Wege war das erreichbar. Einmal, indem man
im Sinne der eklektischen Kunst des XIX. Jahr-
hunderts eine möglichst archäologisch getreue
Nachahmung der geschichtlichen Formen der
Gothik anstrebte. Anderseits liess sich auch
bei freier Verwendung, ja bei Fortbildung der-
selben im modernen Sinne doch die gleiche
feierliche intime Stimmung erzielen.
Die erstere der Stilechtheit sich unter-
werfende Richtung fand eine geradezu glän-
zende Vertretung injohn Longborough Pearson
(1817 bis 1897), dessen Meisterstück die 1871
begonnene, 1880 vollendete St. Augustinskirche
in Kilburn (London) bildet. Seitab von der
grossen Strasse des Londoner Fremdenverkehrs
gelegen, ist sie leider viel zu wenig bekannt.
Überraschend ist die Wirkung, wenn man durch
die niedrigen, von Emporen gedrückten Seiten-
schiffe in das majestätische, hohe HauptschiH
eintritt. Hier ist auf alles Ornament verzichtet,
zwischen den kräftigen, in Haustein ausge-
führten Gliederungen sind die Flächen aus ge-
vm.Pomeuanvgörsuand! wöhnlichem Backstein gemauert. Umso mehr
Pmw Weltausstellung 190D kommen die guten Raumverhältnisse zur Gel-
tung. Aller Reichthum ist auf den Chorraum
concentrirt, den die reich sculptirten Chorschranken vom Hauptschiff
trennen, über die hinweg aus den Fenstern der Chorrückwand die
gedämpften Farbenströme der farbigen Verglasung fluten. Er ist ganz
mit Marmor verkleidet, überaus kostbar mit Reliefs und Statuen geziert,
deren Mittelpunkt die prächtige Altarrückwand bildet. Mit sicherem
Geschmack sind hier die historischen Formen gehandhabt und eine feine,
alterthümliche Wirkung damit erzielt.
Doch bleibt Pearson und seine Anhänger bei der Auswahl der Formen
stets innerhalb einer zeitlich begrenzten Epoche des gewählten Stiles, aus
Hochachtung vor der kunstgeschichtlichen Erziehung wird jede Vermischung
von Formen verschiedener Epochen vermieden. Diese freiwillige Fessel wird
auch bei Kirchenbauten von Norman Shaw und Sedding abgestreift, und
der Stimmungswert der Architekturformen und des Materials ohne Rücksicht
auf stilistischeZusammengehörigkeit berücksichtigt. Der Bahnbrecher war hier
John Sedding (1837 bis 1892), ein genialer, seiner Zeit vorauseilender Meister,
der eine so tiefgehende Kenntnis der mittelalterlichen und Renaissance-
formen sich erworben hatte, dass er frei mit dem ungeheueren Vorrath
derselben schalten konnte. Seddings Bauweise wird man am besten an
seiner Dreifaltigkeitskirche in Sloane Square (London) kennen lernen, deren