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Volltext: Monatszeitschrift IV (1901 / Heft 9)

heitsidealen nachzustreben habe. Es ist bekannt, dass in dem tastenden 
Suchen nach Befreiung von dieser Schematisirungskunst die drei jungen 
Künstler über einen Band Kupferstiche nach Benozzo Gozzolis Fresken im 
Campo Santo in Pisa geriethen. Beim Anblick dieser Werke, so mittelmässig 
sie auch vorgeführt waren, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: hier 
war noch Naturfrische und Freiheit, ein liebevolles Versenken in das Detail 
und jene decorative Wirkung, die mehr aus dem instinctiven malerischen 
Gefühl des Einzelnen, als aus den aus Raffael abstrahirten Gesetzen des 
sogenannten schönen Aufbaues hervorgegangen war. Hier fand man, was 
man suchte. Man deutete es als das Malerideal der vorraffaelischen Zeit statt 
der raffaelischen, diese vorraffaelische Kunst wurde daher als Feldgeschrei 
gewählt. Es darf nicht vergessen werden, dass keiner von den drei jungen 
Leuten je Gelegenheit gehabt hatte, die Frühitaliener kennen zu lernen, und 
wahrscheinlich waren ihnen Mantegna, Boticelli und Fra Filippo Lippi 
kaum dem Namen nach bekannt. Von einer Absicht, im Geiste dieser Italiener 
zu wirken, konnte daher nicht die Rede sein. Was man wollte, war Freiheit 
von dem Akademismus, und indem man den Bann dieses Akademismus 
brach, legte man den Grundstein für die moderne Kunst überhaupt, deren 
Wesen man mit einem Worte wohl als das des Individualismus bezeichnen 
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Wie es zu geschehen pflegt, wandte sich das gesammte Kunstpublicum 
und die gesammte Kunstkritik einmüthig gegen diese Neuerer, die den 
gepflasterten Weg des Tageskunsturtheils so kühn verliessen. Auf Rossetti 
wirkte diese Haltung derart ein, dass er nach den Erfahrungen, die er mit 
seinen beiden ersten Bildern machte, nie wieder ausstellte. Diese seine 
ersten Bilder gehören zu den reizvollsten seiner Schöpfungen; in dem einen, 
der Kindheit der Jungfrau Maria, drückt sich die ganze Jugendfrische eines 
tastend in die Welt der Schönheit eintretenden reichen Gemüthes aus, das 
zweite, Ecce Ancilla Domini (Abb. S. 375), erscheint uns heute bereits als 
die reife Schöpfung eines Meisters und ist ein solcher Liebling des englischen 
Volkes geworden, dass es fast in jedem Hause zu finden ist. Freilich damals 
regte sich nur ein einziger grosser Widerspruch, den man eigentlich heute 
kaum begreiflich findet, gegen dieses Bild und selbst Männer wie Dickens 
hielten es für angebracht, ihre Empörung zu äussern. Da erschien der jungen 
Gemeinde der Retter in der Noth in der Gestalt Ruskins, der, als damals schon 
berühmter Schriftsteller, zuerst in einem Briefe an die „Times" und sodann in 
einer Artikelreihe die Ziele der Präraffaelitenbruderschaft mit Eifer vertheidigte 
und so das Publicum zum mindesten zunächst stutzig machte. Er ist seitdem 
stets ein treuer Freund und Berather für Rossetti geblieben, wenn auch sein 
etwas lehrhaftes Hereinreden in dessen Kunstschaffen manche Wolke 
zwischen die Freundschaft beider Männer schob. Dem trotz seiner späteren 
bedeutenden Einnahmen fast stets in Geldnöthen sich befindenden Rossetti 
half Ruskin fortlaufend auch durch Zuführung von Mitteln, ganz besonders, 
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