MODERNE ENGLISCHE BAUKUNSTSIP VON
MAX SCHMID-AACHEN S0-
IN Gemälde kann im Salon verborgen bleiben,
ein Buch uneröffnet in einem Fach der Bibliothek,
eine Zeichnung oder ein Stich in der Mappe; aber
ein Haus steht immer vor aller Augen und muss
den Vorübergehenden durch seine Mängel be-
leidigen oder durch seine Vorzüge erfreuen. Mit
diesen Worten verweist William Morris auf die
fundamentale Bedeutung der Baukunst für die
Bildung des Geschmackes im Volke.
Aber man darf nicht vergessen, dass die
Wirksamkeit der Baukunst anderseits ausserordentlich eng begrenzt ist.
Bücher und Bilder, Zeichnungen und Stiche, Möbel und Geräth, ja ganze
Einrichtungen sind nicht an den Ort ihrer Entstehung gebunden. Sie können
wandern, sie wirken in die Ferne und können schnell in Nachbarstädten, ja
in Nachbarländern anregen und befruchten. So haben die Gemälde der Prä-
raffaeliten, so hat das englische Kunsthandwerk längst auf dem Continent
Fuss gefasst, den modernen Bestrebungen anderer Länder vielfach als
Geburtshelfer gedient. Von der nicht minder reichen und fruchtbringenden
Entwicklung englischer Baukunst aber hat man fast nur im engeren
Kreise der Architekten Kenntnis, und Norman Shaw, Sedding, Ernest George
sind manchem unbekannt, der sich schämen würde, mit Rossetti, Burne-
Jones oder William Morris nicht völlig vertraut zu sein.
Es ist eben viel schwerer, die Bekanntschaft jener Architekten zu
machen, als die der Maler und Handwerkskünstler. Aus den Abbildungen und
Beschreibungen englischer Fachblätter begreift man nur schwer die Vorzüge
ihrer Bauten. Und selbst wer an Ort und Stelle danach Umschau hält, wird
nur unter sachkundigster Führung und mit grossem Zeitaufwand aus der
überwältigenden Masse nichtssagender Nutzbauten die künstlerischen
Schöpfungen herausfinden.
Der vornehme Engländer vermeidet das Auffallende. Er baut nicht an
den I-Iauptstrassen und er baut nicht blendende Facaden. Das gilt aber auch
von der wirklich guten englischen Monumentalkunst. Die schönsten
englischen Kirchen, Bibliotheken, Gerichtsgebäude und andere stehen nicht
auf den Hauptplätzen der Städte, sondern abseits, oft in kleinen Land-
Städtchen.
Sie wirken nicht durch thurmreiche überladene Fronten, sondern
durch stimmungsvolle Innenausstattung. So würde die moderne englische
Baukunst wohl noch auf lange Zeit nur den Fachleuten bekannt, der Menge
der Kunstfreunde aber eine terra incognita geblieben sein, hätte nicht
neuerdings H. Muthesius durch ein gross angelegtes Tafelwerk sie uns
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