MARIANNE UND ADRIAN STOKES SI- EINE
MALEREHE 5G VON W. FRED-WIEN Sie
S ist immer seltsam zu sehen, wie es einem
Menschenpaare, Mann und Frau, die demselben
Berufe, der nämlichen Kunstübung ergeben sind,
ergeht, wenn ihr Leben Tag um Tag, Stunde um
Stunde den nämlichen Weg verfolgt. Der ange-
stammte Begriff einer Ehe wird geltungslos, da
Beide Schaffende sind. Es kann sich nicht mehr
das alltägliche Wechselspiel wiederholen, dass
der Mann aus dem vollen Leben, aus der Fülle
seiner durch Arbeit errungenen Erfahrung der
Frau viele, immer neue Anregung schenkt, sie
aber zum Danke ihm durch Ruhe, durch die stille Güte, die in ihrer edlen
Weiblichkeit liegt und aus ihr strahlt, allabendlich wieder ersetzt, was ihm
der rauhe Tag an sicherer Kraft und Lebensmuth genommen hat. Dieses
Idealbild schwindet aus jeder Vorstellung, wenn an eine Ehe zweier
Schaffender gedacht wird. Stete Unruhe ist das Lebensschicksal des schö-
pfenden Künstlers die längste, die herrlichste Zeit seines Lebens hindurch.
Sein Ziel ist begrenzt in zweierlei verzehrender Thätigkeit; er sucht das
Leben, das sich in Natur und Menschenspiel vor seinen Augen ereignet,
klar zu erkennen, und seine Feder, sein Pinsel oder sein Meissel sollen dann
Werkzeuge zur Wiedergabe seines starken Eindruckes werden. In den
Adern des Künstlers fliessen die Blutwellen stürmisch, er führt ein Leben in
höchster Potenz. Er hat die hellen Augen, wie sie die Griechen ausser den
Künstlern nur den Sehern zudachten, denen ein guter Gott die Binde von
den Augen nahm, den Schleier, der gewöhnlichen Sterblichen die Wirklich-
keit verhüllt. Das klare Sehen ist das Geschenk der Natur an die Künstler;
es ist ihr Glück. Die gewaltige Sehnsucht, zu schöpfen, was sie sahen, ihre
inneren Gesichte in Werken auszudrücken, um so den Menschen neue
Quellen der Schönheit aufzuschliessen ä das ist die zweite Gabe der Natur
an jeden Künstler. Es ist die Gabe, die alles Schöpferglück und alles Schöpfer-
leid in sich schliesst. Diese Sehnsucht gibt Stolz und Demüthigung. Aus
diesem Ursprung kommen die Tage voller Selbstverachtung, voller tiefster
Qual, wie sie manches Bild und manches Gedicht offenbart, aus diesem
Ursprung kommt auch das sonnige Lächeln, das manches seltene Mal die
Augen eines Künstlers umglänzt. So kann man die Scala der bewegenden
Gefühle, die eine Künstlerseele füllen, begrenzen; das Verhältnis zwischen dem
inneren Gesichte, das wiederzugeben sehnlichster Wunsch war, und dem
erschaffenen Werke gibt die Höhe oder Tiefe des Lebens- und Glücksgefühles,
das in dem Schöpfer ist. Ruhe - das ist die Empfindung, die es für einen
Künstler nicht häufig gibt, nicht häufig geben darf. Sein Leben hat nur einen
Brennpunkt: seine Kunst, sein Tag nur ein Ziel: die Stunde, wo er schafft.
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