heitsidealen nachzustreben habe. Es ist bekannt, dass in dem tastenden
Suchen nach Befreiung von dieser Schematisirungskunst die drei jungen
Künstler über einen Band Kupferstiche nach Benozzo Gozzolis Fresken im
Campo Santo in Pisa geriethen. Beim Anblick dieser Werke, so mittelmässig
sie auch vorgeführt waren, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: hier
war noch Naturfrische und Freiheit, ein liebevolles Versenken in das Detail
und jene decorative Wirkung, die mehr aus dem instinctiven malerischen
Gefühl des Einzelnen, als aus den aus Raffael abstrahirten Gesetzen des
sogenannten schönen Aufbaues hervorgegangen war. Hier fand man, was
man suchte. Man deutete es als das Malerideal der vorraffaelischen Zeit statt
der raffaelischen, diese vorraffaelische Kunst wurde daher als Feldgeschrei
gewählt. Es darf nicht vergessen werden, dass keiner von den drei jungen
Leuten je Gelegenheit gehabt hatte, die Frühitaliener kennen zu lernen, und
wahrscheinlich waren ihnen Mantegna, Boticelli und Fra Filippo Lippi
kaum dem Namen nach bekannt. Von einer Absicht, im Geiste dieser Italiener
zu wirken, konnte daher nicht die Rede sein. Was man wollte, war Freiheit
von dem Akademismus, und indem man den Bann dieses Akademismus
brach, legte man den Grundstein für die moderne Kunst überhaupt, deren
Wesen man mit einem Worte wohl als das des Individualismus bezeichnen
kann. „, „
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Wie es zu geschehen pflegt, wandte sich das gesammte Kunstpublicum
und die gesammte Kunstkritik einmüthig gegen diese Neuerer, die den
gepflasterten Weg des Tageskunsturtheils so kühn verliessen. Auf Rossetti
wirkte diese Haltung derart ein, dass er nach den Erfahrungen, die er mit
seinen beiden ersten Bildern machte, nie wieder ausstellte. Diese seine
ersten Bilder gehören zu den reizvollsten seiner Schöpfungen; in dem einen,
der Kindheit der Jungfrau Maria, drückt sich die ganze Jugendfrische eines
tastend in die Welt der Schönheit eintretenden reichen Gemüthes aus, das
zweite, Ecce Ancilla Domini (Abb. S. 375), erscheint uns heute bereits als
die reife Schöpfung eines Meisters und ist ein solcher Liebling des englischen
Volkes geworden, dass es fast in jedem Hause zu finden ist. Freilich damals
regte sich nur ein einziger grosser Widerspruch, den man eigentlich heute
kaum begreiflich findet, gegen dieses Bild und selbst Männer wie Dickens
hielten es für angebracht, ihre Empörung zu äussern. Da erschien der jungen
Gemeinde der Retter in der Noth in der Gestalt Ruskins, der, als damals schon
berühmter Schriftsteller, zuerst in einem Briefe an die „Times" und sodann in
einer Artikelreihe die Ziele der Präraffaelitenbruderschaft mit Eifer vertheidigte
und so das Publicum zum mindesten zunächst stutzig machte. Er ist seitdem
stets ein treuer Freund und Berather für Rossetti geblieben, wenn auch sein
etwas lehrhaftes Hereinreden in dessen Kunstschaffen manche Wolke
zwischen die Freundschaft beider Männer schob. Dem trotz seiner späteren
bedeutenden Einnahmen fast stets in Geldnöthen sich befindenden Rossetti
half Ruskin fortlaufend auch durch Zuführung von Mitteln, ganz besonders,
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