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Volltext: Monatszeitschrift IV (1901 / Heft 9)

DANTE GABRIEL ROSSETTI S0 VON H. MU- 
THESIUS-LONDON St! 
CHÄTZT man die Bedeutung eines Künstlers dar- 
nach ein, welchen Einfluss er auf das Empfinden 
seiner Zeit und seiner unmittelbaren Nachwelt 
ausübte, ob es ihm gelang, die Welt mit sich zu 
ziehen in die Geleise seines subjectiven Kunst- 
empfindens, so muss Rossetti einer der grössten 
Künstler unseres Zeitalters genannt werden. 
Zwar, ob die Einreihung der späteren Kunst- 
geschichte ihn auf einem so hohen Platze belassen 
wird, können wir heute nicht beurtheilen. Aber 
wir sehen jetzt die grosse Einflussphäre dieses Geistes offen vor uns, eine 
Sphäre, die weit über Englands Grenzen hinausreicht und deren Geist auch 
heutigen Tages noch mächtig genug wirkt. Denn Rossetti ist der Vater jener 
Gefühlskunst, die im Verlauf des XIX. Jahrhunderts auftauchte und gerade da 
einsetzte, wo die materialistische Zeitrichtung auf ihrem Höhepunkte angelangt 
war. Die Gefühlswerte, die er schuf, haben seit jener Zeit in allen Künsten, 
ganz besonders aber in der Malerei und Dichtkunst 4 den beiden Künsten, 
in denen er persönlich wirkte - unter den verschiedensten Namen eine 
ungemein wichtige Rolle gespielt: wir haben sie als Neuidealismus, Symbolis- 
mus, Mysticismus, Ästheticismus an uns vorüberziehen sehen, und sie 
enden in der Caricatur als Decadence. - Aber fast wichtiger noch, als 
dieser in den Grosskünsten sich äussernde Einfluss, ist ein Abzweig, der von 
der allgemeinen, auf Rossetti zurückgehenden künstlerischen Neugestaltung 
ausging und sich als Wiedergeburt im Kunstgewerbe bemerkbar machte. 
Hier hat der neue Geist eine Bedeutung erlangt, deren Tragweite heute 
noch gar nicht abzusehen ist. Das moderne Kunstgewerbe, das in den 
Sechziger-jahren in England geboren wurde, ist in seinem Ursprünge von 
dem Präraffaelitismus gar nicht zu trennen, es muss als eine directe Folge- 
erscheinung desselben bezeichnet werden. 
Dass die Gefühlswelle, die durch Rossetti in das moderne Kunst- 
empfinden geschickt wurde, gerade von England aus ihren Ursprung nehmen 
sollte, ist vielleicht nicht minder bezeichnend, als der Umstand, dass ihr Er- 
zeuger kein Engländer, sondern ein Dreiviertel-Italiener war. Rossettis Vater 
war ein italienischer Flüchtling, der 1824 aus politischen Gründen Neapel 
verliess und in London die Tochter eines italienischen Vaters und einer 
englischen Mutter heiratete. Aus einer specifisch litterarischen Familie 
hervorgegangen - der Vater war Dante-Forscher und auch Rossettis drei 
Geschwister erlangten hervorragende Namen als Schriftsteller - und ganz in 
der Luft der alten stolzen Romantik der frühitalienischen Kunst aufgewachsen, 
musste der junge Rossetti umsomehr in der Welt des englischen Geschäfts- 
 
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