Gebrauche ge-
kommen sind, und was selt-
sam ist, die Kunstwerke in
Paris aufzusuchen, reizt
keinen jungen Menschen."
Und in der That, wohin man 13-1-
um diese Zeit - und nicht
nur im Norden Deutsch-
lands - die Blicke richtet, Fm" Bei", Smdiß
überall ist Grabesstille, so-
weit die bildende Kunst in Frage kommt. Abgesehen von ein paar fürstlichen
Aufträgen, die wie Gnadenbeweise empfangen werden, fehlt es an jedem
Antriebe zu einer künstlerischen Arbeit. Die königliche Porzellanmanufactur
zu Berlin decorirt ihre Porzellane mit Kupferdrucken, die Miniaturmaler
arbeiten bisweilen für ein Freundes-Album: Die Künste vegetiren. Und wenn
einmal so etwas wie ein echtes Kunstwerk aus der Stille einer Künstler-
klause hervorwächst, dann sieht die Arbeit blass und schwächlich aus, als
fehle es ihr an gesundem Blut.
Wie anders hatte es im Anfange des neuen Jahrhunderts in denselben
Landen ausgesehen. Wie muthvoll hatte Schadow für eine freie, charakteristi-
sche Kunst gesprochen und gearbeitet, wie begeistert war Runge einer neuen
deutschen Kunst entgegengegangen, wie geistvoll hatte A. W. Schlegel für
ein neues Zeitalter der Künste die Herzen seiner Hörer vorzubereiten
gesucht. Wie war dieser plötzliche Umschwung möglich?
Er war die Folge der französischen Kriege. Nach 1806 trat in Preussen
eine vollständige Lähmung des Verkehrs, eine weitgehende wirtschaftliche
Erschöpfung ein. Was die Verwüstungen und die Kriegscontributionen
übrig liessen, das wurde von den endlosen Einquartierungen aufgezehrt. Der
Staatscredit war so völlig vernichtet, dass für eine bescheidene Prämien-
anleihe von einer Million, die in kleinen Scheinen zu 25 Thalern ausgegeben
wurde, drei Jahre nicht ausreichten, um sie unterzubringen. Der Mittelstand,