Säulen, Balkons und Erkern, die das „herrschaftliche deutsche Mietshaus"
verunzieren. Die in Ziegelbau mit mässiger Verwendung von Terracotten
oder Baustein hergestellten Facaden bewahren vielmehr Zurückhaltung,
glänzen mehr durch gute Verhältnisse, Anpassung an die Umgebung,
sorgfältige Durchbildung.
Aber auch in weniger vornehmen Quartieren Englands fällt uns heute
die zunehmende Rücksicht auf passenden Schmuck auf. Jene Strassenfronten
alten Stils, in denen ohne den geringsten Wechsel dieselbe gleichförmige
Facade wiederkehrte, an der nicht einmal eine Thürrahmung oder ein
Kranzgesims die trostlose Ziegelmasse belebte, verschwinden mehr und
mehr, Formziegel, Terracotten, glasirte Ziegel erscheinen, wenn auch nur
sparsam angewandt. Jedenfalls ist eine so zurückhaltend ausgestattete
Facade unendlich viel wohlthuender, als die mit wertlosen Surrogaten über-
häuften Putzfacaden deutscher Städte.
Eine Fülle dankbarer architektonischer Aufgaben erwächst den
englischen Architekten bei Ausführung der zahllosen Wohlthätigkeits-
anstalten, mit denen das reiche England verschwenderisch ausgestattet ist.
Neben Kranken- und Waisenhäusern, Hospizen etc. vor allem Volksbiblio-
theken, Fortbildungsschulen, Volksbäder, letztere oft mit Clubräumen und
Vortragssälen zu einem sogenannten Polytechnic vereint. Diese Anstalten
sind in der Hauptsache aus Spenden wohlhabender Bürger errichtet. Für
die Denkungsart dieser Stifter ist es besonders ehrenvoll, dass die Gebäude
nicht, wie bei uns fast durchgängig, in Ödem Kasernenstil ausgeführt werden,
sondern meist hervorragenden Architekten anvertraut sind, denen so reiche
Mittel zur Verfügung stehen, dass sie den Ausbau in gediegener Eleganz, oft
nach unserem Begriffe fast verschwenderisch durchführen können. Aber auch
wo mit ganz beschränkten Mitteln gerechnet werden muss, verzichtet man
nicht auf künstlerische Durchbildung.
Wie mit geringen Mitteln gewirkt werden kann, zeigt zum Beispiel das
Passmore Edwards Settlement am Tavistok-Place zu London, ein kleines,
1897 errichtetes F ortbildungsinstitut. Es enthält im Untergeschoss Classen-
zimmer, darüber einen grossen Vortragssaal und seitlich angelehnt, durch
beide Stockwerke durchgehend, die Bibliothek. Alle Wände sind einfach
verputzt, aber lebhaft roth bemalt, der untere Theil der Wand mit grün
gebeiztem Tannenholz bekleidet, also die Wirkung nur durch diese Farben-
stimmung und durch hübsche Raumverhältnisse angestrebt, unter völligem
Verzicht auf alle nichtssagende billige Ornamentik. Auch in der Bibliothek
sind die umlaufenden Bücherschränke aus grün gebeiztem Tannenholz,
die Träger des elektrischen Lichtes einfache Messingblechringe, an denen
die elektrischen Birnen an der Leitungsschnur hängen. Aber ein behaglicher
Kaminplatz, ein grosses, lichtreiches bay-window mit seinen kleinen Scheiben
geben dem Raum etwas Trauliches und zum Studiren Verlockendes. Die
einfache Backsteinfacade wird belebt durch das originell geformte mächtige
Thor, das auch wieder auf Ornamentik und feine Profile verzichtet, und