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JOHANN JOACHIM KÄNDLER UND SEINE
CABINETSTUCKE DER MEISSNER POR-
ZELLANMANUFACTUR SV VON EDMUND
WILHELM BRAUN-TROPPAU S0
Sist noch gar nicht lange her, dass unsere
Wissenschaft begonnen hat, sich ernsthaft und
systematisch mit der Entwicklung der Porzellan-
kunst des XVIII. Jahrhunderts zu beschäftigen.
Die Litteratur über diese Studien ist noch eine
kleine im Verhältnisse zur eminenten Wichtigkeit,
die den Porzellanen für die Kunst und Cultur des
XVIII. Jahrhunderts beizumessen ist. Und gerade
über die Mutter aller Fabriken, die Meissner
Manufactur, fehlt uns, auch nach dem Erscheinen
des sehr viel Neues fördernden Werkes von Berling, immer noch die richtige
zusammenfassende Arbeit, die in Allem der historischen Entwicklung
gerecht wird. Einen Theil dieser Lücke Füllt das Werk von Jean Louis
Sponsel: über Kändler aus, dessen reiche Ergebnisse meinem Aufsatze
zugrunde liegen.
Schwierige, ungebahnte Wege musste Sponsel wandern, um sein Werk
zu fördern. Nur wer selbst einmal in Urkundenstudien sich versenkt hat, wie
sie in langer Reihe der Sponsel'schen Darstellung zugrunde liegen, vermag
das Mass wissenschaftlicher Geduld und Hingabe zu würdigen, denen sich
Sponsel bei seinen Quellenstudien unterziehen musste. Und sein Kändler
sowohl, als sein früheres Werk über die Dresdner Frauenkirche beweisen,
mit welcher Gewissenhaftigkeit er gearbeitet hat, unter Berücksichtigung
jedes einzelnen Momentes. Nur dadurch konnte einmal die nothwendige
positive Grundlage für eine genauere Kenntnis der Manufactur geschaffen
werden. Knapp liegt die Zeit hinter uns, in der die Kunsthistoriker älterer
Ordnung die Barockkunst, noch mehr das Rococo, mit wenig Liebe betrach-
teten. Und nun gar die „grossügurige" Porzellanplastik vervehmten sie
als „stilwidrig". Springer war es wohl, der einmal irgendwo sagte, lebens-
grosse Porzellanbüsten sähen aus wie Caricaturen. Und unter dieser
früher allgemein und auch jetzt noch ab und zu getheilten Meinung musste
die richtige Beurtheilung Johann Joachim Kändlers naturgemäss ausser-
ordentlich leiden. Denn die am meisten ins Auge fallenden Arbeiten
Kändlers, seine Thierfiguren, sein Reitermonument und anderes gehen ja in
der Grösse weit über den Massstab der sonstigen Porzellanplastik hinaus.
Sie sind es auch, die Sponsel diesmal herausgegriffen hat, die „Cabinet-
Stücke". Es ist ja noch so viel unbearbeiteter Boden, gerade die Kunst-
x Cabinetstücke der Meissner Porzellanmanufactur von Johann Joachim Käncller. Mix zahlreichen Beilagen
und Textbildern. Leipzig, Hermann Seemanns Nachfolger, xgoo, 4", 230 S.
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